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Chen Reiss über Fanny Hensel Meisterin der Atmosphäre

"Sie war eine Meisterin darin, Szenen zu malen", schwärmt Chen Reiss über Fanny Hensel. Zusammen mit dem Jewish Chamber Orchestra Munich bringt die Sopranistin in Fürth Lieder der Komponistin auf die Bühne.

Chen Reiss | Bildquelle: Paul Marc Mitchell

Bildquelle: Paul Marc Mitchell

BR-KLASSIK: Chen Reiss, es muss eine tolle Kindheit gewesen sein, die Fanny und Felix Mendelssohn hatten. Und doch wurde Felix mehr gefördert als seine Schwester, zumindest als es darum ging, Musik zum Beruf zu machen. Wie wichtig ist es Ihnen, gerade die Lieder von Fanny Mendelssohn zu singen?

Chen Reiss: Ich bin mir sicher, wenn Fanny ein Mann gewesen wäre, wäre sie ganz berühmt. Aber es waren einfach andere Zeiten. Die Eltern, und vor allem der Vater, wollten, dass Felix glänzt und dass die Schwester im Schatten bleibt. Deswegen wurden sogar Lieder, die Fanny komponiert hatte, unter Felix' Namen veröffentlicht. Ich finde, es ist jetzt wirklich an der Zeit, dass wir Fanny endlich für ihre Leistungen würdigen und ihre musikalische Sprache und ihr Talent mit der Welt teilen.

Chen Reiss mit "Fanny und Felix"

Liebe, Natur und Einsamkeit

BR-KLASSIK: Was sind denn Fanny Hensels Themen in ihren Liedern?

Chen Reiss: Es geht nicht nur um die Liebe, aber hauptsächlich schon – wie bei vielen Komponisten aus der Zeit der Romantik. Bei Fanny handeln natürlich sehr viele Lieder von der Natur und davon, wie die Natur die Seele der Menschen und die Liebe spiegelt. Es geht aber auch sehr viel um Einsamkeit. Manche Lieder sind traurig, aber sie hat auch viel Humor. Andere Lieder sind also voll mit Energie und sehr bunt.

Wir haben die Musik von Fanny ausgewählt, weil es einfach gute Musik ist.
Chen Reiss

BR-KLASSIK: Dass die Mendelssohns jüdisch waren, spielte in der Erziehung der Kinder eine relativ kleine Rolle, außer bei der Oma: Die war da ziemlich hinterher. Sie treten hier zusammen mit dem jüdischen Kammerorchester München auf. Ist das Jüdische sozusagen die Verbindung zwischen Ihnen, dem Orchester und den Mendelssohns?

Chen Reiss: Ich finde es sehr interessant zu sehen, wie verschieden Fanny und Felix in Beziehung zur Religion waren, also zum Judentum. In der Musik von Felix höre ich ab und zu jüdische Themen. Zum Beispiel klingt der 2. Satz seiner Zweiten Symphonie für mich jüdisch. In Fannys Musik wiederum höre ich überhaupt keine jüdischen Motive. Aber wir haben die Musik von Fanny ausgewählt, weil es einfach gute Musik ist und nicht, weil sie eine jüdische Komponistin ist.

Felix schaut zurück, Fanny nach vorne

BR-KLASSIK: Finden Sie noch mehr Unterschiede zwischen den beiden? Oder könnte man sie vielleicht auch verwechseln?

Chen Reiss: Ich glaube nicht, dass man sie verwechseln könnte. Ich glaube, jeder hat seine eigene musikalische Sprache. Bei Felix höre ich mehr Verbindung zur Vergangenheit zu Mozart oder überhaupt zum klassischen Stil. Bei Fanny höre ich mehr Verbindung zur Zukunft. Manche Stellen bei ihr klingen für mich wie Wagner – sehr dramatisch. Sie verwendet dunklere Harmonien, die uns einen Ausblick auf die Zukunft geben. Man hört, wie sie für die Musik brennt. Und auch als Person war Fanny sehr feurig und extravertiert.

Die Meisterin der Atmosphäre

BR-KLASSIK: Worauf kommt es stimmlich bei diesen Liedern an?

Chen Reiss: In den Liedern von Fanny gibt es ganz große Bögen und sie lässt die Stimme wirklich blühen. Es macht Spaß, sie zu singen. Besonders in dieser Konstellation: Ursprünglich hat sie die Lieder für Sänger und Klavier geschrieben und der israelische Komponist Tal-Haim Samnon hat sie wunderschön für Kammerorchester bearbeitet. Man hört da sehr viele Farben, was bei Fanny sehr wichtig ist. Sie war eine Meisterin darin, Atmosphäre zu schaffen und Szenen in Musik zu malen. Und wenn ich das singe, kann mir das perfekt vorstellen – diese norddeutschen Landschaften, ganz flach mit weitem Horizont. Man hört das förmlich in der Musik.

Sendung: "Leporello" am 19. Mai 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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