Es dauerte fast ein Menschenleben: siebzig Jahre währte die Fertigstellung der Haydn-Gesamtausgabe. Nun erscheint der letzte Band im Henle-Verlag.
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Siebzig Jahre sind eine lange Zeit. Ein Menschenleben, in dem Kinder erwachsen werden, sich die Welt, die Politik, Geschmack und Zeitgeist völlig ändern. 70 Jahre sind aber auch Zeitraum, in dem eine Gesamtausgabe der Werke von Joseph Haydn entsteht. 1955 begann das Editions-Projekt. In Köln wurde dafür extra das Joseph-Haydn-Institut gegründet, 1958 erschien im Henle-Verlag der erste Band. Jetzt steht die Veröffentlichung des 113. und letzten Bandes an. "Das hat sich wohl damals niemand vorstellen können, dass das wirklich 70 Jahren werden", sagt Norbert Müllemann, Cheflektor des Henle-Verlags. Das Projekt sei dann immer wieder verlängert worden, weil sich während der Arbeit herausgestellt habe, dass das Projekt doch viel komplexer ist.
Bildquelle: picture-alliance / akg-images Das liegt auch daran, dass die Quellenlage bei Haydn nicht unproblematisch ist. Nur zu einem Drittel seiner Werke liegen überhaupt Autographe vor. Die Quellen müssen also in Kleinstarbeit recherchiert werden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um zeitgenössische Abschriften. Durch Quellenvergleiche entsteht dann eine Art Stammbaum, ein Urtyp kristallisiert sich heraus. Das ist natürlich eine trockene Arbeit. Aber: "Aber der Genius Haydns springt immer wieder über", sagt Müllemann.
Ein Versuch ins kompositorische Denken zu schauen.
Außerdem hat diese Arbeit ja auch ganz praktische Aspekte, schließlich entsteht diese Arbeit ja auch, damit die Musik aufgeführt wird. also müssen sich die Edierenden auch immer fragen: Wie klingt das? Ist das plausibel? Kann diese Lesart auf Haydn zurückgehen? Als einen "Versuch ins kompositorische Denken zu schauen", beschreibt Müllemann das. Und natürlich gab es auch die eine oder andere Überraschung: Manche Stücke, die Haydn zugeschrieben wurden, stammen etwa gar nicht von ihm. "Da muss man ganz stark abklopfen, ob diese Werke auch authentisch sind", sagt Müllemann.
Joseph Haydns Geburtshaus in Rohrau. | Bildquelle: picture-alliance / Mary Evans Picture Library Die Herausgabe der Haydn-Edition dauerte ein Menschenleben. Aber sie füllt auch ein paar Forscherleben aus. "Es gibt definitiv viele Forscher, die als Hauptgegenstand Haydn hatten", erzählt Müllemann. Der bekannteste: Georg Feder, der 2006 verstarb. So, und nun sind also 113 Bände erschienen. Stolz ist Müllemann als Cheflektor schon, erleichtert auch, auch wenn er vergleichsweise wenig Zeit damit verbracht habe. Er sei erst seit etwa zehn bis 15 Jahren dabei. Ein bisschen traurig und wehmütig sei er aber auch, dass das Haydn-Projekt jetzt vorbei ist. Aber eigentlich hört so das Edieren sowieso nie auf. Denn es gibt immer Musiker, die das dann doch anders machen und rückfragen, ob die eine Note da wirklich stimmen kann. Letztlich, so trocken diese Arbeit auch wirken mag: "Die Editions-Wissenschaft ist eine lebendige Wissenschaft", sagt Müllemann.
Sendung: "Leporello" am 06. April 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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