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Ganztagsbetreuung und Musikschule Das Zeit-Dilemma

Mehr Zeit in der Schule, weniger Zeit fürs Instrument: Immer mehr Grundschulkinder werden ganztags betreut. Anschließend noch zum Klavier- oder Gitarrenunterricht zu gehen und täglich zu üben, wird für viele Kinder zur Herausforderung. Darauf reagieren die Musikschulen.

Erwachsenenhände und Kinderhände üben am Klavier | Bildquelle: picture alliance / dpa Themendienst | Florian Schuh

Bildquelle: picture alliance / dpa Themendienst | Florian Schuh

"Komm, wir probieren es noch mal." Geduldig zeigt die Klavierlehrerin auf die Noten, zweiter Finger aufs C, genau, schön im Mezzopiano, und los. Mein Siebenjähriger legt die Finger auf die Tasten, atmet ein – und kriegt einen Lachanfall. Es ist Freitag Abend, seit elf Stunden ist er auf den Beinen, erst Grundschule, dann Hortbetreuung bis kurz vor fünf. Kein Wunder, dass seine Konzentration aufgebraucht ist. Die Klavierlehrerin nickt verständnisvoll. Machen wir Schluss für heute, bis nächste Woche bitte das Menuett üben. Während wir zusammenpacken, meldet sich (mal wieder) mein schlechtes Gewissen. Weil meine langen Arbeitstage verhindern, dass mein Sohn zu einer kindgerechten Uhrzeit in die Musikschule gehen kann. Weil er so gern Klavier lernen will – und wir im turbulenten Familienalltag kaum Zeitfenster für die Musik finden.

Beruf, Schulalltag und Musik - eine Herausforderung für alle

Kind übt Klavier, Mutter arbeitet am Laptop | Bildquelle: picture-alliance/dpa Für berufstätige Eltern ist es oft schwer, Arbeit, Schulalltag und die Musikausbildung der Kinder unter einen Hut zu bekommen. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Kann das überhaupt gehen, Ganztagsbetreuung und Instrument? Und wenn ja, wie? Ich frage im Bekanntenkreis. Eine Freundin erzählt mir, wie sie ihre sechsjährige Tochter in ihrer Arbeitszeit schnell zum Klavierunterricht bringt und währenddessen im Musikschulfoyer den Laptop aufklappt, um kein Meeting zu verpassen. Ein Vater meint resigniert: "Mein Sohn will Trompete lernen. Aber wir arbeiten im Schichtdienst und bekommen es einfach nicht organisiert."

Was mir Bekannte schildern, beobachtet auch Markus Lentz, Leiter der Musikschule Grünwald und Vorsitzender des Verbands Bayerischer Sing- und Musikschulen (VBSM). "Was wir feststellen, ist einfach die eingeschränkte Zugänglichkeit zur Musikschule. Immer mehr Kinder können erst nach dem Ganztag oder nach der Hortzeit in die Musikschule kommen. Und dann sind sie im Grunde genommen ausgepumpt, also kaum noch aufnahmefähig."

Nach dem Ganztag sind die Kinder kaum noch aufnahmefähig.
Markus Lentz, Musikschulleiter

Musikschulen reagieren mit Angeboten

Später Musikschulunterricht und müde Kinder – das Problem könnte sich in Zukunft noch verstärken, befürchtet Markus Lentz. Ab 2026 haben alle Grundschulkinder in Deutschland das Recht auf eine Ganztagsbetreuung. Der VBSM geht davon aus, dass Grundschülerinnen und -schüler also in Zukunft mehr Zeit auf dem Schulgelände verbringen werden. Für außerschulische musische Bildungsangebote bleibt weniger Raum. Gleichzeitig ist es genau das Grundschulalter, in dem die meisten Kinder anfangen möchten, ein Instrument zu lernen.

Das Fazit der Musikschulen: Wenn künftig immer weniger Kinder zur Musikschule kommen können, muss die Musikschule eben zu den Kindern kommen. Sprich, musikalische Bildung muss in die Ganztagsbetreuung integriert werden.

