Gidon Kremer hat Schostakowitsch noch persönlich kennengelernt. Jetzt spielt er zusammen mit Evgeny Kissin und Giedrė Dirvanauskaitė dessen Werke. Im Interview mit BR-KLASSIK spricht er über das große Spannungsfeld von Musik, Geschichte und aktueller Politik.
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BR-KLASSIK: Ihr Konzert in München ist als "Herzensprojekt" angekündigt. Warum ist Ihnen dieses Programm so nah?
Gidon Kremer: Das ist etwas übertrieben in der Ankündigung, die ich nicht gestaltet habe. Aber es ist ein Herzensprojekt für Evgeny Kissin, an dem ich mich gerne beteilige. Er hat diesen Zyklus aufgebaut, und ich spiele in verschiedenen Konzerten je ein Werk davon. Auch andere großartige Kollegen finden in diesem Zyklus ihren wertvollen Platz. Ich freue mich, dass sich Evgeny, der eine Generation jünger ist als ich, diesem Projekt widmet. Er ist ein wunderbarer, sehr ehrlicher Mensch. Und er äußert sich auch in der Politik sehr oft ehrlich und direkt. Das ist noch ein zusätzlicher Grund, warum ich gerne dabei bin.
BR-KLASSIK: Sie haben Schostakowitsch noch persönlich kennengelernt. Er hat sogar Konzerte von Ihnen besucht. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihn denken?
Gidon Kremer: Ich kann mich nicht an konkrete Aussagen erinnern. Ich erinnere mich aber an folgende Szene: Als seine 15. Sinfonie in den 1970er-Jahren in Moskau uraufgeführt wurde, spielte ich in demselben Konzert mit dem russischen Pianisten Vladimir Krainev das Haydn-Doppelkonzert. Als ich hinter die Kulissen kam, saß da Schostakowitsch. Und dann sagte er nebenbei, ein schönes Werk sei das, es fehle nur noch eine Kadenz. Ich hätte mir gewünscht, er hätte sie noch selber geschrieben, aber dazu kam es nie. Später, als ich das Werk mit anderen Pianisten gespielt habe, haben wir immer versucht, irgendeine Kadenz zu meistern – auf Anregung des Meisters Schostakowitsch.
Ich hätte mir gewünscht, Schostakowitsch hätte die Kadenz noch selber geschrieben, aber dazu kam es nie.
Es ist nur eine kleine Geschichte, die nicht viel über Schostakowitsch aussagt. Trotzdem zeigt sie den Komponisten als einen offenen Musiker gegenüber verschiedener Musik. Ich freue mich, dass er noch einmal zu einem Konzert mit mir gekommen ist. Ich spielte mit der russischen Geigerin Tatjana Grindenko in Estland ein Duo. An die Gespräche von damals erinnere ich mich nicht, aber ich fühlte mich sehr geehrt, dass er sich die Zeit genommen hat, in dieses Konzert zu kommen.
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BR-KLASSIK: Dann hat wahrscheinlich Evgeny Kissin das Trio rausgesucht, das Sie spielen werden. Wieso genau das Trio Nr. 2 in e-Moll?
Gidon Kremer: Dieses Trio ist eines der überwältigendsten aus der Werkstatt Schostakowitschs. Es gibt das frühere erste Trio, aber dieses zweite ist das bekanntere und stärkere. Ich kann die Entscheidung für dieses Werk sehr gut nachvollziehen. Evgeny hat viele gute Werke in seinen Zyklus aufgenommen, aber das Trio steht in gewisser Weise im Zentrum des Programms, und das ist wunderschön. Mich überzeugt es, weil das Werk so vielfältig und emotional ist. Es zählt wie sein achtes Streichquartett und viele andere Stücke zu den Sternstunden im kompositorischen Schaffen von Schostakowitsch.
BR-KLASSIK: Sie spielen nun eben mit Evgeny Kissin und der Cellistin Giedrė Dirvanauskaitė zusammen. Was verbindet Sie mit den beiden, was schätzen Sie an ihnen?
Gidon Kremer: Ich schätze an beiden sehr viel. Evgeny ist ein wunderbarer, bewundernswerter Pianist. Wir spielen zwar selten miteinander, aber jetzt hat er mich in sein Projekt eingeladen, und ich freue mich, dabei zu sein. Mit der Cellistin Giedrė Dirvanauskaitė aus Litauen verbinden mich Jahrzehnte des gemeinsamen Musizierens durch die Kremerata Baltica. Das Orchester feiert im Februar seinen 28. Geburtstag. Giedrė war Gründungsmitglied und ist dort die Solocellistin. Mit ihr spiele ich auch oft im Klaviertrio. Wir sind ein Team und als Team freuen wir uns beide auf die Zusammenarbeit mit Evgeny.
