Vor wenigen Wochen erst gab Stephen Gould bekannt, dass er an Krebs leide. Hoffnung auf Heilung gab es nicht mehr. Wie die Bayreuther Festspiele heute mitteilten, ist der große Wagnersänger am Dienstag gestorben. Er wurde 61 Jahre alt.
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Unerwartet kommt dieser Tode nicht, überraschend ist allerdings, wie früh er Stephen Gould nun doch ereilt hat. Eigentlich war Gould dieses Jahr wie so oft auf dem Grünen Hügel eingeplant. Gleich drei große Partien hätte er bei den Bayreuther Festspielen singen und einmal mehr als Wagners Marathon-Mann brillieren sollen. Aus gesundheitlichen Gründen musste er die Engagements allerdings absagen. Ende August gab er dann zunächst sein Karriere-Ende bekannt, wenig später folgte die Nachricht über die schwere Krankheit. Die Bayreuther Festspiele reagierten "fassungslos" auf den Tod des beliebten Sängers. Man verliere "einen herausragenden Sänger, Darsteller, Pädagogen, Freund und geschätzten Kollegen", heißt es in der Mitteilung der Festspiele.
Tannhäuser, Siegfried, Tristan sind nur drei der vielen Superhelden aus den Opern von Richard Wagner. Und es sind die absoluten Traumrollen für jeden Heldentenor. Stephen Gould hat sie alle gesungen, Sommer für Sommer in Bayreuth, über 100 Mal.
Als Stephen Gould im Jahr 2004 zum ersten Mal in Bayreuth engagiert wird, ist der Amerikaner knapp über 40 Jahre alt. Also eigentlich nicht mehr wirklich jung, und auch nicht wendig wie ein Hürdenläufer und durchtrainiert sowieso nicht. Würden in der Opernwelt dieselben Gesetze gelten wie in Hollywood, dann wäre dieser Newcomer mit seinen etwas ungelenken Bewegungen, Gould ist über 1,90 m groß, sowas wie der perfekte Antiheld.
Ich war immer eher ein Riesenbaby als Siegfried
Gould lächelt verschmitzt, schenkt einem gerne ein schelmisches Augenzwinkern und ist freundlich und hilfsbereit. Alles Qualitäten, die ihn zu einem beliebten Kollegen machen, in Bayreuth, in Wien, in München, in Tokio.
Als Stephen Gould also in Bayreuth antritt mit dem Tannhäuser, bringt er noch etwas ganz anderes mit, etwas, das mehr wiegt, als der große Bizeps eines Iron-Man: den Willen zu lernen. Sein Deutsch ist noch lausig. Seine herrliche, technisch präzise geführte und durchschlagende Stimme strahlt zwar wie ein polierter Monolith, ist aber bei der komplizierten Akustik im Festspielhaus auch nur die halbe Miete. Aber Stephen Gould lässt sich nicht unterkriegen. Er sucht die Probleme, arbeitet an seinen Fehlern. Gould taucht auch ab in den mystischen Graben und testet die komplexen akustischen Verhältnisse.
Als Siegfried in Bayreuth: Stephen Gould im Jahr 2008 | Bildquelle: picture-alliance/ dpa | Enrico Nawrath/Ho
Und er kniet sich vor allem hinein in Wagners Sprache. Dafür studiert er die verrückten, kreativen Wagnerischen Wortschöpfungen, schließt sie bald ins Herz. Ganz besonders liebt er die Rolle des Tristan. "Wenn ich sterbe ist das Letzte, was durch meinen Kopf geht, ein bisschen Text aus Tristan", sagt er 2022 im Gespräch mit BR-Klassik.
Stephen Gould nimmt sich für Bayreuth das, wovon alle Menschen eigentlich immer viel zu wenig haben, nämlich Zeit: Zeit zum auswendig lernen. Jede Partie studiert er etwa 2 Jahre, Tag für Tag mit einem Coach. Er weiß nämlich, erst wenn der Text ins Fleisch übergegangen ist, bekommt seine Stimme Flügel. Kämpft er hingegen mit jeder "reisigen Meid" mit jeder "Waberlohe", dann ist die Stimme nach ein paar Minuten ruiniert. Stephen Gould nimmt sich auch Zeit für die Proben, jettet während der Bayreuth-Werkstatt nicht munter durch die Welt.
Wagner ist kein Entertainment, Wagner ist ein Mantra
Vielleicht nimmt er sich ein bisschen zu wenig Zeit für sich selbst. Aber als Superheld kann er nicht anders. Er hat ja eine Mission und die heißt: Singen und Geben! Für ihn ist Wagner kein Job, kein Entertainment, sondern Meditation, das Mantra seines Lebens. Allein den Tannhäuser gibt er insgesamt über 130 Mal. Hochgerechnet sind das fast 400 Stunden Musik.
Von außen betrachtet wirkt dieser kräftige Mann darum so, als ob er übernatürliche Kräfte hätte, er ist unerschütterlich wie ein Obelisk. Ermüdungserscheinungen lässt er sich nicht anmerken, das Rezept hat auch schon als Musicalstar gut funktioniert: 3000 Mal "Phantom der Oper" ohne mit der Wimper zu zucken.
