Seit fast vier Jahrzehnten liefert Komponist Danny Elfman die Musik für die Filme von Tim Burton. Es ist eine der wohl kreativsten Kollaborationen zwischen Bild und Musik der Filmgeschichte. Zum Kinostart von "Beetlejuice 2" werfen wir einen Blick auf ihre einzigartige Zusammenarbeit und das Geheimnis ihres Erfolges.
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Listen to them… Children of the night. What music they make!
Ein Küchenmesser, das über ein Cello streicht. Spiralförmige Treppen, über die eine abgetrennte Hand krabbelt. Spinnennetze, Friedhöfe und ein Teddybär, der durch eine Guillotine seinen Kopf verliert. Die schaurige Bilderflut im Vorspann der Netflix-Serie "Wednesday" (2022) signalisiert: wir betreten hier die makabre Imagination von Tim Burton. Begleitet werden die Gothic-Horror-Bilder von einem schwarzromantischen Titelthema, komponiert von Danny Elfman. Eine faszinierend-düstere Cello-Melodie entfaltet sich über unheimlichen Choreinsätzen, tickenden Streicherrhythmen, anderweltlichen Thereminsounds und einem nostalgischen Cembalo. Einfallsreich malt Elfman die Konturen von Burtons Bilderwelt mit seinen eigenen Klangfarben nach und bringt den fantasievoll ausgeschmückten Filmraum zum Erklingen.
Burton wie auch Elfman verwenden sehr viel Aufmerksamkeit darauf, den richtigen Ton des Films zu finden. Der Regisseur denkt in Bildern, fertigt eine Skizze nach der anderen an, bis der Look des Films steht. Der Komponist greift dann auf das ihm gelieferte Bildmaterial zurück und übersetzt die Emotionen, die die Bilder in ihm hervorrufen, in Noten. Im Falle von "Batman", bei dem die beiden 1989 zusammenarbeiteten, besuchte Elfman sogar das Filmset in den Londoner Pinewood Studios und summte beim Wandern durch die düsteren Filmkulissen von Gotham City Melodien in ein Aufnahmegerät.
Um den Zuschauer von Anfang an den Ton des Films näher zu bringen, greifen Burton und Elfman immer wieder auf das klassische Mittel der Main Titles, des Titelvorspanns, zurück. Auf der Bildebene führt Burton durch aufwendige Kamerafahrten, Modellaufnahmen oder einer Montage von Detail Shots den Zuschauer in die Atmosphäre seines Films ein. Daneben dienen die Main Titles Elfman als Ouvertüre, um das musikalische Themenmaterial seines Scores vorzustellen. Im Falle von "Batman" haben wir eine Montage von Kamerafahrten durch dunkle, beklemmende Schluchten, die sich als filmische Erkundung des Batman-Logos herausstellt. Elfmans heroisch-düsteres Batman-Thema, das einzig wirklich ausgearbeitete musikalische Leitmotiv im Batman-Score, stimmt in das wagnerische Timbre seiner Filmmusik ein.
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The Batman Theme
Das Batman-Thema trifft genau den Kern von Burtons Interpretation des Dunklen Ritters. Batman (gespielt von Michael Keaton) ist bei Burton der dunkle Gegenentwurf zum strahlenden Superman. Er bekämpft Verbrecher nicht aus einem selbstlosen Sinn für Gerechtigkeit, sondern aus Vergeltung für die Ermordung seiner Eltern. Elfmans Musik drückt das Anti-Heldentum von Batman in einer Abkehr zur bisherigen Superheldenmusik aus. Diese war bis dahin geprägt von den Arbeiten des Filmkomponisten John Williams. Williams' Heldenthemen zu "Star Wars" (1977), "Indiana Jones" (1981) und natürlich "Superman" (1978) sind einprägsame Märsche, die in militärischen Bläserrhythmen und kraftvollen Intervallen vom ungebrochenen Pathos ihrer Träger künden. Bei Elfman werden die Vorzeichen umgekehrt. Aus Dur wird Moll. Statt schillernder Trompete übernehmen Fagott und tiefes Blech die Melodieführung. Instrumente aus dem unteren Register dominieren, überraschende Tonartwechsel und harmonische Brüche stellen die Integrität des Helden in Frage.