Instrumentalunterricht im Ganztag: In Neuried funktioniert das Konzept

Wie das im Schulalltag funktionieren kann, zeigt die Gemeinde Neuried südwestlich von München. Hier teilen sich die Grundschule und die Musikschule ein Gebäude. So können die Kinder nachmittags aus der Betreuung ganz bequem zum Instrumental- und Vokalunterricht kommen, ohne den Ort zu wechseln – und ohne dass die Eltern während der Arbeitszeit Taxi spielen müssen. Etwa 150 Schülerinnen und Schüler nutzen das Angebot der Musikschule Neuried derzeit. Ein weiterer Vorteil: Weil Grund- und Musikschule so eng zusammenarbeiten, können die Kinder der 3. und 4. Klasse einmal pro Woche gemeinsam im Ensemble spielen, was wiederum die Klassengemeinschaft stärkt. Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus würdigt die musikalische Arbeit in Neuried durch die Verleihung des Profils "Musikbegeisterte Grundschule".

Erfolgreich üben - so geht's

Wann ist Üben wirklich effektiv? Wie festigt sich Geübtes im Gehirn? Ist ein Übetagebuch sinnvoll? Und: Warum verschlechtert sich die Leistung bei einem "zuviel"? Wir haben die wichtigsten Tipps für erfolgreiches Üben.

Unterschied Ensemble- und Einzelunterricht

Kinder machen in der Schule gemeinsam Musik | Bildquelle: picture-alliance/dpa Kinder spielen in der Schule gemeinsam im Ensemble. Immer mehr Musikschulen passen ihre Angebote an die Ganztagsbetreuung an. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Auch viele andere Musikschulen in Bayern haben ihr Angebot bereits an die Ganztagsbetreuung angepasst: mit Sing-, Streicher- oder Bläserklassen, Percussiongruppen oder Orchesterarbeit direkt in der Grundschule. Ganztagsbetreuung als Chance, Musik für alle Kinder zugänglich zu machen – ein schöner Gedanke. Gerade jetzt, wo an bayerischen Grundschulen der reguläre Musikunterricht gekürzt wird. Ich stelle fest, dass es meistens Gruppen- beziehungsweise Ensembleunterricht ist, der im Ganztag angeboten wird. Lehrkräfte für Einzelunterricht an Geige, Klarinette, Klavier und Co. an die Grundschulen zu schicken, ist eben noch mal ein ganz anderer Aufwand – und braucht entsprechende Räumlichkeiten.

VBSM fordert musische Bildung als Bestandteil von Ganztagsbetreuung

Kooperationen zwischen Grund- und Musikschulen gelingen nicht von allein. Damit musikalische Bildung fester Bestandteil im Ganztag werden kann, müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen, fordert der VBSM. Im April hat er dazu das "Forderungspapier Ganztag" veröffentlicht und fasst zusammen: Schulen und Musikschulen müssen auf Augenhöhe zusammenarbeiten. In den Schulen müssen geeignete Räume und Instrumente zur Verfügung stehen. Die Musikschullehrkräfte müssen speziell für Ensembleunterricht ausgebildet werden, am besten schon während des Studiums. Auch Grundschullehrkräfte müssen befähigt und ermutigt werden, mit den Schülerinnen und Schülern Musik zu machen. Und es muss geklärt werden, wer erhöhte Personalkosten tragen soll, etwa wenn Musikschullehrkräfte zwischen verschiedenen Grundschulen pendeln. Derzeit beteiligt sich der Freistaat Bayern mit 15% an den Kosten für Musikschulunterricht, den Großteil zahlen kommunale Träger und die Familien über die Musikschulgebühren. Es gibt also noch einige Hürden zu überwinden, damit alle Kinder in der Ganztagsbetreuung an Musikangeboten teilnehmen können.