Schnell wird Stephen Gould in Bayreuth zum Publikumsliebling. Nicht, weil er über die Bühne hüpft wie ein junger Bock, sondern weil er in seine Stimme die perfekte Mischung aus Kraft und Güte, aus Linienführung, Schmelz und Schmettern legt. Und weil er Wagners Worten Sinn verleiht, sie so ernst nimmt, als stünde der Meister mit erhobenem Zeigefinger hinter ihm und würde ihn zur Textverständlichkeit ermahnen. "Erst wenn man Sicherheit hat in der Technik und im Text, kann man Kunst machen. Dann kann jede Vorstellung zum einmaligen Experiment werden", das ist Goulds Überzeugung.
Dabei singt er längst nicht nur Wagner. Zuletzt im Jahr 2020 wird er in Wien im "Otello" gefeiert. Sein Italienisch klingt überraschend weich, sämig, süffig und seine Vokale tönen dabei geradezu offensiv geöffnet. In Wien wird Stephen Gould auch zum "Österreichischen Kammersänger" ernannt. Über 100 Vorstellungen an der Wiener Staatsoper singt er. In Wien hat der Amerikaner auch für viele Jahre einen zweiten Wohnsitz, weil er sich so gerne mit der deutschen Sprache umgibt.
Im Sommer 2022, so erscheint es im Nachhinein, hat sich Stephen Gould in Bayreuth noch einmal so verausgabt, als ob es kein Morgen gäbe: Drei Superheldenrollen in nur sechs Wochen Festspielzeit. Das sind jeweils knapp 15 Stunden Oper im Gedächtnis, auf den Stimmbändern, in den Knochen. Eine Mega-Herausforderung, allein schon konditionell.
Es ist nicht die Frage, wie lang wir leben, sondern wie gut
Als man ihn damals zum Interview trifft für seine Rolle in "Tristan und Isolde" und ihn darauf anspricht, ob ihn das Ping-Pong zwischen Siegfried, Tannhäuser und Tristan nicht anstrenge, erklärt er, er warte gerade auf zwei neue Knie. Wenn die erst mal eingesetzt seien, könne er wieder flotter über die Bühne springen. Und auch in der Liebesszene mit Isolde müsse er dann nicht mehr so auf Distanz gehen. "Das Verrückte bei den Wagnerrollen ist ja, die Stimmbänder laufen erst dann richtig gut, wenn man eigentlich kaum noch laufen kann", sagt er ironisch. Dann lacht er über sich und fügt mit seiner warmen, dunklen Sprechstimme hinzu: "Es ist nicht die Frage, wie lang wir leben, sondern wie gut."
Stephen Gould hat, so wirkt es, ein gutes Leben geführt. Allein schon, weil er sein Publikum immer und immer wieder mit dieser einzigartigen Mischung aus Tiefe, Aufrichtigkeit und Herzenswärme begeistern konnte.
Sendung: "Allegro" am 21. September 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (6)
Sonntag, 24.September, 22:04 Uhr
Kazuko Xeniadis
Stephen Gould
Zum ersten Mal hoerte ich Das Rheingold Loge von Stephen Gould im Oktober 2015 in Tokyo NNTT. Es war eine wundervollen Leistung. Ich traeumte davon, sein Loge in Ruropa noch einmal zu hoeren. Ich werde Stephen Gould*s geliebten Tristan,Tannhaeuser nie vergessen.
Ausserdem ist es Schade, das ich sein Lohengrin seit 2014 in Hamburg nicht hoeren konnte.
Das este Mal hoerte ich Stephen Gould als Siegfried in Wien 2008. Damals war es eine Buehne,die mich an meinen geliebten Leo Slezak erinnerte, und seitdem habe ich ihm viele Male Auftreten hoerte. Alles, tief in meinem Herzen bleiben.
Donnerstag, 21.September, 15:24 Uhr
Joyce Anna Gunzenhäuser-Herold
Stephen Gould
Er bleibt für immer und ewig der König ?
Donnerstag, 21.September, 12:24 Uhr
Sigrun Härtzsch
Stephen Gould
Vor der Pademie sang er auch in Karlsruhe. Wir kannten ihn von vielen ergreifenden Darstellungen in Bayreuth. Unser Gespräch im Badischen Staatstheater damals drehte sich um zukünftige Aufgaben. Da sagte er zu mir, "meine Traumrolle ist immer schon LOHENGRIN gewesen, aber schauen Sie mich doch an, das geht einfach nicht!"
Donnerstag, 21.September, 10:03 Uhr
Fred Keller
R i P Stephen GOULD
Ein menschlicher und künstlerischer Verlust!
R i P
Donnerstag, 21.September, 07:42 Uhr
Hauke Grundmann
Sehr traurig
Ich habe ihn in Bayreuth in seinen Paraderollen Tannhäuser und Tristan gesehen. Sein unvergleichbarer Heldentenor machte es zu einem Erlebnis und musikalisch zu ganz großen Opernabende, wie es sie leider nur noch wenige gibt. Er wird sehr fehlen.
Mittwoch, 20.September, 19:11 Uhr
Claudia
Sehr tragisch
Nicht live gehört, aber da war etwas Besonderes in der Stimme und Ausstrahlung. Die feine Art sieht und hört man in youtube bei einer master class Einspielung in den US.