Verdis letzte Oper "Falstaff" kommt bei den Salzburger Festspielen auf die Bühne, mit Gerald Finley in der Titelrolle. Am Pult der Wiener Philharmoniker steht Ingo Metzmacher, es inszeniert Regisseur Christoph Marthaler. Was erwartet das Publikum?
Bildquelle: Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Nach "Macbeth“ nun der "Falstaff": In diesem Sommer stellen die Salzburger Festspiele das Alpha und das Omega von Giuseppe Verdis Shakespeare-Vertonungen einander gegenüber. Auf das zwischen Ehrgeiz und Schicksalsglauben hin- und hergerissene, verbrecherische "Power Couple", das in Krzysztof Warlikowskis Inszenierung auch von seiner Kinderlosigkeit angetrieben wird, folgt der feiste Ritter: Genießer und Schwerenöter, abgehalfterter Adeliger und Relikt aus einer anderen Zeit, den das Bürgertum tüchtig verspottet – und der am Ende doch auch mitlachen kann. Für dieses Buffa-Finale von Verdis Opernschaffen holt Markus Hinterhäuser den Schweizer Regisseur Christoph Marthaler nach Salzburg zurück.
Sie schufen mit "Falstaff" ein Glanzstück des Opernrepertoires: Arrigo Boito (links) und Giuseppe Verdi (rechts) | Bildquelle: Wikimedia Commons "Falstaff", 1893 an der Mailänder Scala uraufgeführt, basiert auf Shakespeares "Lustigen Weibern von Windsor", angereichert um Szenen aus "Heinrich IV.". Im Zentrum steht Sir John Falstaff, den der Librettist Arrigo Boito literarisch überaus kunstvoll und klug als Relikt einer schon vergangenen Epoche porträtiert. Zusammen mit Verdis mosaikartiger, in perfektem Timing schillernder Musik ergibt das eine altersweise Komödie über einen alles andere als altersweisen, sondern unverbesserlichen Schwerenöter, der freilich gerade durch seine Torheiten jung gebliebenen ist: ein Geniestreich des Duos Boito/Verdi und ein von leiser Wehmut durchzogenes Glanzstück in den Kronjuwelen nicht nur des italienischen Repertoires.
Das Kreativ-Team der "Falstaff"-Inszenierung in Salzburg: Malte Ubenauf, Anna Viebrock, Christoph Marthaler und Ingo Metzmacher (v.l.n.r.) | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Jan Friese Bei den Salzburger Festspielen stand Verdis "Falstaff" zuletzt vor zehn Jahren auf dem Spielplan, mit Ambrogio Maestri in der Titelrolle, Zubin Mehta am Pult und in einer Inszenierung von Damiano Michieletto: Er hat damals die Handlung auf poetische Weise mit den Interaktionen in der "Casa Verdi" überblendet, dem Altersheim für bedürftige Künstlerinnen und Künstler also, das der Komponist einst gestiftet hat. Bei dieser Neuproduktion gibt nun ein anderer formidabler Sänger und Charakterdarsteller den Falstaff: Gerald Finley, bei den Festspielen zuletzt in Aribert Reimanns "Lear" gefeiert und international etwa neben dem Jago in "Otello" auch als Wagners Hans Sachs, Amfortas und bald Holländer tätig. Und wie damals Michieletto holen sich nun auch Christoph Marthaler und sein eingespieltes Team, zu dem die Bühnenbildnerin Anna Viebrock und der Dramaturg Malte Ubenauf gehören, Inspiration von außen – und zwar in der Filmgeschichte.
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Kinosessel auf der Bühne: Die Neuinszenierung der Oper "Falstaff" bei den Salzburger Festspielen hat am 12. August 2023 Premiere. | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Ruth Walz Marthalers letzte Arbeit in Salzburg ist noch länger her als der letzte "Falstaff": 2011, in Markus Hinterhäusers Jahr als Interims-Intendant, hat der Schweizer Regisseur hier Leoš Janáčeks "Sache Makropoulos" inszeniert. Anna Viebrocks riesiger Gerichtssaal, Angela Denokes Auftritte als untote Diva im von Piet Mondrian inspirierten Kleid, aber auch die komische stumme Szene einer Putzfrau zu Beginn, die in einem gläsernen Raucherzimmer spielte und nur durch Übertitel verständlich war, haben sich eingeprägt. Dass Verdis "Falstaff" vor Verkleidungen, vorgespiegelten Identitäten und falschen Gefühlen nur so wimmelt, also in gewisser Weise von vornherein Theater auf dem Theater darstellt, hat Christoph Marthaler nun dazu inspiriert, diesen Aspekt ins Zentrum zu rücken, ja ihn zu "potenzieren", wie es Malte Ubenauf ausdrückt.