Elfmans Batman-Score ist im Wesentlichen monothematisch, das heißt, es wird von einem einzigen Leitmotiv bestimmt. Ein wiederkehrendes Kompositionsmerkmal von Elfman, der meist nie mehr als zwei oder drei Leitthemen in seinem Score integriert. Dabei ist sein Ansatz eher intuitiv als funktional. So ist beim Auftreten des Kopflosen Reiters in "Sleepy Hollow" (1999) gelegentlich das Thema des Hauptcharakters Ichabod Crane (Johnny Depp) zu hören, das eigentlich mit dessen Kindheitserinnerungen assoziiert ist. Doch lässt Elfman diese scheinbar unmotivierten Überschneidungen zu – sie klingen einfach richtig.
Johnny Depp in "Edward mit den Scherenhänden" (1990). | Bildquelle: © imago/United Archives Letztlich schreibt Elfman seine Leitthemen weniger zu den Charakteren als vielmehr den emotionalen Schlüsselszenen des Films, die restliche Musik wird darauf aufgebaut. Bestes Beispiel hierfür ist seine Musik für "Edward mit den Scherenhänden" (1990). Dem Protagonisten Edward (Johnny Depp) werden im Grunde zwei Themen zugeordnet. Das erste dient als Hauptthema des Films. Es ist eine fantasiefreudige Spieluhr-Melodie, die während der Main Titles zu hören ist. In einem leichten Walzerrhythmus gehalten, verweist die Besetzung von Celesta, Kinderchor und hohen Streichern auf den märchenhaften Rahmen des Films, durch die Assoziation von Fantasy, kindliche Unschuld und Schnee schlägt es den Ton des Films an.
Doch das Herzstück des Scores ist Edwards zweites Thema, das zum emotionalen Höhepunkt des Films komponiert wurde: Es ist die Szene, in der Kim (Winona Ryder) zu den Schneeflocken tanzt, die aus Edwards Eisskulpturenschnitzerei entstehen. Dieses Thema ist getragener, melancholischer und wird vor allem von Chor und Harfe vorgetragen. Es unterstreicht die Tragik des Außenseiters, der sich danach sehnt, seine Zärtlichkeit in Berührung auszudrücken, es aber durch seine Scherenhände nicht kann. Der "Ice Dance" ist der Moment der intimsten Nähe zwischen Edward und Kim.
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Edward Scissorhands - Ice Dance
Elfmans eigene Verwendung von Leitmotivik wird ergänzt durch seine oftmals ungewöhnliche Orchestrierung. Er nähert sich da seinem großen Vorbild Bernard Herrmann, der ebenfalls für exzentrische Orchesterbesetzungen berühmt war – Man denke nur an das schrille Streichorchester aus "Psycho" (1960) oder den unirdischen Klängen des elektronischen Orchesters für "Der Tag, an dem die Erde stillstand" (1951). Instrumentengruppen und Klangfarben werden verschiedenen Personen und Orten zugeordnet, übernehmen zusätzlich leitmotivische Funktionen.
So sind die Hauptthemen von Batman, dem Pinguin (Danny DeVito) und Catwoman (Michelle Pfeiffer) in "Batmans Rückkehr" (1992) melodisch sehr ähnlich, sie stellen sogar Variationen von einander dar. Erst durch die Orchestrierung sind sie klar voneinander abzugrenzen: Catwoman ist durch dissonante Streicherakkorde und scharfe Glissandi charakterisiert, Batman bleibt bei seinen tiefen Blasinstrumenten und der Pinguin wird mit vollem Orchestereinsatz, Chor, Orgel und tiefer Harfe ausgestattet.
Bei "Planet der Affen" (2001) verzichtet Elfman dagegen komplett auf Violinen und Holzbläser und lässt die Affen-Wildnis mit ausgefallener Percussion, tiefen Bassstreichern und Bassbläsern spürbar werden, während er zum Beispiel bei "Big Fish" (2003) auf Südstaatenklänge und Akustikgitarre zurückgreift, die eher an seine melodramatische Arbeit für Gus Van Sant erinnert ("Good Will Hunting", 1997).
