BR-KLASSIK

Inhalt

Bratschistin Tabea Zimmermann zum Weltfrauentag "Ich möchte in keine Nische"

Sie ist nicht nur eine famose Bratschistin, sondern auch eine wache Zeitgenossin: Erst als dritte Frau in der 50-jährigen Geschichte der Ernst von Siemens Musikstiftung hat Tabea Zimmermann 2020 den „Nobelpreis der Musik“ bekommen. In der laufenden Saison steuert sie als „Artist in Residence“ beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spannende Programmpunkte bei. Wir haben ihr auch ein paar Fragen zum Weltfrauentag am 8. März gestellt.

Portrait Tabea Zimmermann | Bildquelle: Marco Borggreve

Bildquelle: Marco Borggreve

BR-KLASSIK: Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Wenn Sie an dieses Datum denken, was geht Ihnen da als Musikerin durch den Kopf?

Tabea Zimmermann: Es sind eigentlich viele verschiedene Gedanken, die da bei mir aufkommen. Aber einer ist für mich sehr wichtig: Klar ist, wir haben noch ganz viel Arbeit vor uns, damit Frauen und Männer und auch nichtbinäre Personen gleiche Möglichkeiten haben. Mir geht aber auch durch den Kopf, dass wir uns nicht in Opposition begeben sollten, sondern dass wir gemeinsam schauen sollten: Wie kann man eigentlich gemeinschaftlich die Gesellschaft so formen, dass alle Platz haben und dass es kein Hauen und Stechen gibt? Ich habe mal darüber nachgedacht, wenn ich meine eigenen Arbeitsbereiche oder auch mich als Person zu definieren versuche, also: Ich bin Frau, ich bin Musikerin, ich spiele Neue Musik, ich spiele Bratsche, ich unterrichte. Aber da bin ich überall in einer Nische. Und ich möchte in keine Nische. Ich denke, wir sollten eigentlich alle versuchen, uns aus den Nischen herauszubewegen und zu schauen: Was haben wir gemeinsam? Was können wir gemeinsam erarbeiten, damit jeder und jede ein Plätzchen hat?

BR-KLASSIK: An den Hochschulen gibt es ja auch Gremien, und die sind meistens überwiegend männlich besetzt. Sind Sie da mal belächelt worden als Frau, die dann auch noch Bratsche spielt?

Tabea Zimmermann: Nein, so habe ich das nicht erlebt – ganz im Gegenteil. Ich musste in jedem Gremium mitarbeiten, weil wir so wenige Frauen im Professorenkreis sind. Das ist schon fast wieder eine Ungerechtigkeit – wenn man dann die Mails bekommt, wo es heißt, wir haben die und die Kommission, uns fehlt natürlich wieder mal eine Frau, kannst Du nicht mitmachen? Deshalb bin ich der Meinung, wir haben noch viel zu tun. Ich möchte aber keine Quotenfrau sein. Ich möchte auch anderen keinen Quotenplatz zuweisen. Und trotzdem sind wir nicht an dem Punkt, wo alle die gleichen Chancen haben.

Radio-Tipp

Zum Internationalen Frauentag: die Bratschistin Tabea Zimmermann, "Artist in Residence" beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, zu Gast bei Fridemann Leipold. Am Mittwoch, 8. März 2023, um 20.05 Uhr auf BR-KLASSIK.

Ich möchte keine Quotenfrau sein.
Tabea Zimmermann

BR-KLASSIK: Wenn Sie an die #MeToo-Debatte denken, hat diese Kampagne etwas bewirkt? Hat sich etwas verändert? Ich habe neulich den Sänger Michael Volle interviewt, und er sagte: Nein, es hat sich im Grunde nichts verändert. Aber natürlich ist Oper nochmal viel spezieller als der normale Konzertbetrieb.