Kinder brauchen Zeit zum Üben

Gehen wir mal davon aus, dass das Konzept "Musikschulunterricht im Ganztag" erfolgreich ausgebaut wird und mein Sohn in Zukunft Klavierunterricht während seiner Hortzeit bekommen kann. Wie sieht's dann aus mit dem täglichen Üben? Denn das ist schließlich das A und O, um besser auf dem Instrument zu werden. "Ein großes Thema", bestätigt Markus Lentz. "Hier sind die Eltern gefragt, mit den Kindern Zeiten zu finden." Das sagt sich so leicht. Denn wie bereits erwähnt: Der Schul- und Horttag ist lang, die freie Zeit Zuhause knapp. Vielleicht gleich morgens vor der ersten Schulstunde? Wir brechen den Versuch nach einer Woche ab. Beim Musizieren ständig auf die Uhr schielen müssen, um ja pünktlich aus dem Haus zu kommen, ist einfach unbefriedigend. Dann vielleicht nachmittags im Hort? Fehlanzeige, dort steht kein Klavier. Bleibt nur der Abend. Aber versuchen Sie mal, einen ausgepowerten Schulanfänger dazu zu bewegen, jetzt bitte noch zehn Mal den Akkordwechsel zu üben.

Oft keine Begleitung der Eltern beim Üben

Ein kleines Mädchen übt Cello. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ein Mädchen spielt allein Cello. Nicht immer können die Eltern beim Üben dabei sein. Darauf reagieren die Musikschullehrkräfte. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Dabei läuft es bei uns noch vergleichsweise rund. Ich bin im Unterricht dabei, weiß, was besprochen wurde und kann meinem Sohn beim Üben helfen. Doch während der Ganztagsbetreuung gehen die Kinder allein in den Instrumental- oder Vokalunterricht. Viele Eltern können auch beim Üben nicht immer danebensitzen. Dass wissen die Musikschullehrerinnen und -lehrer – und reagieren darauf. "Unsere Aufgabe ist es oft, dass wir den Kindern beibringen, wie sie allein üben können", erzählt Markus Lentz. Damit das selbständige Üben Zuhause klappt, schreiben die Lehrkräfte ausführliche Notizen ins Notenheft, entwerfen Übepläne oder sind sogar unter der Woche übers Smartphone erreichbar, falls Fragen aufkommen.

Unsere Aufgabe ist es oft, dass wir den Kindern beibringen, wie sie allein üben können.
Markus Lentz, Musikschulleiter

Das Durchhaltevermögen am Instrument sinkt

Aber wenn die Unterstützung von Zuhause fehlt, wird es für viele Kinder auf Dauer schwierig. "Das Interesse an Musik ist nach wie vor groß, wir haben sehr viele Neuanmeldungen, aber wir merken, dass das Durchhaltevermögen abnimmt", so Markus Lentz. Eine kritische Phase sei vor allem der Übertritt von der 4. Klasse zur weiterführenden Schule. "Dann wird gesagt: Jetzt müssen wir was für die Schule machen, Musik ist gerade nicht so wichtig." Mit dem Ergebnis, dass viele Kinder nach der Grundschule ihr Instrument aufgeben. Es sei denn, sie konnten früh eine besondere Bindung zur Musik aufbauen, etwa durch das Ensemblespiel. Deshalb sieht es Markus Lentz als wichtige Aufgabe der Musikschulen an, "Kinder zum gemeinsamen Musizieren zu befähigen." Was sich in die Ganztagsbetreuung ja wunderbar integrieren lässt.

Mein Sohn sitzt zum Glück nach wie vor gern am Klavier. Für unser Jonglieren mit Ganztag und Musikschule haben wir inzwischen einen Kompromiss gefunden: Der Klavierunterricht findet jetzt ganz entspannt am Samstag Vormittag statt. Nur die knappe Zeit zum Üben ist bei uns leider nach wie vor Thema.

Sendung: "Leporello" am 3. März 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Dienstag, 07.Mai, 16:28 Uhr

Miss Moneypenny

TIME IS MONEY

Exzellent, wie die Autorin hier unsere Gesellschaft vorführt, insbesondere den Stellenwert von Elterschaft und Kindern !!!

Glücklich die wenigen Eltern, die sich Teilzeit leisten können.
Für eine große Mehrheit gilt TIME IS MONEY, d.h. ihnen bleibt nur die "Alternative Verzicht" - entweder Geld und Karriere oder Zeit mit den eigenen Kindern ...

Es bleibt noch allerhand zu tun im Land der Dichter und Denker -
packen wir's an oder lassen wir's ruh'n ??? 

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