Countertenor und HipHop verschmelzen kunstvoll im Soundtrack zur Thriller-Serie "Eine Billion Dollar", der nun beim Deutschen Filmmusikpreis gekürt wurde. Preisträgerin Martina Eisenreich hat dafür erstmals im Team komponiert.
Bildquelle: Christoph Bombart
BR-KLASSIK: Herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Filmmusikpreis, Frau Eisenreich!
Martina Eisenreich: Vielen Dank! Ich freue mich sehr über den Preis.
BR-KLASSIK: Das ist schon ein Boost, oder?
Martina Eisenreich: Ja, es ist einfach wunderschön, wenn man das Gefühl hat, dass die eigene Arbeit so wahrgenommen wird.
BR-KLASSIK: "Wahrgenommen wird" ist ein wichtiger Punkt. Filmmusik kann einen Film zu einem Meisterwerk machen, aber sie wird in ihrer Wichtigkeit nicht immer gesehen und gehört. Richtig?
Martina Eisenreich: Das ist auf alle Fälle so. Die Ton-Ebene wirkt sehr unterbewusst. Dabei sind der Sound und die Musik die dritte Dimension. Alles, was wir fühlen, was wir glauben, kommt durch den Ton und durch die Musik.
Ich liebe die Farbe des Countertenors im Allgemeinen sehr.
BR-KLASSIK: Sie lieben ja unkonventionelle Instrumente. Gibt es eine besondere Klangfarbe, die für diesen Film jetzt unverzichtbar war?
Martina Eisenreich: Eine ganz spezifische Klangfarbe war der Countertenor Andreas Scholl, den Michael und ich für das Projekt gewinnen konnten. Wir haben ihn eine Linie aus Henry Purcells "Dido und Aeneas" singen lassen, die wir in der gesamten Filmmusik immer wieder verwoben haben. Ich liebe die Farbe des Countertenors im Allgemeinen sehr.
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BR-KLASSIK: Filmmusik ist ja oft Teamarbeit. Sie haben gerade Ihren Kollegen Michael Kadelbach angesprochen, mit dem Sie den Score gemeinsam erstellt haben. Wie funktioniert Teamarbeit im Kreativen?
Martina Eisenreich: Das war für mich eine ganz neue Erfahrung. Wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten, ob ich gerne gemeinsam mit anderen Komponistinnen ein Projekt machen würde, dann hätte ich einfach Nein gesagt. Ich bin in vielen Dingen ein Controlfreak und koche da wochenlang meine eigene Suppe. Dann gab es folgende Situation: Der Regisseur Florian Baxmeier hatte mit Michael Kadelbach und auch mit mir schon Projekte gemacht. Er kam auf uns beide zu und sagte: "Ich habe ein Projekt, wo ich das Gefühl habe, es wäre schön, wenn ihr beide zusammen die Filmmusik dazu schreibt."
Die 43-jährige Martina Eisenreich hat gemeinsam mit Michael Kadelbach den preisgekrönten Score zur Serie "Eine Billion Dollar" komponiert. | Bildquelle: Christoph Bombart Wir waren beide erst mal kurz verunsichert, aber es war auch sehr wenig Zeit bis zur Fertigstellung. Insofern haben wir dann mal miteinander telefoniert und es hat sich dann herausgestellt, dass es eine wunderbare Kombination war. Michael kommt aus der elektronischen Musik, hat als Teenager Hip-Hop-Acts produziert und ist auf diese Weise zur Filmmusik gekommen. Ich komme eher aus der Klassik, habe viel mit Orchestern gearbeitet und Klassische Komposition studiert. Am Ende ist es gerade gut, dass jeder von uns beiden vom anderen Ende der ästhetischen Herangehensweise kommt. Uns war auch besonders wichtig, dass nicht jeder seine eigenen Cues und seine eigenen Stücke schreibt und wir die dann zusammenwerfen. Sondern wir haben gemeinsam Themen gefunden, haben uns gegenseitig Audiodateien und Notenmaterial zugeschickt, haben gegenseitig Aufnahmen gemacht für die Tracks, die der andere vorbereitet hatte. Und am Ende hatten wir wirklich eine gemeinsame ProTools-Session (professionelle Software für Musikproduktion, Anm. der Redaktion), an der wir zu zweit gearbeitet haben.
