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Die Bratsche Teamplayer mit Humor

Warum erzählen ausgerechnet Bratscher die neuesten Bratschenwitze? Und was ist der Unterschied zwischen Bratsche und Geige? Bratschist Nils Mönkemeyer kennt sich bestens aus - und teilt sein Wissen rund um die Viola: Von der Baugeschichte über Klangfarbe und Größe bis hin zur "Edelbratsche“ und legendären Werken.

Bildquelle: Irène Zandel

Instrumentenwissen

Die Bratsche

Der Name

Wenn man es mal ganz wörtlich nimmt, sind Geigen ja bloß geschrumpfte Bratschen: Violino ist die Verkleinerungsform von Viola. Auch das Wort Bratsche kommt aus dem Italienischen: Die "Viola da braccio" ("Arm-Viola") wird auf der Schulter gehalten, die "Viola da gamba", also die Gambe ("Bein-Viola"), wird zwischen die Knie gelegt. Die Bratsche ist also gewissermaßen die Mutter der Geigenfamilie. Trotzdem steht sie im Schatten von Geige und Cello. Umso mehr lieben das Instrument mit dem warmen Klang alle, die es spielen.

Nils Mönkemeyer und die Bratsche: Liebe auf den ersten Blick

Nils Mönkemeyer | Bildquelle: Irène Zandel Vom Schluck zum Blick: Der Bratschist Nils Mönkemeyer | Bildquelle: Irène Zandel Für Nils Mönkemeyer war es eine Art Erweckungserlebnis, als er zum ersten Mal auf einer Bratsche spielte. Endlich hatte er das Gefühl, was Richtiges in der Hand zu haben. Liebe auf den ersten Blick – oder, wie er lachend ergänzt, "auf den ersten Schluck": "Zugegebenermaßen war Alkohol im Spiel. Darum war ich sehr begeistert!" Es war im Bundesjugendorchester. Nachts wurde Kammermusik vom Blatt gefetzt. Wer einen Fehler machte, musste einen Schluck trinken. Die Bratscherin erfüllte alle Klischees und war als erste zu betrunken, um weiterzuspielen. Nils Mönkemeyer schnappte sich ihre Bratsche. "Ich erinnere mich an diesen Moment sehr gut, weil ich dachte: Ach, so geht das! Das war die richtige Größe, der richtige Klang – wie ein Nachhausekommen."

Das war die richtige Größe, der richtige Klang – wie ein Nachhausekommen.
Nils Mönkemeyer über seine erste Begegnung mit der Bratsche

Nicht jeder Geiger, der um- (oder ab)steigt, hat gleich so ein positives Erlebnis. Bratschensaiten reagieren anders, erklärt Mönkemeyer: "Bei der Geige legt man den Bogen auf die Saite und es kommt sofort ein Ton raus. Bei der Bratsche kommt erstmal nur heiße Luft." Bratschensaiten sprechen nicht so leicht an. Bei Mönkemeyer entpuppte sich dieses scheinbare Handicap als Vorteil: "Mir kam das sehr entgegen, weil ich auf der Geige eher kratzig gespielt habe. Ich hatte das Gefühl: Alles, was ich natürlicherweise auf dem Instrument mache, war auf der Geige immer falsch und auf der Bratsche genau richtig." Lachend ergänzt er: "Also ich bestätige quasi das Klischee, dass die schlechten Geiger schon immer zu Bratschern wurden."

Was ist eine "Edelbratsche"?

Tabea Zimmermann | Bildquelle: Rui Camilo Gewann 2020 den "Nobelpreis der Musik", den Ernst von Siemens Musikpreis: Die Bratschistin Tabea Zimmermann | Bildquelle: Rui Camilo Die meisten Bratschistinnen und Bratschisten haben zuerst Geige gespielt, bevor sie die Bratsche für sich entdecken. Manche, wie Pinchas Zuckermann, wechseln sogar ihr ganzes Leben lang zwischen beiden Instrumenten. Und ja, es stimmt: Die Konkurrenz ist deutlich weniger groß. Bratschen sind gefragt. Viele entdecken das Instrument für sich, weil es einfach gebraucht wird. Umso seltener sind diejenigen, die gleich auf der Bratsche angefangen haben. Im Orchesterjargon heißen sie "Edelbratsche". Mönkemeyer ist keiner. Tabea Zimmermann, die wohl berühmteste "Edelbratsche", begann dagegen schon mit drei Jahren, das Instrument zu spielen.

