Zum 85. Geburtstag von Christoph Eschenbach legt Margarete Zander die Biografie des Pianisten und Dirigenten vor. Dass das Buch weniger Pomp, sondern darin vor allem Recherche und Musikalisches steckt, ist ausgesprochen wohltuend. Die Autorin schafft so eine ungewöhnliche wie treffende Charakterzeichnung des großen Musikers. Ein Buchtipp.
Bildquelle: Jaron Verlag
Manche Lebensgeschichten wirken wie für ein Drehbuch erfunden. Die des Dirigenten Christoph Eschenbach ist fast Hollywood-reif. Es ist dabei gleichzeitig so bestürzend wie faszinierend, wie aus einem frühkindlichen und traumatischen Elend in den Wirren des Zweiten Weltkriegs diese große Musikerpersönlichkeit erwächst. Es wirkt fast wie um einer guten Dramaturgie Willen ausgedacht, wie die Musik ihn als Kind quasi rettet und seine reale Retterin – die Adoptivmutter Wallydore Eschenbach – eine so passionierte wie kluge Musikerin und Lehrerin war.
Die Musikjournalistin und Hörfunkautorin Margarete Zander hat diese Geschichte nun aufgeschrieben. "Lebensatem Musik" nennt sie ihr Buch, dem viele Gespräche mit Eschenbach zu Grunde liegen. Und sie vermeidet hier jede Gefahr des pathetischen und das an einen historischen Roman erinnernde Nacherzählen. Zander hangelt sich vielmehr streng an der Musik und ihren Quellen entlang. Eine unglaubliche Recherchearbeit steckt darin. Sie hat zu fast allen Situationen Zitate aus Briefen und Zeitungen, von Weggefährtinnen und Weggefährten. Selbstverständlich auch von Eschenbach selbst.
Und da das Greifbarste, das Wichtigste in der Laufbahn und der Persönlichkeit von Christoph Eschenbach eben die Musik ist, wird diese auch zur erzählerischen Konstante in diesem Buch. Es beginnt mit der Aufführung von Anton Bruckners f-Moll-Messe in Breslau 2024, die der 84-jährige Eschenbach dort dirigiert: In der Stadt, in der er 1940 geboren wurde und aus der er als Vierjähriger vertrieben wurde.
Wir lernen den Vater kennen – einen Lehrer für Dirigieren, Musikästhetik, Musikgeschichte und -theorie. Über dessen Repertoire heißt es: "Es reichte von den Symphoniae sacrae von Heinrich Schütz über Händels ‚Acis und Galathea‘ und ‚Messiah‘, Mozarts c-Moll-Messe und Beethovens ‚Missa Solemnis‘ bis zu den Requien von Brahms und Verdi." Wir lernen die Adoptivmutter Wallydore Eschenbach kennen. Christoph Eschenbach sagt über ihr Klavierspiel: "Jeden Abend spielte meine Mutter zwei, drei Stunden Klavier. So hörte ich Musik von Bach, Beethoven, Chopin, Schubert und Rachmaninow. Sie spielte einfach. Ich denke, es war ihre Art, sich vom Alltag zu befreien. Und ich habe davon profitiert". Und wir lernen ihn selbst kennen, etwa über das etwas eigenwillige Programm, das für seine Kür beim Steinway Wettbewerb in Hamburg auswählte, den er als Zehnjähriger 1950 gewann: ein Werk des zeitgenössischen Komponisten Harald Genzmer und die Sonatine a-Moll von Max Reger. Im Buch heißt es dazu: "Christoph Eschenbach versichert, dass er schon als Kind die Musik von Max Reger wirklich mochte. Rückblickend staunt er aber auch selbst über diese frühe Liebe und antwortet amüsiert auf die Frage, wie es wohl dazu kam: ‚Das frage ich mich heute auch!‘".
Anlässlich seines 85. Geburtstags ehrt BR-KLASSIK Christoph Eschenbach mit einer Sondersendung: Donnerstag, 20. Februar, 18.03 Uhr: "Klassik-Stars"
Pianist und Dirigent: Christoph Eschenbach | Bildquelle: SWR Classic (via YouTube)
Es ist ein sehr ehrlicher Zugriff auf einen Musiker den Margarete Zender hier gewählt hat. Keine Ornamente, keine Szenen, keine künstliche Dramaturgie, sondern Zitate, Zeitungsartikel, sprechende Zeitgenossinnen und Zeitgenossen. Und eben Musik. Genau darin liegt aber auch eine gewisse Gefahr: Diese Form grätscht ihr ab und zu dazwischen. Sie arbeitet sehr journalistisch. Und über die Länge eines Zeitungsdossiers trägt ein solcher Zugriff auf einen Text auch. Über gut 250 Seiten Buch aber wird es rein formal ab und an ein bisschen eintönig. Doch Zender fängt das oft gerade noch ab und bricht hin und wieder aus dem gewohnten Stil aus. Das Kapitel "Freie Entfaltung" über die Jahre 1978 bis 1988, das den Wechsel vom geschätzten und arrivierten Pianisten zum Dirigenten markiert, beginnt sie in Interviewform. Sie druckt auch einen Fragebogen ab, den Eschenbach 1987 für die FAZ mit 37 sehr persönlichen, subjektiven und vor allem nicht-musikalischen Fragen beantwortete. Gut tut auch, wenn sie aus der strengen Chronologie ausbricht und im Kapitel "Entdeckungen" von Begegnungen mit Tzimon Bartu, Renée Fleming oder Lang Lang erzählt.
Anlässlich des Geburtstags von Christoph Eschenbach finden Sie in der ARD Mediathek viele Konzertvideos des Dirigenten – unter anderem mit Werken von Mahler, Beethoven und Schumann.
Die Biografie "Christoph Eschenbach: Lebensatem Musik" ist vielleicht kein Buch, das man in einem Rutsch durchliest. Dafür ist die Form größtenteils doch zu gleichbleibend. Aber wenn man es wie eine Reportage-Serie, ja, wie ein Magazin begreift, in das man hineinblättern kann und kurz von Lang Lang erfährt, wie Eschenbach ihn unterstützte, als er von der Kritik ein eher negatives Feedback bekam oder die Begegnungen – künstlerisch wie menschlich – von Eschenbach und John Neumeier nachlesen kann, ist das ausgesprochen bereichernd und erfrischend.
Und so ist es auch ein bisschen ein Nachschlagewerk: Wann hat Christoph Eschenbach was gemacht? Was sagte Karajan über ihn? Oder wie ging die Laudatio, die Peter Ruzicka ihm zur Verleihung des Ernst-von-Siemens-Musikpreis 2015 hielt? Und was erwiderte Eschenbach zum Dank darauf? Oder welche Kunst, welche Literatur, welche Regisseure mag Eschenbach? Auch das alles ist hier relativ schlank im Originalton notiert – und verrät dann fast am meisten über den Menschen und Charakter Christoph Eschenbach.
Margarete Zander
"Christoph Eschenbach – Lebensatem Musik"
Jaron Verlag Berlin
288 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-89773-180-6
24,00 Euro
Sendung: "Allegro" am 20. Februar 2025 ab 6:05 auf BR-KLASSIK
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