Komponist Danny Elfman und Regisseur Tim Burton | Bildquelle: picture-alliance/dpa Regisseur Tim Burton und Komponist Danny Elfman sind die Ikonen der Goth-Kultur. Sie haben sich ihr ganz eigenes Universum geschaffen, eine sonderbare Vorstellungswelt, welche die beiden Künstler miteinander teilen. Einst ein Ort der ewigen Nacht, in der sich Horror und Komik zum grotesken Danse macabre vereinen. Jeden Tag ist Halloween. Skelette, Spinnen und kürzlich Verstorbene finden sich im Reich der Toten zusammen, um in den synkopischen Rhythmen und schrillen Farben des mexikanischen Totenfestes ihr Ableben zu feiern. Und an der Oberwelt werden die nervigen Lebenden mit Harry Belafonte in die Flucht geschlagen.
Kurz: Es ist die Traumwelt einer Generation, die Regisseur Guillermo Del Toro liebevoll als "monster kids" bezeichnet. Jungs wie Burton und Elfman, die ihre halbe Kindheit im Dunkeln verbracht haben: Wortwörtlich aufgewachsen im Schatten Hollywoods (Elfman in Baldwin Hills, Los Angeles und Burton in Burbank, dem Hauptsitz der Disney Studios), retteten sie sich auf der Flucht vor der südkalifornischen Sonne ins Kino und schauten sich Monster-B-Movies an. Sie empfanden Sympathie für die missverstandenen Aliens, Monster und Freaks, wussten sie doch zu gut, was es bedeutet, nicht dazuzugehören. Die ungeheure Vorstellungskraft, die diesem fantasiefreudigen Monster-Camp innewohnte, befeuerte ihr künstlerisches Schaffen.
Elfmans Weg zur Filmmusik war alles andere als orthodox. Der regelmäßige Kinobesuch wurde zur musikalischen Früherziehung. Er genoss keine musikalische Ausbildung, als Autodiktat brachte Elfman sich das Musizieren und Komponieren während seiner Karriere als Rockmusiker selber bei. Indem er in den 70er Jahren Jazz- und Big Band-Stücke für die Musikkabaretttruppe "The Mystic Knights of Oingo Boingo" seines Bruders Richard Elfman arrangierte, lernte Elfman, Musik zu notieren und zu transkribieren, auch wenn er nicht immer wusste, in welcher Tonart er sich gerade befand. Sein Zugang zur Musik ist intuitiv, geschult durch die Praxis.
1980 drehte Richard Elfman basierend auf Auftritten der "Mystic Knights" den Mitternachtsfilm "Forbidden Zone" und ließ seinen Bruder Danny die Filmmusik und Songs schreiben. Als sich die Avantgarde-Theatergruppe seines Bruders auflöste, gründete Danny mit einigen anderen ehemaligen Mystic Knights die alternative Rockband "Oingo Boingo". Ihre teils morbiden Halloweenkonzerte wurden von einer verschworenen Kultgemeinde rituell gefeiert – unter ihnen Tim Burton.
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Mars Attacks! - Main Titles
Als Elfman Burton 1985 kennenlernte, war dieser bereits als Regisseur für "Pee-wees irre Abenteuer" (1985) engagiert, ein Film basierend auf dem Kinderfernsehcharakter Pee-wee Herman, dargestellt von Paul Reubens. Burton und Reubens gehörten zu den Wenigen, die "Forbidden Zone" gesehen hatten und boten Elfman an, die Filmmusik für "Pee-wees irre Abenteuer" zu schreiben. Elfmans erster Score für Tim Burton ähnelt in seinen verschrobenen Zirkusklängen eindeutig der Musik, die Nino Rota für die Filme von Federico Fellini komponierte. Eine interessante Vorausdeutung, wird doch das Duo Burton/Elfman der legendären Zusammenarbeit zwischen Fellini und Rota an Extravaganz in Nichts nachstehen.
