Zu Maria Callas ist jüngst schon einiges erschienen, schließlich würde sie dieses Jahr 100 Jahre alt. Wozu also noch eine weitere Biografie? Ganz einfach: Weil der "Mythos Callas" unbedingt ein bisschen Nüchternheit verträgt. Und die hält Arnold Jacobshagen in seiner Darstellung konsequent durch.
Bildquelle: EMI
"Allein aufgrund der Ausdruckskraft oder Schönheit ihre Stimme würde Maria Callas heute nicht mehr als singuläre Jahrhundert-Sängerin gefeiert werden", liest man in diesem Buch. Und weiter: "Ihre herausragende künstlerische Bedeutung manifestiert sich erst in der Summe unterschiedlicher musikalischer und darstellerische Ausdrucksebenen, die sich in der Kategorie der Interpretation zusammenfassen lassen."
Arnold Jacobshagens Buch über Maria Callas ist eher nüchtern, ja mitunter trocken geraten. Der Autor wollte den vielen blumigen Verehrungsbüchern ganz offensichtlich etwas entgegensetzen, ohne dabei natürlich die Bedeutung der großen Sängerin zu schmälern. Und das ist durchaus sinnvoll, denn über Maria Callas waren oder sind mindestens so viele Gerüchte wie Wahrheiten im Umlauf. Das reicht vom angeblichen Divenkrieg zwischen ihr und Renata Tebaldi, über ihren ominösen Gewichtsverlust, ihre Beziehung zu dem ultrareichen Reeder Onassis bis zu den zum Teil haarsträubenden Legenden über ihr Verhältnis zu ihrer Mutter und ihrer Schwester.
Zum 100. Geburtstag von Maria Callas feiert BR-KLASSIK die Diva mit einem umfangreichen Online-Dossier. Darin erinnern wir mit Videos, Hintergrundinfos und Anekdoten an das Leben der Jahrhundertsängerin.
Da ist es wohltuend, zum Jubiläum eine Biographie zur Hand zu haben, die sich auf der sachliche Ebene der Jahrhundertsängerin, ihrer außerordentlichen stimmlichen und darstellerischen Qualitäten, ihren Erfolgen und ihrem mitunter recht turbulenten Leben annähert. Dass die ersten 130 Seiten von Jacobshagens Callas-Biographie allerdings zu einer ziemlich trockenen Aufzählung geraten sind, ist der Versachlichung dann aber doch ein wenig zu viel des Guten und bereitet kein großes Lesevergnügen.
Besser zu lesen ist der zweite Teil des Buchs, der sich in sechs Kapiteln besonderen Aspekten der Kunst von Maria Callas widmet. Hier beschreibt Jacobshagen facettenreich die stimmliche und darstellerische Faszinationskraft der Sängerin. Und es gelingt ihm, das auch für Leserinnen und Leser nachvollziehbar zu machen, die sich noch eher wenig mit Maria Callas beschäftigt haben.
Interessant ist Jacobshagens Buch auch deshalb, weil es sich kritisch mit den zahllosen, zum Teil auch zweifelhaften Quellen auseinandersetzt und sich dabei bemüht, Wahres von Legendenbildung zu trennen. Die angebliche Rivalität mit Renata Tebaldi sei vor allem deswegen medial befeuert worden, weil man sich davon Aufmerksamkeit erhofft habe, schreibt er. Zu recht weist der Autor außerdem darauf hin, dass manche Gerüchte dem Zeitgeist der 50er und 60er-Jahre geschuldet waren, als es eigenständige und erfolgreiche Frauen noch deutlich schwerer hatten als Männer und sie deutlich mehr Angriffen ausgesetzt waren.
Jacobshagens Callas-Biographie ist trotz gewisser Nüchternheiten eine interessante und gelungene Annäherung an das Stimm- und Bühnenphänomen Maria Callas – die das Potential hat, die große Sängerin auch für unsere Zeit wieder greifbarer zu machen, weil er sie als eine starke Frau schildert, die wusste, was sie konnte und wollte und das in ihrer Kunst und zum Teil auch in ihrem Privatleben erreichte.
Sendung: "Allegro" am 22. September ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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