Warum gibt es so viele Bratschenwitze?

Egal, ob "Edelbratsche" oder "heruntergekommener Geiger" – wer Bratsche spielt, braucht Humor. Es gibt eigene Websites nur mit Bratschenwitzen und unter #violajokes jede Menge Content auf TikTok, Youtube und Instagram. Das Phänomen wurde sogar in einer soziolinguistischen Dissertation wissenschaftlich erforscht: "Zur Scherzkommunikation unter Orchestermusikern", Tübingen 1991. Dass die Bratsche zur Zielscheibe des Orchesterspotts wurde, wirft ein Schlaglicht auf den hohen Druck, den Musikerinnen und Musiker auf der Bühne spüren. Doch warum hat es ausgerechnet die Bratsche erwischt? Die Gründe liegen in der Geschichte. Im Barock wurden Bratschenstimmen oft wie billiges Füllmaterial zwischen Melodie und Bass gestopft. Selbst bei großen Barock-Komponisten wie Händel oder Vivaldi sind Bratschenstimmen langweilig. Seitenweise gleichbleibend öde Achtel. Oder man verdoppelt den Bass. Gähn. Es gibt aber eine Ausnahme: Bach. Der spielte selbst im Orchester am liebsten Bratsche. Bach komponierte immer aufregende, inspirierte Mittelstimmen. Der Mann war eben ein Genie. Auch Mozart, Beethoven und Dvorak spielten übrigens gern Bratsche – kann das Zufall sein?

Wann wurde die Bratsche zum Soloinstrument?

Lange Zeit jedoch hatten die Komponisten die Bratsche nur einfaches Zeug spielen lassen. So bekam das Instrument ein Looser-Image. Noch der Romantiker Hector Berlioz klagte: "War ein Musiker unfähig, den Violinposten genügend zu bekleiden, wurde er zur Viola versetzt. Daher kam es, dass die Bratschisten weder Violine noch Viola spielen konnten." Das, meinte Berlioz hellsichtig, sei ein Missstand. Das müsse sich ändern. Und das hat sich geändert: Im 20. Jahrhundert begann eine atemberaubende Aufholjagd. Die Bratsche wurde endlich zum richtigen Soloinstrument. Eine neue Spezies wurde gesichtet: Der reisende Bratschenvirtuose. Und große Komponisten wie Béla Bartók, Paul Hindemith und Dmitrij Schostakowitsch komponierten Meisterwerke für das Instrument.

Meisterwerke für die Bratsche

Georg Philipp Telemann: Bratschenkonzert G-Dur
Johann Sebastian Bach: Brandenburgisches Konzert Nr. 6 (für zwei Bratschen und Ensemble)
Wolfgang Amadeus Mozart: Kegelstadt-Trio (für Klarinette, Viola und Klavier), Symphonia Concertante (für Violine, Viola und Orchester)
Hector Berlioz: Harold en Italie
Johannes Brahms: Die beiden Sonaten für Klarinette und Klavier in der von Brahms autorisierten Bratschen-Fassung
Alexander Glasunow: Elegie für Viola und Klavier
Paul Hindemith: Sonate für Viola solo, op. 25 Nr. 1
William Walton: Konzert für Viola und Orchester
Béla Bartók: Konzert für Viola und Orchester
Dmitrij Schostakowitsch: Sonate für Viola und Klavier
Alfred Schnittke: Konzert für Viola und Orchester

Wie groß ist eine Bratsche?

