Krystian Zimerman ist ein herausragender Pianist. Und er ist skrupulös. Über 200 Konzertsäle hat er analysieren lassen. Und vor jedem Konzert nimmt er sich extra Zeit, um sein Klavier zu präparieren. Warum der Aufwand? – Darüber haben wir mit ihm gesprochen.
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BR-KLASSIK: Herr Zimerman, seit Jahrzehnten reisen Sie mit Ihrem eigenen Flügel. Was ist das denn für ein Instrument? Wie haben Sie sich gefunden?
Krystian Zimerman: Na, ich reise ja auch mit der eigenen Frau und der eigenen Zahnbürste. Das ist, denke ich, eine ganz normale Sache. Geiger machen das genauso. Anne-Sophie Mutter reist auch mit ihrer Stradivari. Das ist einfach üblich für Solisten.
BR-KLASSIK: Beim Klavier ist es nicht ganz so üblich. Bei der Geige liegt es ja noch auf der Hand, aber unter den Pianistinnen und Pianisten sind sie wahrscheinlich eher einer der wenigen, die das machen?
Krystian Zimerman: Lustigerweise hat sich ja bei der Geige eigentlich nicht sehr viel verändert. Die Geiger spielen heute genau dieselben Stradivaris, für die Paganini und seine Kollegen ihre Werke komponiert haben. Bei uns ist die Situation ganz anders. Die Geschichte des Steinways ist eigentlich relativ kurz. Das erste Instrument wurde erst um das Jahr 1875 herum gebaut ...
BR-KLASSIK: ... Sie spielen auf einem Steinway?
Krystian Zimerman: Ja … zumindest der Resonanzboden ist ein Steinway. Was drin ist, versuche ich ein bisschen anzupassen. Aber ich möchte hier jetzt keinen falschen Eindruck erwecken: Ich baue kein neues Instrument.
Und wissen Sie, ein Instrument existiert eigentlich nicht alleine. Die Akustik spielt auch eine große Rolle. Diese Erfahrung musste ich in meinen ersten Karrierejahren schmerzhaft machen. Als ich dann endlich genug Geld hatte für mein eigenes Reiseinstrument, dachte ich: Das ist das Ende meiner Probleme! Und dann kam ich nach London in die Royal Festival Hall und habe dort meinen Flügel nicht wiedererkannt. Ich dachte, irgendetwas ist passiert. Vielleicht die Feuchtigkeit auf dem Boot? Vielleicht der Klavierstimmer? Was ist passiert? Wir hatten einen Riesenkrach mit dem Klavierstimmer. Aber einen Tag später waren wir dann in Paris im Salle Pleyel und dort war wieder alles in Ordnung. Also musste ich mich entschuldigen, denn in dem Moment habe ich begriffen, dass nicht nur ich Klavier spiele. Mindestens 50 Prozent macht der Konzertsaal aus. Danach fing ich an, mit einer norwegischen Firma durch Europa zu reisen, um die Akustik der Säle zu analysieren.
Mindestens 50 Prozent macht der Konzertsaal aus.
BR-KLASSIK: Sie passen also Ihren Flügel der jeweiligen Saalakustik an? Wie genau?
Krystian Zimerman: Das sind verschiedene Verfahren, für die ein Klavierbauer normalerweise etwa eine Woche braucht. Ich schaffe das mittlerweile in einer halben Stunde. Über die Jahre habe ich etwa 200 Säle analysiert und in meinem Computer gespeichert – und daraus leite ich dann ab, wie ich das Klavier einrichte.
BR-KLASSIK: Und was verändern Sie konkret?
Krystian Zimerman: Ach, wissen Sie, wir werden jetzt nicht in die Details gehen, dafür haben wir doch keine Zeit.
BR-KLASSIK: Aber es kann doch kein Geheimnis sein, wo genau Sie anpacken?
Krystian Zimerman: Ich schätze Ihr pedantisches Herangehen an die Sache, aber es erinnert mich an einen Freund. Ein Kartentrick-Spezialist, vielleicht einer der größten der Welt. Er hatte in Las Vegas zehn Jahre lang seine eigene Show. Ein absolutes Genie! Er macht Sachen, die absolut phänomenal sind. Und wenn man mit ihm unterwegs ist, dann begegnet man immer zwei Typen von Menschen: die, die das einfach genießen und unglaublich viel Spaß haben; und die anderen, die unbedingt wissen wollen, wie das gemacht ist. Und nachdem sie es wissen, ist das ganze Mysterium weg, aber sie sind glücklich.
BR-KLASSIK: Sie wollen sich dieses Geheimnis, diese Magie noch bewahren?
Krystian Zimerman: Es ist kein Geheimnis, aber ich glaube, das Publikum muss nicht wissen, wie wo was gedreht wird. Es reicht, wenn das Publikum weiß, welcher Aufwand hier betrieben wird – was ich alles bereit bin zu tun, um ein Konzert zu spielen. Aus dem Grund gebe ich ja nur 12 bis 15 Konzerte im Jahr.
BR-KLASSIK: Relativ wenig verglichen mit anderen Weltstars ...
Krystian Zimerman: Ich vergleiche das nicht mit anderen. Was die anderen machen, hat auch seine Berechtigung. So funktioniert es eben für sie. Ich will niemandem Ratschläge geben. Ich kann aber nur so.
