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Kiewer Symphonieorchester im Allgäu "Wir zeigen die Kultur, die Russland töten möchte"

Das Kiewer Symphonieorchester ist auf besonderer Mission durch Deutschland: Während Russland die Ukraine angreift, sollen sie im Ausland die ukrainische Kultur repräsentieren.

Das Kiewer Symphonieorchester im Allgäu | Bildquelle: Axinja Weyrauch

Bildquelle: Axinja Weyrauch

Es ist ein eher ungewöhnlicher Ort für eine Probe eines Symphonieorchesters: Das Schützenhaus in Weissensee bei Füssen ist derzeit voll mit Notenständern, Kontrabässe sind an die Art von Holzstuhl gelehnt, die man wohl aus jedem bayerischen Vereinsheim kennt. Neben einer kleinen Schankecke gibt es eine Bühne, auf der das Kiewer Symphonieorchester nicht genug Platz hätte.

"Es ist sehr hart, sich auf die Musik zu konzentrieren", sagt Oleksii Pshenychnikov, einer der Violinisten. Das liegt aber nicht an der außergewöhnlichen Umgebung, sondern eher an den schlechten Nachrichten aus der Heimat. "Ich habe eine App, die mich bei Luftalarm in Kiew benachrichtigt. Sie sendet mir jeden Tag Pop-Up-Nachrichten. Manchmal zwei Mal am Tag, dreimal am Tag, auch in der Nacht. Dann wache ich auf und sehe, Luftalarm in Kiew", sagt der 23-Jährige.

Kampf an der Kulturfront

Das Kiewer Symphonieorchester | Bildquelle: Axinja Weyrauch Das Kiewer Symphonieorchester probt im Schützenhaus in Weissensee bei Füssen. | Bildquelle: Axinja Weyrauch Die gut 80 Musikerinnen und Musiker des Kiew Symphonieorchesters proben hier derzeit für einige Konzerte in Bayern. "In Kiew können wir nicht proben, weil das Gebäude als strategisches Ziel gilt", sagt Oleksii Pshenychnikov. Anfang April ist der Violinist mit dem Orchester in Kiew aufgebrochen – per Reisebus gen Westen.

Nicht, weil sie fliehen wollten, sondern weil sie eine Mission haben, erklärt Liza Sirenko, die für die Öffentlichkeitsarbeit des Orchesters zuständig ist. "Wir haben eine besondere Erlaubnis von der ukrainischen Regierung, das Land zu verlassen und die ukrainische Kultur zu repräsentieren", sagt Sirenko. Die eigentlich kriegsdienstpflichtigen Männer sind derzeit davon befreit. "Denn wir müssen nicht nur militärisch und gegen Falschinformation kämpfen, sondern auch auf kultureller Ebene. Wir zeigen die Kultur, die Russland töten möchte."

  • Hilfsangebote für ukrainische Künstlerinnen und Künstler finden Sie hier.

Musik ukrainischer Komponisten

Deshalb touren sie durch Europa – waren schon in Polen und in anderen Teilen Deutschlands. Sie haben schon Konzerte in der Elbphilharmonie in Hamburg oder dem Kulturpalast in Dresden gespielt. Über Kontakte sind sie nun im Allgäu gelandet und proben für einige Konzerte in Bayern.

Ihr Programm besteht vor allem aus ukrainischen Komponisten, beispielsweise dem zeitgenössischen Künstler Yevhen Stankovych. "Wir haben wirklich viele hochklassige Komponisten mit hochklassiger Musik", sagt Violinist Oleksii Pshenychnikov. "Sie müssen gehört werden, nicht nur in der Ukraine. Auch in Europa und in der Welt. Das ist unsere Mission."

Man spürt die existenzielle Notwendigkeit jeder Note.
Luigi Gaggero, Dirigent des Orchesters

Zusammen mit dem italienischen Dirigenten Luigi Gaggero feilen die Streicherinnen und Streicher am zeitgenössischen Werk. Immer wieder greift jemand zum Handy, wenn er gerade Pause hat. Manche aus dem Orchester haben ihre Familien mitgebracht, viele Angehörige sind aber daheim geblieben in der Ukraine.

Trotz vieler schlechter Nachrichten ist die Stimmung gut, sagt Dirigent Gaggero. Die Musik gebe auch eine Möglichkeit, mit der Situation umzugehen. "Man kann die Ängste, die Schmerzen in die Musik einfließen lassen." Er sagt, die Arbeit sei intensiver geworden seit Beginn der Invasion. "Man spürt die existenzielle Notwendigkeit jeder Note, die sie spielen. Wir spielen zusammen."

Ende der Mission ungewiss

Wo sie in zwei Wochen sind, wissen Musikerinnen und Musiker nicht. Entweder können sie kurzfristig weitere Konzerte und Unterkünfte organisieren, oder sie kehren in die Ukraine zurück. Weil Violinist Oleksii Pshenychnikov noch studiert, ist er für den Kriegsdienst befreit. Das könnte sich aber in einigen Monaten ändern. Angst, sagt er, habe er nicht mehr. "Nach Monaten dieser Tragödie, nach allem was ich selbst und in den Nachrichten gesehen habe: Ich habe keine Angst mehr."

Sendung: "Leporello" am 10. Mai 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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