Am 17. März 2025 feiert die Neuinszenierung von "Káťa Kabanová" von Leoš Janáček an der Bayerischen Staatsoper Premiere. Im BR-KLASSIK Interivew verrät Marc Albrecht, warum er ohne Pause dirigiert, was das mit der Wolga zu tun hat und wie er zum Selbstmord der Titelheldin steht.
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BR-KLASSIK: In dem Stück spielt der Fluss Wolga eine große Rolle. Und Sie geben die Oper ohne Pause. Haben Sie das berühmte Sprüchlein von Heraklit, "Alles fließt" im Hinterkopf gehabt?
Marc Albrecht: (Schmunzelt) Alles fließt, ja, und alles ist unglaublich dicht. Und dass man diese Verdichtung auch wirklich mitbekommt, ist es gut, wenn man keine Pause macht. Die Katastrophe nimmt einfach ihren Lauf und dieser Sog nach hinten hin ist dann schon ganz stark und unwiderstehlich.
BR-KLASSIK: Der Sog nach hinten ist ja auch musikalisch unwiderstehlich. Das wird immer kürzer getaktet, zwischen den Personen, zwischen den Orchestereinwürfen, die fast wie Störmomente wirken …
Marc Albrecht: Das trifft es, ja, die Menetekel sind eigentlich immer die Posaunen, Tuben und Pauken, die von Anfang an so ein Schicksalsmotiv bilden: ganz leise erst, aber am Ende hämmert es dann, wie wenn einem das Herz im Halse schlägt. Die Gewitter-Szene ist gleichzeitig auch die Geständnis-Szene, das wird auch von Katja und anderen in diesem Ort als Gottesurteil angenommen. Dass dieses Gewitter gottgewollt ist und geschickt wird, wenn sich Sünden anhäufen.
BR-KLASSIK: Wenn Sie sich jetzt mit dieser Partitur auseinandersetzen bzw. bereits auseinandergesetzt haben – entsteht da ein bestimmtes Bild dieses Flusses in Ihrem Kopf, das Sie auch in die Musik transportieren? Haben Sie sich Bilder oder Gemälde von der Wolga angeschaut?
Marc Albrecht: Ja, ich kenne Bilder von der Wolga und würde die Gegend um den Fluss sehr gerne mal besuchen. So große Ströme faszinieren mich schon. Die Wolga ist natürlich riesig und es ist klar, dass dort auch Menschen verschwinden und dass die Wolga auch Schicksale entscheidet. Sogar das Wohl und Weh einer ganzen Dorfgemeinschaft hängt an diesem Fluss.
BR-KLASSIK: Wie halten Sie denn da vom ersten Takt, von dieser Introduktion, die ja noch ganz hart beginnt, bis zum Schluss die Spannung? Die Spannung ergibt sich zwar aus der Musik, aber trotzdem muss man sich ja auch selber ein bisschen hineinfinden.
Marc Albrecht: Es ist eine große Expedition, die man da letztendlich macht. Und Sie sagen das richtig: Die Spannung ergibt sich im Grunde von selbst. Man muss eher steuern, dass man in den lyrischen Momenten auch wirklich zu dieser Zartheit und Zerbrechlichkeit findet, die die Protagonistin als Person ja auch hat. Dass man dies wirklich zu seinem Recht kommen lässt und man sich einfach genug Zeit nimmt, denn sonst ist es ein sehr rastloses Stück. Es gibt eben auch viele brutale Momente, grausame Dinge, wie der Abschied von Tihon, wenn er Káťa seiner Mutter ausliefert und ihr nochmal sagt, was sie alles zu tun hat und wie sehr sie sich vor ihr in den nächsten zehn Tagen zu erniedrigen hat. In dem Moment zerbricht eigentlich auch das Band zwischen den beiden Eheleuten.
BR-KLASSIK: Haben Sie eigentlich manchmal das Bedürfnis, das Orchester zu bremsen? Ich kann mir vorstellen, dass da ja auch eine irre Lust aufkommt, gerade bei den Pauken, wenn diese eine so wirklich erzählerische Stimme haben. Und da ist ja noch viel mehr als nur die Pauken, wenn sie das Herz imitieren. So etwas kommt ja auch nicht alle Tage vor. Oder müssen Sie da eher Mut machen und sagen: Hau noch ein bisschen drauf?
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Marc Albrecht: Nein, das ist noch eine ganz leise Stelle, diese Pulsschlagstelle. Die nimmt man erst gar nicht so richtig wahr. Erst am Ende, wenn es dann wirklich springt, merkt man, dass es die ganze Zeit da war und hämmert. Janacek hat dem Stück eigentlich mit den drei Posaunen, der Tuba und der Pauke eine Art Grundgerüst gegeben. Diese fünf Musiker spielen eigentlich den ganzen Abend über vom allerersten Anfang an immer nur dieses menetekelartige Schicksalsmotiv. In der ersten Minute des Vorspiels taucht es auf – und dann spielen die es ungefähr vierzigmal am Abend. Sie haben fast keine anderen Noten als nur immer dieses Thema. Aber jedes Mal anders: jedes Mal ein anderes Tempo, eine andere Tonalität, eine andere Dynamik. Es ist quasi allgegenwärtig und unüberhörbar. Von Anfang an brennt es sich ein und es begleitet den Abend bis zum Schlusspunkt.
BR-KLASSIK: Wenn wir das jetzt mal übertragen: Am Ende siegt der Glaube, Hoffnung gibt es ja jedenfalls keine – und die Liebe geht ins Wasser …
Marc Albrecht: Da ist diese wichtige Szene, wo Káťa ganz allein mit sich hadert, ob sie den Schlüssel nutzen wird, den ihr die Varvara listig in die Hand gegeben hat. Also ob sie wirklich das Hintertürchen im Garten öffnen wird, zur Wolga geht und Boris trifft – oder eben nicht. Und sie wird das tun, sie wird versuchen, Boris zu sehen. Gleichzeitig sieht Káťa ihr Ende voraus: Es wird ihr Tod sein ... Denn sie kommt aus diesem Kaff, auch aus dieser Gesellschaft, die das sowieso nie verzeihen wird. Auch ihren eigenen Moralvorstellungen kann sie nicht entkommen – und sie tut es trotzdem. Ich denke, die Liebe siegt, denn sie tut es für diese Momente. Das Ganze ist wie eine Kerze, die an zwei Enden brennt – und das völlig mit Bewusstsein.
BR-KLASSIK: Lieber intensiv leben und sich selbst treu sein?
Marc Albrecht: An diesem Ort und auch in dieser Familienkonstellation gibt einfach keine Hoffnung. Irgendwie sind dort alle lebendig begraben. Die Alten geben die Macht nicht aus der Hand und terrorisieren die Jungen. Die Jungen haben keine Hoffnung. Diese zwei verlorenen Gestalten, Katja und Boris, müssen sich sozusagen treffen und finden und gehen schließlich „all in“. Koste es, was es wolle. Einmal leben und einmal das Richtige tun.
Sendung: "Leporello" am 17. März 2025 um 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK