Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele, legt bei der Auswahl der Musikinnen und Musiker, die er einlädt, Wert auf eine gewisse Kontinuität und Verbundenheit. Er spricht sogar von einer Art Familie, die es bei den Festspielen gäbe. Zur Familie gehört auch der Pianist Grigory Sokolov, dessen Auftritte seit einigen Jahren fest zum Konzertprogramm der Festspiele gehören. Für viele ist Sokolov einer der letzten ganz großen Vertreter der russischen Klaviertradition. Entsprechend wird er von seinen Fans verehrt. Am 5. August hat er in Salzburg gastiert.
Bildquelle: SF/Marco Borrelli
Grigory Sokolovs Auftritte sind eine Inszenierung der Nicht-Inszenierung. Posen und Allüren sind dem russischen Pianisten fremd. Übertriebener Kontakt zum Publikum ebenso. Wenn er den Saal betritt, blickt er starr gerade aus, bis er den Flügel erreicht. Ein kurzes Nicken Richtung Publikum und los geht es mit der Musik. Nach dem letzten Ton erfolgt das gleiche Prozedere umgekehrt. Sokolov ist das Gegenteil eines Tastenlöwen. Er ist so introvertiert, dass er sogar das Licht auf der Bühne gedimmt lässt und man ihn kaum sieht. Er will und braucht keine Inszenierung seiner selbst – die Musik ist die Botschaft. Bei seinen Fans ist die Botschaft angekommen, sie lieben ihn auch ohne, dass er sie groß beachtet.
Grigory Sokolov bei den Salzburger Festspielen | Bildquelle: SF/Marco Borrelli In den vier Duetten von Johann Sebastian Bach zu Beginn wählte Sokolov einen schlichten, geraden Tonfall ohne jegliche Exzentrik à la Gould oder Richter, wie man es auch nicht anders von ihm erwartet hat. Und doch verfügten die Stücke durch feinsinnige dynamische Abstufungen und markante Themenarbeit über ein beeindruckendes Innenleben. Nichts Konstruktivistisches war hier zu hören, sondern eher Gesangliches, ohne ins Romantische abzugleiten. Schon dieser Auftakt war beeindruckend. In den Chopin-Mazurken op. 30 und op. 50 dann verfeinerter Volksliedton mit melancholischer Grundstimmung. Aber auch hier wahrte Sokolov stets die Balance zwischen feingezeichneten Linien und romantischem Melos.
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Zum Höhepunkt des Konzerts neben Bach zählten die "Waldszenen" von Robert Schumann. Hier entfaltete Sokolovs klarer, poetischer Ton seine ganze Faszinationskraft mit einer wunderbar ausdifferenzierten Anschlagskultur, die derzeit wohl ihresgleichen sucht. Dabei ist stets der erzählerische Gestus hörbar, ruft die Musik Szenen und Bilder im Auge des Hörers hervor. Welch unaufdringliche Imaginationskraft Sokolov hier offeriert, grenzt ans Wunderbare. Aber selbst nach einer solch wahrhaft be- und verzaubernden Darbietung entschwindet der Pianist mit stoischem Blick von der Bühne, als wollte er sagen: Nicht ich bin es gewesen, sondern Schumann.
Sendung: "Leporello" am 6. August 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (8)
Montag, 12.August, 13:36 Uhr
Barthelmeh,Annegret
Sokolovs Konzert war in jeder Hinsicht exzellent
Ein besonderes Konzert ,bes.die Waldszenen
Samstag, 10.August, 18:10 Uhr
Publikum
Concert sans programme
Keine Sorge, werte Schreiber, Grigory Sokolov hat die Fähigkeit unendlich tiefer Versenkung - er nimmt die Störungen nicht wahr, die uns als Publikum durchaus belästigen.
Und wenn er diesmal etwas länger im Künstlerzimmer verweilte, bis er zum dritten Teil des Abend, zum seinem "Concert sans programme" (hat denn Herr Jungwirt die Zugaben nicht mehr gehört, oder waren sie ihm keiner Rede wert?) das Podium betrat, dann war das kein Statement - er wollte sich schlicht ein wenig ausruhen. Der Meister ist immerhin im 74.Lebensjahr.
Donnerstag, 08.August, 14:16 Uhr
Barboncino
Sokolov
Das unangemessene Verhalten einiger Zuhörer hätte Barenboim wohl dazu veranlasst, das Konzert zumindest für eine deutliche Rüge zu unterbrechen ;so wie er es damals bei seinem Klavierkonzert in der Scala tat, als eine Zuhörerin trotz Fotografierverbots ein Foto machte:Signora, Lei non e' educata. Donnender Applaus des Publikums.Fortsetzung des Konzerts. So müssten Künstler öfter reagieren!
Mittwoch, 07.August, 12:44 Uhr
Piano
Sokolov
Klangkultur ohnesgleichen
Nuancenreichster Anschlag
Ein ganz bescheidener Großer
Ein Glück, ihn jeden Sommer hier hören zu dürfen!
Mittwoch, 07.August, 10:16 Uhr
Andree Helene
Sokolov
Genial
Nuancenreich
phantastisch
Schumann was here
Mittwoch, 07.August, 10:12 Uhr
Andek
Sokolow
Es ist ein außergewöhnlicher Genuß, Sokolow zu hören
.
Dienstag, 06.August, 21:26 Uhr
Julia
Sokolov in Salzburg
Ich habe den Abend gestern erlebt und muss leider das Verhalten des Publikums ergänzend erwähnen. Leider war Husten im ganzen Abend ein störender Begleiter, und dies vor allem und oft an den besonders intimen Stellen. Dazu zwei Mal das Klingeln von Handys, und mehrere Male hat hörbar jemand etwas fallen gelassen.
Sokolov hat nach den Chopin Mazurken lange hinter der Bühne gewartet. Mich hätte nicht gewundert, wenn er nicht mehr auftritt.
Dienstag, 06.August, 14:57 Uhr
Trappe
Größe ohne Show
Im Gegensatz zu beinahe allen Pianisten lässt Sokolov ganz die Musik phänominal sprechen und hat es nicht nötig, mit auffallender Kleidung oder mit Verrenkungen am Klavier das auszudrucken, wozu es den Meisten musikalisch fehlt. Sein Anschlag ist fantastisch und vielfältig. Es ist umso wichtiger, dass die russische Tradition in diesem Sinne erhalten bleibt. Sokolov ist einer der ganz Großen, und es ist ein Geschenk, ihn hören zu dürfen.