Orson Welles im Film "Falstaff" von 1965 | Bildquelle: picture alliance / Everett Collection
Zum Dreh- und Angelpunkt wird dabei Orson Welles, in späteren Jahren zumindest äußerlich selbst eine Art Falstaff. 1965 hat der US-amerikanische Schauspieler, Regisseur und Autor eine Filmfassung aus Shakespeares Falstaff-Szenen gedreht. "Vor dem Hintergrund des Films von Orson Welles, der selbst Falstaff spielt, findet sich dann bei uns in gewisser Weise ein zusätzlicher Regisseur auf der Bühne", verrät Marthaler. "In der Geschichte inszenieren ständig Leute sich selbst und andere – das ist ein wesentliches Merkmal. Ich finde es toll, wie die Sängerinnen und Sänger dies umsetzen, denn auch in ihrem Zusammenspiel ist die gegenseitige Inszenierung wesentlich."
Hinzu kommen noch Aspekte aus dem späten, teilweise autobiografisch inspirierten Welles-Film "The Other Side of the Wind", der von einem berühmten Filmregisseur, seinem versuchten Comeback und rätselhaften Tod handelt. Welles konnte den Streifen mit John Houston in der Hauptrolle damals zwar noch abdrehen, starb aber 1985, noch vor Fertigstellung des Schnitts. Erst 2018 erlebte eine komplettierte Fassung ihre Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig.
Regisseur Christoph Marthaler spricht bei den Salzburger Festspielen 2023 über seine Inszenierung der Verdi-Oper "Falstaff" | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Jan Friese Salzburgs neuer "Falstaff" bringt also ein Filmset auf die Riesenbühne des Großen Festspielhauses, das ein kalifornisches Outdoor-Atelier ebenso zeigt wie die obligatorische Kneipe. "Das Filmteam hantiert zwar mit Kameras, es wird aber in Wirklichkeit nichts aufgezeichnet", sagt Bühnenbildnerin Anna Viebrock: "Man weiß auch nicht immer: Gehört das nun zur Handlung, oder ist das gerade vielleicht nur eine Probe?" Christoph Marthaler meint dazu: "In der Geschichte gibt es unglaublich viel Verwirrung, es greift alles ineinander." Daran, dass Verdis Stück eine Komödie im eigentlichen Sinne sei, glaubt er ohnehin nicht, schon gar nicht nach unseren heutigen Begriffen – und er findet "bei dieser Oper ist die Musik das weitaus Interessanteste".
Von der Musik ist natürlich auch Ingo Metzmacher fasziniert. Der deutsche Dirigent war in Salzburg bislang eher auf die Moderne abonniert und Garant für packende Aufführungen von Werken Luigi Nonos, Bernd Alois Zimmermanns, Friedrich Cerhas oder Wolfgang Rihms. Dass ihm Markus Hinterhäuser den "Falstaff" angeboten hat, sei "schon eine Überraschung" gewesen, gibt er zu. Aber andererseits hat der frühere Generalmusikdirektor der Staatsoper Hamburg schon viel Verdi dirigiert – und freut sich auf die "große Herausforderung, dieses Werk gerade mit den Wiener Philharmonikern zu machen". Der "Falstaff" sei für ihn "eine Fundgrube an Ideen", erklärt Metzmacher: "Ich glaube, Verdi wurde bei aller formalen Planung des Gerüsts in seiner Lust am Komponieren immer gespeist von der Figur des Falstaff als anarchischem Geist, der seinen Launen nach dem Motto nachtgibt: Man muss den Moment genießen und die Möglichkeiten, die sich einem bieten, ergreifen. Davon hat sich auch Verdi leiten lassen. Er hat diese Oper im Grunde aus Spaß nur für sich selbst geschrieben."
Verdi hat diese Oper aus Spaß nur für sich selbst geschrieben.
Und von noch etwas ist er überzeugt: "Verdi hat vom Schluss her, also mit der Fuge angefangen, zu komponieren und wusste vorab, dass das Stück damit endet. Das wird auch beim formalen Vergleich von Anfang und Ende der Oper deutlich." Und Christoph Marthaler findet: "Die Fuge ist ein geniales Ende und lässt über der vordergründigen Auflösung des Texts alles offen: Nachdem alles aus den Fugen ist, endet es mit einer Fuge."
Sendung: "Leporello" am 11. August 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Sonntag, 13.August, 13:51 Uhr
Chiquita
Falstaff
Da ist seit der Bananenschale nichts mehr passiert bei Marthaler.