BR-KLASSIK: Sie spielen nicht ohne Grund ein reines Schostakowitsch-Programm. In diesem Jahr jährt sich sein Todestag zum 50. Mal. Was ist Ihre Beziehung zu Schostakowitsch und zu seiner Musik?
Gidon Kremer in der Finalrunde im Tschaikowsky-Wettbewerb 1970 in Moskau. | Bildquelle: picture alliance / Alexander Konkov, Valentin Kuzmi | Alexander Konkov, Valentin Kuzmin Gidon Kremer: Zu seinem Todestag war ich in meiner Heimat Lettland und habe an dem Abend mit dem Dirigenten Kirill Kondraschin Schostakowitsch zu Ehren das Sibelius-Konzert gespielt. Es war ein besonderer Abend und ich erinnere mich gut daran. Meine eigene Beziehung zu Schostakowitsch ist damit verbunden, dass ich beim Tschaikowsky-Wettbewerb vor mittlerweile 50 Jahren das Glück hatte zu gewinnen. Die Schostakowitsch-Sonate, die wir auch auf der Tournee spielen, war ein obligatorisches Stück in der zweiten Runde. Aber ich habe auch eine Beziehung zu Schostakowitsch entwickelt, weil ich viele seiner Werke mit der Kremerata gespielt habe.
Schostakowitsch ist ein Teil von Weinberg und Weinberg ein Teil von Schostakowitsch.
BR-KLASSIK: Sie setzen sich dafür ein, dass Mieczysław Weinbergs Werk wieder regelmäßig aufgeführt wird. Was verbindet die beiden Komponisten?
Gidon Kremer: Ich bin sicher: Schostakowitsch wäre sehr erfreut gewesen zu hören, dass Weinbergs Musik nun mehr gespielt wird. Er hat sich immer für ihn eingesetzt. Sie haben auch zusammen vierhändig gespielt. Kurzum: Schostakowitsch ist für mich ein Teil von Weinberg und Weinberg ein Teil von Schostakowitsch, obwohl jeder eine eigene Handschrift hat. Ich finde nicht, wie einige denken, dass Weinberg ein zweitrangiger Schostakowitsch ist. Nein, Weinberg hat seine eigene Handschrift, und ich freue mich sehr, dass seine Musik nun erkannt und geschätzt wird.
BR-KLASSIK: Welche Bedeutung hat Schostakowitsch aus Ihrer Sicht für unsere heutige Zeit? Was kann uns seine Musik heute noch sagen?
Gidon Kremer: Musik ist stärker als jede Politik. Besonders wenn es nicht nur um Unterhaltung geht. Schostakowitsch hat sich zwar ab und zu auch mit Unterhaltungsmusik beschäftigt, aber er hat so viele wertvolle Werke hinterlassen, dass sie immer eine Bedeutung haben werden. In unserer dramatischen Zeit ist es wichtig, dass man die Bedeutung von wichtiger Musik zeigt, ohne dass man sie positiviert oder irgendeinem Land zuschreibt. Musik ist etwas, was für die Ewigkeit bestimmt ist. Wir Interpreten werden diese Welt verlassen, aber die Musik wird immer da und immer zugänglich sein.
BR-KLASSIK: Was hat die Musik zu bieten, was unserer Gesellschaft vielleicht an manchen Stellen fehlt? Was macht Musik wichtig?
Gidon Kremer: Je mehr man sich der Musik widmet, desto mehr kann man den Raum finden, in dem Heilung, Animation und Überwältigung stattfinden. Das finde ich viel wichtiger als das, was man im Internet sieht und womit man jeden Tag angesichts der dramatischen Lage der Welt konfrontiert ist. Ich will keinen Snobismus betreiben, aber ich glaube, man sollte sich eher an die Musik halten als an Zeitschriften oder das Internet. Ich versuche, mehr ein Musiker zu sein als ein Geiger. Ich freue mich, mich bald in München vor Publikum der Musik zu widmen. Es ist wichtig, dass die Musik nicht verschwindet, sondern im Zentrum unseres Lebens stattfindet.
Am Samstag, 25. Januar 2025, 20 Uhr, tritt Gidon Kremer gemeinsam mit Evgeny Kissin, Giedrė Dirvanauskaitė, Maxim Rysanov und Alexander Roslavets im Herkulessaal der Münchner Residenz auf.
Auf dem Programm:
Dmitri Schostakowitsch: Trio Nr. 2 für Klavier, Violine und Violoncello in e-Moll op.67, Sonate für Viola und Klavier in C-Dur op. 147 (letzte Komposition), 4 Gedichte des Hauptmanns Lebjadkin für Bass und Klavier mit Texten aus Fjodor Dostojewskis Novelle "Die Teufel" op. 146.
Sendung: "Allegro" am 17. Januar 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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