BR-KLASSIK: Und das ist auch gut so, Herr Zimerman. Lassen Sie uns über Nürnberg sprechen: Wenn Sie nächste Woche (27. September) in der Meistersingerhalle spielen, haben Sie die auch auf Ihrer Karte?
Krystian Zimerman: Ja, die Meistersingerhalle hat eine der schwierigsten Akustiken in Deutschland. Da hört man alles sehr genau. Das bedeutet: Wenn der Flügel in Nürnberg gut klingt, dann klingt er eigentlich überall gut.
Jetzt fragen Sie sich vielleicht, warum es nicht gut für die Musik ist, die Töne genau zu hören? Nun, das berührt ein Problem, das in Deutschland vielleicht noch größer ist, als in anderen Ländern. In den Sechzigern waren alle auf Transparenz aus, auf die Klarheit des Klanges. Und jetzt sitzen wir in diesen Mehrzweckhallen, die damals gebaut wurden und hören vor lauter Noten die Musik nicht mehr.
Es geht nämlich nicht um Genauigkeit, nicht darum, alle Töne zu hören. Entscheidend ist, dass aus diesen Tönen Musik wird. Denn Töne sind nur ein Werkzeug. Musik ist eigentlich Emotion in Zeit. Wenn ich spiele, interessieren mich also nicht die Noten, sondern die Passion des Komponisten. Ich versuche, zu rekonstruieren, warum er dieses Stück geschrieben hat. Und ich versuche, das dem Publikum zu vermitteln.
Es geht nicht darum, alle Töne zu hören
BR-KLASSIK: Sie sind bekannt als unglaublich authentischer, ernstzunehmender Künstler, dem die Intention des Werkes sehr wichtig ist – aber auch als einer, der politisch Haltung beziehen kann. Würden Sie sich selber als politischen Künstler bezeichnen?
Zimerman im Jahr 1975 nach dem Gewinn des Chopin-Wettbewerbs | Bildquelle: picture alliance / PAP | JAN MOREK
Krystian Zimerman: Überhaupt nicht. Ich bin eine völlig apolitische Person. Ich gehörte nie irgendeiner Partei an. Aber ich hatte immer Angst davor, dass man versucht, zwischenmenschliche Probleme mit Waffen zu lösen. Das hat noch nie funktioniert.
Und es erschreckt mich ein bisschen, dass man versucht diesen brutalen und unnötigen Krieg, den wir gerade erleben, mit noch mehr Waffen zu lösen. Ich glaube, das ist einer der größten Fehler, den die EU macht. Ich würde mir wünschen, dass man genau so sehr auf Diplomatie setzt; dass man versucht, sich einzufühlen in die Ängste der anderen Seite; dass man versucht, alle Faktoren zu beleuchten.
Auch die Presse hat hier übrigens eine wichtige Aufgabe. Wir haben nicht jahrhundertelang für ihre Freiheit gekämpft, damit jetzt alle dasselbe sagen. Da würde ich mir mehr Courage wünschen – den Versuch, die andere Seite zu verstehen.
Ich bin eine völlig apolitische Person
BR-KLASSIK: Die Praxis schaut da leider manchmal etwas komplizierter aus. Auf jeden Fall klingen Sie wie ein Mensch, der sehr wohl eine klare politische Meinung hat und diese auch artikulieren kann?
Krystian Zimerman: Wissen Sie, ich habe 1976 das erste Mal öffentlich die Stimme erhoben. Damals gegen die Apartheid in Südafrika. Danach wurden zehn meiner Konzerte abgesagt. Ich durfte meine Tournee in Südafrika nicht antreten. Also ja, ich habe mich politisch zu Wort gemeldet … auch später noch, und in verschiedenen Konflikten.
BR-KLASSIK: Und haben Sie aus diesen Erfahrungen dann den Schluss gezogen, dass Sie das in Zukunft nicht mehr tun wollen?
Krystian Zimerman: Ich äußere mich nicht politisch. Ich äußere mich so, wie sich jeder Bürger äußern sollte. Etwa dadurch, dass er zur Wahl geht. Das hat nichts mit Politik zu tun. Es wird zwar Politik genannt, aber eigentlich ist es mehr oder weniger eine Pflicht jedes Bürgers.
BR-KLASSIK: Dann verlassen wir doch jetzt die Politik und schauen noch mal zurück auf Ihre Zeit bei der Deutschen Grammophon. Sie sind jetzt fast fünf Jahrzehnte mit diesem Label verbunden. Was haben Sie noch vor dort?
Krystian Zimerman: Ich muss immer noch meinen ersten Vertrag erfüllen. (lacht) 1976 habe ich ihn unterschrieben, zwei Chopin-Sonaten waren versprochen. Und das versuche ich, bis heute nachzuholen. Aber noch bin ich nicht zufrieden mit meinen Interpretationen. Meiner Meinung nach sind sie noch nicht gut genug, um bei einem Label wie der Deutschen Grammophon zu erscheinen.
Meine schönsten Aufnahmen sind immer noch die aus dem Jahr 1978. Dort wurde der Klang des Flügels so genial konserviert. Da ist alles da, was die Musik braucht.
BR-KLASSIK: Herr Zimerman, haben Sie ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Krystian Zimerman: Ich danke auch.
Sendung: "Allegro" am 21. September ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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