Die deutsche Bratschistin Tabea Zimmermann (geboren 1966) beim Spiel auf der Bratsche, aufgenommen im Juli 1985 auf dem Kuhmo Kammermusik-Festival in Finnland vom 14. bis zum 28. Juli 1985. | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Lehtikuva Oy Tabea Zimmermann 1985 auf dem Kuhmo Kammermusik-Festival in Finnland. | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Lehtikuva Oy Tabea Zimmermann: Ich denke, die Debatte war wichtig – und ist noch wichtig. Ich habe neulich einen interessanten Artikel in der neuen musikzeitung gelesen, wo von einem Klavierkollegen aus der Frankfurter Musikhochschule die Rede war, der das auch noch mal in einem Handbuch thematisiert hat. Wir haben sowohl in der Lehre als auch im Konzertbetrieb noch jede Menge Arbeit vor uns, um auf ein professionelles Miteinander zu kommen, wo es egal ist, welche geschlechtliche Identität jemand mitbringt. Es gibt noch sehr viel Arbeit – und es gibt noch sehr viel aufzudecken. Ich gehöre eher zu denen, die da gerne mal noch ein bisschen aufräumen würden. Aber damit macht man sich nicht immer Freunde.

Noch viel Arbeit zu bewätigen

BR-KLASSIK: Ich schätze, es wird immer dann schwierig, wenn es um die Verteilung von Posten geht, auch an Hochschulen. Gerade wenn wir hier in München an Siegfried Mauser und Christine Schornsheim denken, was da passiert ist. Also immer, wenn es um Macht geht, wird es schnell heikel.

Tabea Zimmermann: Ganz klar, und mir tut Frau Schornsheim wirklich leid. Man wird ja dann als Nestbeschmutzerin angesehen, wenn man die unschönen Wahrheiten an die Oberfläche bringt. Ich habe das in Berlin auch erlebt, als ich versucht habe, etwas zu benennen, was andere lieber nicht sehen wollten. Also ich denke, da liegt noch viel Arbeit vor uns.

Lasst Euch bloß nicht einreden, dass Ihr das nicht könnt!
Tabea Zimmermann

BR-KLASSIK: Wie sieht es eigentlich mit Komponistinnen aus? In der zeitgenössischen Musik ist das Verhältnis zwischen Männern und Frauen heute fast schon paritätisch aufgestellt, wage ich mal zu behaupten …

Tabea Zimmermann: Paritätisch glaube ich nicht. Aber es gibt in der zeitgenössischen Musik definitiv mehr Chancen für junge Frauen. Und ich finde, da liegt eben auch das Problem, wenn wir jetzt versuchen, Komponistinnen auszugraben, die früher etwas geschrieben haben. Viele Frauen haben ja mit viel Fantasie und tollen Eingebungen versucht, etwas zu Papier zu bringen – haben sich aber entmutigen lassen. Ich denke da an eine Fanny Hensel, Schwester von Mendelssohn, ich denke auch an Clara Schumann. Ich glaube, das Sich-Unterordnen und -Einordnen kann bis heute durchaus dazu führen, dass man auch in einem vorauseilenden Gehorsam eine Rolle einnimmt, die vielleicht von außen gar nicht mal so gewünscht ist. Ich denke da auch an mich selbst: Ich bin die erste in meiner Familie, die einem Beruf auf der Bühne nachgeht, die überhaupt einem Beruf nachgeht als Frau, eigenes Geld verdient und eigene Entscheidungen gefällt hat. Und das ist sogar für mich in meiner Familie manchmal schwer gewesen, mich zu behaupten, weil ich von vornherein schon das Gefühl hatte, ich weiche zu stark ab von dem Pfad. Das möchte ich den jungen Frauen eigentlich mitgeben: Findet raus, wer Ihr selber seid und lasst Euch bloß nicht einreden, dass Ihr das nicht könnt!

BR-KLASSIK: Ich habe auch oft gehört, dass es letztlich an mangelndem Selbstvertrauen liegt. Das Können ist da. Aber während Männer sagen: Klar, mache ich, das bringt mich einen Schritt weiter auf der Karriereleiter, trauen sich Frauen das eigentlich nicht zu. Also da muss man, denke ich, Überzeugungsarbeit leisten.

Tabea Zimmermann: Ja, genau das versuche ich auch, wenn es um Stellenbesetzungen geht, und man hört, hier ist eine Stelle frei, bewusst Frauen anzusprechen, die eben von selber vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen wären, und zu sagen: Bewirb Dich doch auf diese Führungsposition – denn wenn Du es nicht tust, sitzt da demnächst ein männlicher Kollege. Übrigens nichts gegen die männlichen Kollegen, die dann da sitzen. Aber um gleiche Chancen zu haben, müssten Frauen auch manchmal die Ellenbogen rausfahren und sagen: Ich will es jetzt einfach mal wissen.

Sendung: "Allegro" am 8. März ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player