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Klavierduo Labèque beim BRSO "In diese Musik einzutauchen, tut gut!"

Die Menge tanzt während der Kreuzigung Jesu Christi. In der "Pasión según San Marcos" des argentinischen Komponisten Osvaldo Golijov kann man die christliche Leidensgeschichte ziemlich anders erleben – rhythmisch aufgeheizt, mystisch und hochemotional. Das Star-Klavierduo Katja und Marielle Labèque spielt das fulminante Werk in einer Fassung für zwei Klaviere, Perkussion und Orchester. Simon Rattle, der von dem Werk schon lange begeistert ist, leitet am Pult des BRSO die Münchner Erstaufführung am 03. und 04. Oktober.

Die Schwestern Katia und Marielle Labèque | Bildquelle: © Umberto Nicoletti

Bildquelle: © Umberto Nicoletti

Das Interview zum Anhören

BR KLASSIK: Der Argentinier Osvaldo Golijov hat seine "Pasión según San Marcos" im Auftrag von Helmuth Rilling und der Internationalen Bachakademie Stuttgart für das Bachjubiläumsjahr 2000 komponiert. Der Wunsch, daraus eine Version für zwei Klaviere und Orchester zu kreieren, stammt von Ihnen persönlich. Wie kamen Sie dazu?

Katja Labèque: Ich habe die Passion in Rom in ihrer vollständigen Fassung gehört. Und ich fand sie einfach großartig. Simon Rattle hatte mir von diesem Werk schon öfter erzählt und nach dieser Aufführung bin ich zu Osvaldo Golijov gegangen. Er hat mir Gonzalo Grau vorgestellt mit den Worten: "Das ist der Beste, um eine Version für zwei Klaviere, Perkussion und Orchester anzufertigen." Und so hat es angefangen. Ich glaube, das war 2011, schon lange her. Und seitdem haben wir das Stück oft gespielt, auch mit Simon, weil wir es einfach sehr mögen.

Diese Musik ist voller Sonne und strahlt ganz viel Energie aus.
Marielle Labèque

BR KLASSIK: Ein argentinischer Komponist mit jüdischen Wurzeln beschreibt die christliche Leidensgeschichte aus lateinamerikanischer Sicht – was fasziniert Sie an Golijovs Musik?

Marielle Labèque: Was ich besonders mag, sind die Melodien, die außergewöhnlichen Rhythmen und den Part der Perkussion, der sehr, sehr wichtig ist. Die beiden Perkussionisten Gonzalo Grau und Raphaël Séguinier, die im Konzert auftreten, sind hervorragende Musiker, mit denen wir oft spielen, zum Beispiel auch Musik von Bernstein. Simon Rattle war ja zu Beginn seiner Musikerkarriere auch Schlagzeuger. Deshalb gefällt ihm diese Suite vielleicht so sehr. Wenn man ihm zusieht, hat man das Gefühl, er möchte sie am liebsten selbst spielen. Das Stück ist sehr lebendig, sehr ausgelassen. Diese Musik ist voller Sonne und strahlt ganz viel Energie aus.

Im Jahr 2000 war diese Musik ein Schock

Katja Labèque: In der Pasión según San Marcos kann man etwas ganz Neues entdecken: und zwar die Verschmelzung von populärer Musik und einem klassischen Orchesterklang. Golijov hat das in seiner Komposition sehr intensiv und gekonnt ausgearbeitet. Neben dem großen Chor spielt auch eine Gruppe von Popmusikern, die aus Lateinamerika kommen, auch aus dem Jazz. Als Osvaldo diese Verschmelzung im Jahr 2000 "gewagt" hat, war das ein Schock. Weil es wirklich die Ausnahme ist, in der Mitte eines klassischen Symphonieorchesters Musiker der traditionellen Volksmusik und der Popmusik einzubauen.

Mehr zum Konzert mit dem Klavierduo Labèque und dem BRSO unter Simon Rattle

BR KLASSIK: Die beiden Klavierparts sind voller perkussiver Elemente und rhythmischer Passagen. Zum Beispiel heißt der zweite Satz "Trommeln in weiß und schwarz". Was reizt Sie, das Klavier als perkussives Instrument zu betrachten?