Filmkomponist Danny Elfman hat ein Faible für Monster- und Horrorfilme. | Bildquelle: ©picture alliance / Captital Pictures | MPIFS Nach "Pee-wees irre Abenteuer" folgte 1988 die Geisterkomödie "Beetlejuice". Burton machte als Regisseur mit ausgeprägtem Sinn für das visuell Absonderliche auf sich aufmerksam, Elfman bekam das Angebot, für weitere schrullige Hollywoodkomödien wie "Die Geister, die ich rief..." (1988) die Musik zu schreiben. Doch zum großen Durchbruch für Regisseur und Komponist kam es erst ein Jahr später mit dem Multimillionen-Dollar Projekt "Batman". Burton bewies, dass er selbst bei einer gigantischen Studioauftragsarbeit seine persönliche Handschrift bewahren konnte. Elfman setzte sich gegen den größer geplanten Soundtrack von Prince durch und stieg endgültig zum Maestro des sinistren Orchesterklangs auf.
Immer wieder unterwandert Elfman gängige Konventionen und spielt mit Zuschauererwartungen. Eine Arbeitsweise, die ihn mit Burton verbindet. Rückgreifend auf die Kindheitserfahrungen der beiden "monster kids" erfährt vor allem die Semantik des Horrorfilms eine radikale Umdeutung. Dabei wird aus allem Dunklen und Abnormalen etwas sehr Vertrautes, geradezu Heimeliges, während die farbenfrohe Normalität einer Vorstadt eine bedrückende Unheimlichkeit gewinnt.
Szene aus "Mars Attacks!" (1996) | Bildquelle: © picture alliance/Mary Evans Picture Library Eine der wohl raffiniertesten und zugleich komischsten Genre-Dekonstruktionen findet in "Mars Attacks!" (1996) statt. Aufbauend auf einer Serie von Kaugummisammelbildern parodiert der Film so ziemlich jegliches Klischee des typischen Alien-Invasionsfilms, das Roland Emmerichs "Independence Day" im selben Jahr bierernst reaktionär wieder einlöst. Burtons kindliche Begeisterung für Sci-Fi-Trash findet Echo in Elfmans Musik, die in einer Hommage an Herrmanns "Der Tag, an dem die Erde stillstand" außerirdische Thereminklänge mit herrlich überzogenen Chorgesängen, militanten Marschrhythmen und kieksenden Trompeten vermischt. Eine Liebeserklärung an den Gestus der B-Movies, der mehr als einmal viel zu weit ausholt.
Szene aus "Alice im Wunderland" (2010) | Bildquelle: Walt Disney Jedes Mal, wenn er mit Burton zusammenarbeitet, bekommt man den Eindruck, dass Elfman wieder zu sich selbst findet. Ein neuer Burton-Score ist Heimkehr und Auszug zugleich: Elfman findet zurück zu seinem bevorzugt düsteren, melancholisch-makabren Kompositionsstil, in den Filmen "Nightmare Before Christmas" (1993), "Charlie und die Schokoladenfabrik" (2005) und "Corpse Bride – Hochzeit mit einer Leiche" (2005) war sogar Elfmans Vergangenheit als Bandmusiker, Songschreiber und Sänger gefordert. Gleichzeitig bedeutet ein neues Burton-Projekt für Elfman, das eigene Klangspektrum zu erweitern, sich in neue musikalische Gefilde vorzuwagen und Formexperimente einzugehen. So trifft Elfmans für die Filmmusikgeschichte mittlerweile prägend gewordener Gothic-Stil in seinem Score für "Alice im Wunderland" (2010) auf Kompositionsweisen der Minimal Music à la Philip Glass.
Und selbst wenn sich Elfman und Burton mal zu sehr in ihren eigenen Manierismen wie in "Dark Shadows" (2012) verlieren, so braucht es nur ein zurückgenommenes, erfrischend anderes Projekt wie "Big Eyes" (2014), um die kreative Flamme neu zu entfachen. Das Biopic über die verkannte Kitsch-Malerin Margaret Keane (Amy Adams) vertonte Elfman mit einem kleinen, aber herzerwärmenden Score, getragen von Streichern, Klavier und lässigen Marimba-Klängen. Ein weiterer Beweis, dass es keinen anderen Weg geben kann, einen Burton-Film zu sehen, als mit den Ohren von Danny Elfman.
Sendung: "Cinema - Kino für die Ohren" immer sonntags ab 18:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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