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Kritik – "Dido" und "Erwartung" an der Bayerischen Staatsoper Wie schön ist Schönberg?

Ein ungewöhnlicher Doppelabend an der Bayerischen Staatsoper verbindet Barock und Moderne. Arnold Schönbergs "Erwartung" trifft auf Henry Purcells "Dido und Aeneas". Die beiden ungleichen Hauptrollen singt dieselbe Sängerin: Die litauische Sopranistin Aušrinė Stundytė ist extrem gefordert. Und Regisseur Krzysztof Warlikowski bedient sich mal wieder in der Kinogeschichte. Wie passt das zusammen?

"Dido und Aeneas ... Erwartung" an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Bernd Uhlig

Bildquelle: Bernd Uhlig

Den frühen, spätromantischen Schönberg, den von "Verklärte Nacht", den mögen eigentlich fast alle Klassikfans. Um den späten Schönberg, den Erfinder der 12-Ton-Musik, machen dagegen viele einen großen Bogen. Doch nach dem süffigen Wohlklang und vor der anstrengenden 12-Ton-Musik kommt noch was dazwischen. Und das ist – für mich jedenfalls – das Beste, was er gemacht hat. Es ist die Phase der Freiheit. Ab 1908 löst sich Arnold Schönberg von der Tonalität. Aber er sperrt die Klänge noch nicht in ein zwanghaftes System ein. Stattdessen schreibt er Musik der unbegrenzten Möglichkeiten. In dieser Zeit entsteht seine Kurzoper "Erwartung". Es ist eines der aufregendsten Musikstücke des 20. Jahrhunderts. Bunt wie der Impressionismus, sinnlich wie Richard Strauss, wütend wie die Avantgarde. Dabei immer auf dem Sprung, assoziativ wie ein Bewusstseinsstrom. Schocks und Nostalgie verbinden sich zu einer Art Psycho-Tonmalerei. Das Orchester leuchtet in krassen, verführerischen, in jeder Sekunde das Ohr fesselnden Farben.

Live auf BR-KLASSIK

Verfolgen Sie den Opernabend "Dido und Aeneas...Erwartung" aus der Bayerischen Staatsoper. Am 1. Februar 2023 ab 18:30 Uhr live auf BR-KLASSIK.

Regisseur Warlikowski setzt auf Maximalkontrast

"Dido und Aeneas ... Erwartung" an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Bernd Uhlig "Dido und Aeneas" und "Erwartung" an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Bernd Uhlig Und dieses absolute Meisterwerk wurde gestern zum allerersten Mal überhaupt an der Bayerischen Staatsoper gespielt! Das war allerhöchste Zeit. Das Gute an dieser mehr als 100jährigen Verspätung: Der Abstand bringt Gelassenheit. Schönberg hat jetzt wirklich jeden Schrecken verloren. Dank Dirigent Andrew Manze klingt er auch so gar nicht mühsam oder pflichtschuldig wie sonst oft. Sondern so lustvoll, als würde das Staatsorchester nichts anderes und nichts lieber spielen als das. Und was für eine großartige Sängerin ist Aušrinė Stundytė! Sie ist die namenlose Frau, die einzige Figur dieser Solo-Oper. Nachts irrt sie durch den finsteren Wald, um schließlich über die blutige Leiche ihres Geliebten zu stolpern. Den hat sie offenbar selbst ermordet, aus Eifersucht. Aber womit kombiniert man diesen Einfiguren-Einakter? Regisseur Krzysztof Warlikowski setzt auf Maximal-Kontrast: Die frühbarocke Kurzoper "Dido und Aeneas" von Henry Purcell bildet den Auftakt zu einem ohne Pause gespielten, knapp zweistündigen Doppelpack. Eine ziemlich weit gespannte Brücke über zweieinhalb Jahrhunderte, aber sie trägt.

Mythos und Horror-B-Movie

Purcells "Dido" kommt vom Mythos, Schönbergs namenlose "Frau" von der Psychoanalyse. Zusammen finden sie in der außergewöhnlichen Sängerin Aušrinė Stundytė, die beide Hauptrollen singt. Träume und Ängste bestimmen beide Geschichten, unmögliche Liebe und Tod. Krzysztof Warlikowski, der mit diesem Abend schon seine siebte Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper abliefert, bedient sich wie so oft beim Film. Diesmal verlegt er die Handlung in einen surrealen Horror-B-Movie der 70er Jahre. Ein Bungalow steht schräg im Wald. Aeneas, stimmlich kraftvoll, aber recht ungeschmeidig gesungen von Günter Papendell, trägt lange Hippie-Haare und Schlaghose. Apfel kauend repariert er das Auto und kapiert nicht, was psychisch los ist mit seiner Geliebten Dido. Die stirbt fast vor Angst vor den schrillen, untoten Gestalten, die hier rumspuken. Purcells Hexen, die das Liebespaar ins Unglück stoßen, sind eine quietschbunte Vampir-Grusel-Truppe, wie aus einer Travestie-Show der frühen 70er entlaufen. Herausragend als Zauberin singt der Countertenor Key’mon Murrah. Soviel böser Energie ist Dido nicht gewachsen. Nach einer ergreifenden Arie ersticht sie sich und verschwindet im orangenen Leichensack.

