BR-KLASSIK

Inhalt

Johannes-Passion "Bach hat das nie so gehört wie wir heute"

Ein kompaktes Meisterwerk: Bachs "Johannes-Passion" ist eine Revolution der Musikgeschichte. Warum diese Musik Menschen bis heute berührt und welche Neuerungen Bach dafür erfunden hat, erzählt Dirigent Thomas Gropper im Interview.

Johann Sebastian Bach: Johannes-Passion, Autograph der ersten Seite | Bildquelle: Wikimedia Commons

Bildquelle: Wikimedia Commons

BR-KLASSIK: Die "Matthäus-Passion" ist ein wenig populärer. Herr Gropper, was ist das Charakteristische an Bachs "Johannes-Passion"?

Thomas Gropper: Die "Johannes-Passion" ist kompakter und stringenter als die "Matthäus-Passion", die mehr Arien und Accompagnato-Rezitative enthält. Diese Unterschiede führen dazu, dass die "Matthäus-Passion" mehr Raum für Betrachtung und Reflexion bietet, während die "Johannes-Passion" direkter vorgeht.

Musikalisches Neuland in Bachs "Johannes-Passion"

BR-KLASSIK: Hans Werner Henze schrieb 1983, in dieser Musik kämen Dinge zur Sprache, "die bis dahin mit Tönen zu sagen niemand gewagt, niemand vermocht oder auch nur versucht hatte". Was sind die musikalischen Besonderheiten, welches Neuland betrifft Bach als Komponist in der "Johannes-Passion"?

Thomas Gropper | Bildquelle: BR Dirigent und Chorleiter Thomas Gropper. | Bildquelle: BR Thomas Gropper: Zum Beispiel die Auseinandersetzung von Pilatus mit den Juden, also mit der Volksmenge, die Jesus umbringen will. Die kommt zwar in der "Matthäus-Passion" auch vor, aber in der "Johannes-Passion" geht sie ungeheuer in die Tiefe und zieht ganz verschiedene Register. Ich finde, dieser Mob, der sich radikalisiert und der auch radikalisiert wird, das ist eine Farbe und ein Eindruck, den hat man damals wohl so musiziert und so dargeboten, noch nie gehört hat.

Bach hatte ungefähr 50 Chorknaben zur Verfügung, und dann waren auch nicht alle gesund und es konnten auch nicht alle gut singen.
Thomas Gropper

BR-KLASSIK: Weiß man überhaupt, wie Bach seine Passionen damals aufgeführt hat? Welche Besetzung möglich war, welches Niveau die Musikerinnen und Musiker hatten?

Thomas Gropper: Also man weiß, dass Bach ungefähr 50 Chorknaben zur Verfügung hatte und die musste er normalerweise sonntags auch noch auf vier Kirchen verteilen, und dann waren auch nicht alle gesund und es konnten auch nicht alle gut singen. Sicher hat er für die Passion da mehr zusammenziehen können, aber es kann kein riesengroßer Chor gewesen sein. Im Orchester waren wohl Studenten, Stadtpfeifer und Stadtmusiker, also schon geschulte Musiker, aber keine wirklichen Profis, die das rund um die Uhr machen. Es gibt wirklich viele, die meinen, so, wie wir das heute hören, im Radio oder im Konzert, so dürfte es Bach zumindest äußerlich nie gehört haben. In seinem Inneren vielleicht schon, aber im Raum nicht.

Abweichungen vom biblischen Original

BR-KLASSIK: Bach hat das Johannesevangelium ein bisschen erweitert. Welche kompositorischen Möglichkeiten hat er sich da erschaffen?

Thomas Gropper: Also ich finde es ganz interessant, dass er auf der einen Seite so wirklich theologisch fein und genau am Geist der jeweiligen Passion bleibt. Bei Johannes geht es um den Gottessohn, der siegt und triumphiert. Und bei Matthäus um den Menschensohn, der leidet. Da ist er ganz genau. Aber in zwei Textdetails ist er dann mehr Musikdramatiker und Opernmeister. Diese starken Affekte, das Weinen des Petrus und das Zerreißens des Vorhangs, lässt er sich nicht entgehen. Und es sind die beiden Stellen, wo der Evangelist, also der Erzähler, der sonst ja eher rezitativisch, also im Sprechgesang berichtet, wirklich auslenkt in Richtung ariosem, ausladendem Gesang. Also man merkt deutlich, hier wird es dramatisch, hier wird es wirklich klagend und heulend. Also da hat Bach dann auch musikalisch zugelegt, um diese Affekte rauszuholen.

Unterschiede in der 2. Fassung der Johannes-Passion

BR-KLASSIK: 1725 hat Bach eine zweite Fassung der Johannes-Passion angefertigt, die Sie nun mit den Arcis-Vocalisten aufführen. Was hat er da verändert?

Thomas Gropper: Von den etwa 40 Nummern der Johannes-Passion hat Bach fünf 1725 verändert. Signifikant den Eigangschor und den Schlusschor. Und drei Arien hat er ausgetauscht für Tenor und Bass und die finde ich großartig. Die sind opernhafter, die sind sogar noch zupackender. So richtig von besser oder schlechter kann man bei Bach ja scher sprechen, aber diese Arien sind noch theatralischer, noch affektiver als die ursprünglichen. Bach hat aber zum Teil auch seine Veränderungen wieder rückgängig gemacht. Vielleicht wollte er das Werk variieren, vielleicht wollte er was ausprobieren, vielleicht hat er umgedacht? Wir wissen ja so wenig über ihn…

Tiefgehende Emotionen in Bachs "Johannes-Passion": Liebe, Verrat und Stärke

BR-KLASSIK: 300 Jahre ist die "Johannes-Passion" jetzt alt. Was kann uns das Werk heute noch sagen?

Thomas Gropper: Da steckt so viel Menschliches drin: Liebe, Treue, Verrat oder Angst, Schwäche und Stärke. Mir geht es immer so, dass diese Passionsgeschichte uns zwar schon erfassen kann, wenn sie von einem guten Lektor oder in einem Gottesdienst vorgetragen wird. Aer durch diese Musikalisierung kann ich das noch einmal ganz anders erleben und erfahren – auch durch die Choräle, in denen das Christentum als Kollektiv Stellung dazu nimmt oder durch die Arien, wo ein Einzelner Stellung bezieht. Diesen Weg von der Gefangennahme über das Verhör und die Peinigungen bis zum Kreuzestod und allem, was danach kommt, kann ich so ganz anders durchlaufen. Die Musik ist sozusagen das, was das mich in die Tiefenebene bringt und ins Emotionale. Nicht so sehr das Gelesene, das würde mir nicht reichen.  

"Johannes-Passion" in München

Thomas Gropper führt Bachs "Johannes-Passion" mit den Arcis-Vocalisten und dem Originalklang-Ensemble "L’arpa festante" am Sonntag, den 23. März 2025, 18 Uhr, in der Münchner Himmelfahrtskirche in Sendling auf.

Sendung: "Leporello" am 20. März 2025 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Bitte geben Sie höchstens 1000 Zeichen ein. (noch Zeichen)
Bitte beachten Sie, dass Ihr Kommentar vor der Veröffentlichung erst noch redaktionell geprüft wird. Hinweise zum Kommentieren finden Sie in den Kommentar-Richtlinien.

Spamschutz*

Bitte geben Sie das Ergebnis der folgenden Aufgabe in Ziffernschreibweise ein:

Acht plus vier ergibt?
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

Mehr zum Thema

Neu bei BR-KLASSIK

    AV-Player