BR-KLASSIK: Also jede Minute ist von jedem der beiden?
Martina Eisenreich: Ganz genau. Das ist wirklich eine Besonderheit. Vor dieser Zusammenarbeit hätte ich auch nicht gewusst, wie das funktionieren könnte.
Ich bin in vielen Dingen ein Controlfreak.
BR-KLASSIK: Gibt es eine Szene, wo die Musik eine ganz besondere Rolle spielt? Die gar nicht funktionieren würde ohne die Musik?
Martina Eisenreich: Ich glaube, dass es eigentlich die ganze Serie betrifft. Es ist ja oft so, dass man Szenen ohne Musik überhaupt nicht wiedererkennt. In dieser Serie liegt 90 Prozent der Zeit ein ziemlich großer Score unter allem.
BR-KLASSIK: Und andersrum gefragt: Ist nicht manchmal auch Stille wahnsinnig wirksam, wenn plötzlich die Musik aussetzt, gerade wenn sie sonst präsent ist?
Martina Eisenreich: Absolut, ja. Pausen sind immer das Wichtigste. Aber in dieser Serie gibt es nicht viele davon.
BR-KLASSIK: Wer entscheidet, wann Musik kommt und wann nicht? Sie oder der Regisseur?
Martina Eisenreich: In dem Fall war es eine gemeinsame Findung dorthin. Irgendwann etabliert sich die Sprache eines Films oder einer Serie und man hat ein Gefühl für die Farbe. Und hier ist die Musik eben eine ganz wesentliche Farbe. Es geht in der Serie "Eine Billion Dollar" um eine 500 Jahre alte Prophezeiung, in der ein Kaufmann geträumt hat, dass er mit seinem Geld, das er jetzt anlegt, die Zukunft der Menschheit retten wird, 500 Jahre später. Die Geschichte basiert auf dem Roman von Andreas Eschbach. Und insofern geht es ganz viel um die alte europäische Welt, um das antike Florenz. Und dann landet man heute im modernen Berlin und hier verbinden sich die Welten. Das war auch die Idee des Regisseurs, uns beide an Bord zu holen, glaube ich. Aber wie das in der Verdichtung der filmischen Erzählung immer so ist: Es findet alles gleichzeitig statt, auf der emotionalen Ebene, auch in der Erzählstruktur. Und darauf ist auch die ganze Musik ausgelegt. Sie verbindet diese beiden Welten miteinander, aber eben nicht linear, sondern vertikal.
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BR-KLASSIK: Wollen Sie in Zukunft im Team mit Michael Kadelbach weiterarbeiten?
Martina Eisenreich: Tatsächlich haben sich in der Zwischenzeit schon sehr viele neue Zusammenarbeiten ergeben. Die Arbeit an der Serie ist jetzt schon seit fast einem Jahr abgeschlossen. Es war ganz lustig, denn wir haben an der Serie gearbeitet und uns dabei überhaupt nicht persönlich kennengelernt. Wir waren jeder an seinem Ende, also in Barcelona beziehungsweise München. Zur Premiere haben wir uns zum ersten Mal gesehen. Gleich als die Arbeit an "Eine Billion Dollar" abgeschlossen war, hat Paramount uns direkt wieder angefragt für die nächste Serie "Turmschatten", die ab dem 15. November bei Sky zu sehen ist. Zwischenzeitlich haben wir die Comedy-Serie "Ghosts" vertont. Und aktuell arbeiten wir an einer Netflix-Serie mit dem pittoresken Titel "Kacken an der Havel", was auch eine sehr bunte und wilde Komödie sein wird.
BR-KLASSIK: Lustig und schön, dass da jetzt ein Team entstanden ist, ein Gespann aus zwei Individualisten. Weiterhin viel Erfolg!
Martina Eisenreich: Vielen Dank!
Sendung: "Leporello" am 14. November 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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