Was spielst du denn? Die Bratsche | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk Heutzutage meist zwischen 38 und 44 cm lang: die Bratsche | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk Dass die Solokarriere der Bratsche so spät begann, ist der Grund dafür, dass alte Instrumente oft recht leise klingen, erklärt Mönkemeyer: "Zur Zeit von Stradivari, Guarneri und Guadagnini war der Bedarf viel geringer. Deshalb sind diese alten Meisterinstrumente oft nur für einen kleinen Saal gebaut." Wie viele berühmte Bratschistinnen und Bratschisten der Gegenwart spielt Nils Mönkemeyer auf einem Neubau. Heute baut man Bratschen meist größer als zu Stradivaris Zeiten. Doch schon ganz zu Beginn wurde mit Klang und Länge des Instruments ziemlich viel herumexperimentiert. Der Geigenbauer Andrea Amati (1505-1577), von dem einige der ältesten erhaltenen Bratschen stammen, baute kleinere Alt- und größere Tenor-Bratschen, die längste misst stolze 47 cm. Bei heute gebauten Bratschen variiert die Länge meist zwischen 38 und 44 cm. Kein anderes Instrument der Geigen-Familie ist so variabel. Geigen haben dagegen eine weitgehend normierte Länge von 35,5 cm.

Wie klingt eine Bratsche?

Und genau da liegt ein Problem. Die tiefste Saite der Bratsche, die C-Saite, liegt eine Quinte tiefer als die der Geige, die G-Saite. Rein physikalisch, gesehen müsste eine Bratsche deshalb um ein Drittel größer sein als ihre kleine Schwester. Dann aber wäre der Arm zu kurz, man müsste die Bratsche wie ein Cello oder eine Gambe auf dem Schoß halten. Die Physik sagt also: Bratschen sind im Verhältnis zu ihrer Tonlage eigentlich zu klein. Daher das besondere Schwingungsverhalten (es dauert länger, bis eine Bratschensaite schwingt) und der unverwechselbare dunkle, gedeckte Klang.

Große Bratschistinnen und Bratschisten

Lionel Tertis (1876-1975)
William Primrose (1904-1982)
Paul Hindemith (1895-1963)
Gérard Caussé (*1948)
Jurij Baschmet (*1953)
Kim Kashkashian (*1952)
Tabea Zimmermann (*1966)
Nils Mönkemeyer (*1978)
Antoine Tamestit (*1979)

"Die Geige“, meint Mönkemeyer, "hat einen Glanz, den die Bratsche nicht hat. Aber auch weniger Geheimnis im Klang." Wegen ihres indirekten und weicheren Klangs kann die Bratsche wunderbar klagen. Für Elegien ist sie geradezu prädestiniert. Vielleicht ist das der Grund, warum viele Komponisten ihre allerletzten Werke für Bratsche geschrieben haben: Bartók, Schostakowitsch, Strawinsky und Britten.

Wer Mittelstimmen spielt, ist oft besonders sozial.
Nils Mönekmeyer

Ganz anders sieht’s im Ensemble aus: Hier sorgen die Bratschen, weil sie sich nie in den Vordergrund drängen, für gute Laune – und für den Zusammenhalt. Als Mittelstimme, sagt Mönkemeyer, "orientiert man sich nach beiden Seiten, zur Melodie und zum Bass, und stellt daraus einen Gesamtklang her." Mönkemeyer vermutet schmunzelnd darin auch den Grund, warum auffallend viele Bratscherinnen und Bratscher besonders sozial und nett seien. Im Ensemble könne man gar nicht funktionieren, wenn man nicht auf die Stimmen achte, die einen einrahmen, so der weltberühmte Bratschist, und weiter, "das ist wie eine ständige Übung im Teamplay: Man stellt immer Verbindungen her."

Im Orchester das Herz

Das sind die Stärken der Bratsche: Humor, Tiefsinn, Teamplay. Ihr warmer Klang macht die Bratsche zur idealen Stimme für intime, geheimnisvolle und deshalb besonders wichtige Botschaften. Und auch wenn es die abgehobenen Violinchen manchmal nicht mitkriegen: Die Viola ist das Herz des Orchesters.

Sendung: Allegro 13.12.2023 ab 06:05 Uhr

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Donnerstag, 14.Dezember, 18:41 Uhr

Karl Kroupa

Bratsche

Genau

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