Breakdance und Psychoanalyse

"Dido und Aeneas ... Erwartung" an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Bernd Uhlig "Dido und Aeneas...Erwartung" an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Bernd Uhlig An den Schlussakkord in wahrhaft magischem Pianissimo schließt sich ein Zwischenspiel. Zu elektronischen Klängen gibt die Hexen-Truppe ziemlich spektakulär guten Breakdance zum Besten. Dazu rast eine Videoinstallation suggestiv durch eine Art Zeittunnel. Das ist sehr hübsch anzusehen, wenn auch inhaltlich nicht wahnsinnig ergiebig. Währenddessen knutscht Aeneas mit Didos Freundin. Die ersteht furios eifersüchtig von den Toten auf und erschießt beide. Damit sind wir schon im nächsten Drama – Schönbergs "Erwartung". Logisch ist die Verknüpfung natürlich nicht, Warlikowski inszeniert ja eh in surrealen Traumsequenzen. Oder ist es eine psychoanalytische Sitzung? In Großaufnahme sieht man Aušrinė Stundytės mal angstvoll aufgerissene, mal traumverloren geschlossene Augen, während sie im Bungalow zwischen den beiden Leichen hin und her taumelt. Am Schluss erwachen auch diese Toten wieder – ein atmosphärisch wirkungsvolles Rätselspiel, das allerdings gelegentlich ins Kunstgewerbliche kippt.

Zweisprachig idiomatisch: Andrew Manze

Musikalisch ist der Abend insgesamt exzellent. Dirigenten, die sowohl Barockmusik als auch Schönberg so idiomatisch sicher beherrschen wie Andrew Manze, gibt’s wirklich selten. Wobei man am weichen, bei Purcell etwas wattigen Sound des Staatsorchesters schon merkt, dass hier kein Barockorchester spielt. Vor allem der Chor enttäuscht: Das müsste schlanker klingen. Auch Aušrinė Stundytė überzeugt bei Purcell mit ihrer heftig intensiven Riesenstimme deutlich weniger als bei Schönberg. Den allerdings singt sie überragend. So schön ist Schönberg!

Klicktipp

Ein ausführliches Dossier zum Thema "500 Jahre Bayerisches Staatsorchester" finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 30. Januar 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (4)

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Donnerstag, 02.Februar, 19:05 Uhr

euphrosine

aus zwei mache eins

Interessant (wenn auch gruselig), akustisch zu erleben, dass die exaltierte Dauer-Hysterie in Avantgarde-Kreisen vor einem Jahrhundert anscheinend wirklich „voll angesagt“ war.
Und: Dem Regisseur gelingt es tatsächlich, dies mit den sehr schnell wechselnden und ungemein vielfältigen Seelen-Extremen verschiedenster Art des Barockstücks zusammenzubringen.
Der Trick ist so einfach wie genial: Man macht letzteres einfach platt.
Lässt schlicht weg, was unpassend scheint, und so ist Dido bereits von Anfang an völlig verstört und beobachtet etwa leidend, aber nicht weiter davon affiziert (wie sollte das auch noch möglich sein), wie ein belangloser Aeneas mit ihrer Vertrauten herumvögelt. Der Suizid – erweitert oder auch nicht – steht da von Anfang an mehr als plakativ im Raum, und wieso sich da noch allerlei Zaubervolk trifft, um gegen dieses zutiefst armselige Geschöpf zu konspirieren, ist inhaltlich ziemlich hanebüchen. Szenisch aber das Highlight; immerhin etwas.

Mittwoch, 01.Februar, 12:43 Uhr

Otto

Dido

Ein toller Abend, Warlikowski wieder genial !
Schaue und höre ich mir nochmal an, gerne ohne die alten weißen Männer ....

Montag, 30.Januar, 19:17 Uhr

Wolfgang

Und auch die arme "Dido"...

...wurde anscheinend - ein Bild sagt wieder mehr als tausend Worte des Kritikers - in der üblichen Weise verhunzt.

Die Menschen in Alltagskleidung und ein Auto (tausendmal gesehen, tausendmal nicht gemocht) passen einfach nicht zum antiken Stoff.

Nicht nur Wagneropern sind gesamtkunstwerklich angelegt. Wenn die visuelle Ebene der sängerisch-textlichen und auch der akustischen Ebene widerspricht, ist der ästhetische Genuss automatisch gemindert.

Und die Zwangsgemeinschaft mit einem hässlichen Werk wie "Erwartung" dürfte dann der "Dido" den Rest gegeben haben. Der Selbstmord war also überflüssig...

Montag, 30.Januar, 19:06 Uhr

Wolfgang

Ich halte es mit Richard Strauss...

...der über den nachtonalen Schönberg sagte, er wäre besser dran, sein Geld durch Schneeschippen zu verdienen, als seine Kompositionen auf die gebeutelte Menschheit loszulassen.

Auch die vor seiner "Zwölftonphase" durchlaufene"freie atonale Phase" Schönbergs, die der Kritiker vorgibt zu mögen, erscheint mir als eine Totgeburt.

War etwas anderes zu erwarten? Die Sprache der abendländischen Musik war über Jahrhunderte gewachsen. Zu glauben, man könne die Regeln über den Haufen werfen, und noch verständliche Werke schreiben, erscheint mir nicht nur hochgradig naiv, sondern fast schon verrückt.

Schönberg hat die zweifelhafte Ehre, der Urvater all jener ewigen "Avantgardisten" zu sein, die niemals ankommen. Man kann sich nur wundern, dass dieser Spuk schon über hundert Jahre andauert und man noch immer noch Opfer findet, die ihr Geld in einen solchen Opernabend investieren.

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