Marielle Labèque: Gar nicht leicht zu sagen. Ich mag es, auf diese Weise in die Tasten zu greifen. Wir spielen ja nicht immer solche Musik...

Katja Labèque: …aber der vierte Satz der Suite ist sehr lyrisch, sehr schön und erinnert viel mehr an die klassische Klaviertechnik. Der zweite Satz "Berimbau", der ist wirklich sehr perkussiv. Der fünfte eher weniger. Es hängt vom einzelnen Satz ab.

Das Klavier als Perkussionsinstrument

Marielle Labèque: Ja, das stimmt. Generell ist das Klavier auch eine Art Perkussionsinstrument, das viel Kraft und Energie ausstrahlt und auch benötigt. Mir macht es großen Spaß, so zu spielen. Egal mit welchem Repertoire. Am Ende des 2. Satzes steigert sich das Perkussive ganz enorm, es wird immer schneller, dazu kommt das Fortissimo, das ist unglaublich. Für mich die reinste Freude, das zu spielen.

Wir sind dafür bekannt, dass wir sehr offen, sehr vielseitig sind.
Katia Labèque

BR KLASSIK: Sie kommen aus Frankreich, sind aufgewachsen mit der mitteleuropäischen Musikkultur. Und wie gesagt – die Suite lebt von den Rhythmen aus Lateinamerika: Samba, Mambo, Comparsa, auch Rhythmen, die ihren Ursprung in afrikanischen Musiktraditionen haben. Wie haben Sie sich dem angenähert?

Die Schwestern Katia und Marielle Labèque | Bildquelle: © Umberto Nicoletti Das Klavierduo Labèque | Bildquelle: © Umberto Nicoletti Katja Labèque: Wir spielen ja schon seit sehr Langem, sagen wir, populäre Musik. Und nicht nur Gershwin oder Bernstein. Wir haben auch Ragtime aufgenommen. Seit unserem Karrierestart als Duo sind wir dafür bekannt, dass wir sehr offen, sehr vielseitig sind. Ich war Mitglied in einer Jazzband, habe Aufnahmen mit Jazzmusikern gemacht. Aktuell arbeiten wir mit zwei hervorragenden Gitarristen zusammen, die auch ganz viel elektronische Musik und Rock machen. Wir sind wirklich breit aufgestellt. Darüber hinaus macht es in der Suite "Nazareno" viel Spaß, sich mit Musiktraditionen zu befassen, die nicht die unseren sind. Das ist und bleibt immer eine Herausforderung, sich da reinfallen zu lassen. Die Phrasierung in der lateinamerikanischen Musik ist ganz anders als im Jazz, im Pop, und sehr speziell. Die wichtigen Akzente zum Beispiel sind oft nur ein Sechzehntel nach dem Downbeat. Das Gefühl in dieser Musik ist grundsätzlich ein anderes. Und da einzutauchen, tut gut.

Die Leute können tanzen, während sie das Sterben begleiten.
Katia Labèque

BR KLASSIK: Die Suite endet in einem fulminanten Finale: ein perkussives Feuerwerk, das die Menge antreibt wie im lateinamerikanischen Karneval. Die Musik heizt allen Mitwirkenden ein, das Publikum wird jubeln. Dabei beschreibt das Finale mit dem Titel "Prozession" die Kreuzigung von Jesus Christus. Inwiefern steckt darin ein Widerspruch?

Katja Labèque: Das ist sehr lateinamerikanisch, aus der Kreuzigung etwas sehr Fröhliches zu machen. In vielen Ländern Lateinamerikas nähern sich die Leute dem Tod und dem Leiden ganz anders, als wir in Mitteleuropa es gewöhnt sind. Der letzte Satz beginnt mit dem Geräusch von Hämmern. Die Töne im hohen Klavierpart sind die Nägel, die ins Kreuz geschlagen werden. Und danach beginnt die Prozession. Die Leute können tanzen, während sie das Sterben begleiten. Das ist eine andere Kultur.

Sendung: "Konzertabend" am 04. Oktober 2024 ab 20:03 Uhr auf BR-KLASSIK

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