Im Rahmen des "Ja, Mai"-Festivals an der Bayerischen Staatsoper verbindet Regisseur Christopher Rüping Claudio Monteverdis "Il ritorno" und Joan Didions "Das Jahr des magischen Denkens". Eine Verschränkung zweier Stoffe, die gelingt.
Bildquelle: © W. Hösl
Ungewöhnliches gibt es derzeit im Münchner Cuvilliés-Theater zu erleben. Die Bayerische Staatsoper bietet im Rahmen des Festivals "Ja, Mai" eine Doppelpackung (Musik-)Theater: Claudio Monteverdis "Il ritorno d'Ulisse in patria" als Kompaktversion, verknüpft mit Joan Didions "Jahr des magischen Denkens". Eine frühe, mythologische Oper um die Heimkehr des tot geglaubten Ulisse und seiner glücklichen Wiedervereinigung mit Penelope konfrontiert Regisseur Christopher Rüping mit einem kunstvollen Memoir, das um das unmögliche und doch notwendige Abschiednehmen vom geliebten Ehemann kreist.
Joan Didion (sie starb 2021), die ähnlich wie heutzutage Annie Ernaux eine regelrechte Kultgemeinde hat, verlor ihren Gatten urplötzlich, er erlitt einen tödlichen Herzinfarkt beim Abendessen. Erst nach einem Jahr und dem Verfassen ihres Buchs gelang es der Autorin halbwegs, Abschied zu nehmen. Vorher ließ sie etwa Schuhe, Socken, Kleidung im Haus, falls er doch zurückkäme...
Das Warten, Erwarten ist also zentral in beiden Werken und Christopher Rüping, der hier übrigens sein Musiktheaterdebüt gibt, gelingt es formidabel, die Stücke zu verschränken. Während anfangs Didion und Monteverdi für sich stehen, überlappen sich die Ebenen bald mehr und mehr. Die zunächst bis zur Brandmauer leergeräumte Bühne wird später gleichsam zugeträumt: barocke, barockisierende Prospekte fahren herein, das Meer erscheint als Videoprojektion. Während das Monteverdi-Personal aufs zentrale Paar sowie Göttin Minerva und ein paar kleinere Figuren — darunter drei immer wieder herrlich überdrehte Freier — komprimiert ist, agieren die Schauspielerinnen Sibylle Canonica (vom kooperierenden Münchner Residenztheater), Wiebke Mollenhauer und Damian Rebgetz in verschiedenen Rollen.
Sie spielen sich die Textbälle toll zu, mimen mal Didion, mal ihren Ehemann (in lebendiger wie in bereits verstorbener, zurückblickender Version). Mollenhauer setzt sich auch mal mit Videokamera bewaffnet ins Publikum und lässt zur Frage, ob und wen sie vielleicht doch noch in Zukunft heiraten könnte, die Kamera durch den Saal gleiten. Es sind kleine, feine humorvolle Haken, die Rüping bewusst in den sonst eher heftigen Pathos-Strom setzt. Mollenhauer ist ebenso eine Wucht wie Canonica, während der Australier Rebgetz leider mit nuschelndem Akzent sowie überakzentuiertem Spiel zum - einzigen - Schwachpunkt des Abends wird.
Ulisse, überragend gespielt und gesungen von Charles Daniels, erscheint als leicht nerdige Figur wie aus einem Woody-Allen-Film, seine 'Verkleidung' ist eine überaus unvorteilhafte Brille. Die Freier metzelt er wie in einer Kunstaktion formvollendet kunstvoll ab. Zum Finale sehen und hören wir das Liebespaar Ulisse und Penelope (mit kräftigem, zupackendem Melos: Kristina Hammarström) in langer, sinnlicher Umarmung, während die Akteure weinend auf einer Bank sitzen. Ob es Tränen der Rührung sind oder Trauer über eine letztlich doch nicht realistische Beziehung, hält die Regie wunderbar in der Schwebe.
Christopher Moulds dirigiert das Monteverdi Continuo Ensemble (des Bayerischen Staatsorchesters) und lässt dem Graben einen klar strukturierten, in jedem Takt stimmigen Barocksound entströmen, herrlich perlt und glitzert alles. Auch die kleineren Partien sind gut besetzt, vor allem mit Xenia Puskarz Thomas als Minerva und Melanto sowie Granit Musliu als Telemaco.
Sendung: "Leporello" am 8. Mai 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Mittwoch, 10.Mai, 09:37 Uhr
Euphrosine
Zwar war der erste Teil etwas zäh (die sprachliche Darstellung ist nicht gerade virtuos, die Schauspielerinnen laden sie trotzdem professionell mit Bedeutung, während der Herr Ausspracheübungen eines ihm oft unverständlichen Textes zu machen scheint); doch die Verschränkung mit dem musikalischen Teil gelingt in der Tat zunächst vorzüglich.
Auch dank der wunderbaren Bühne war ich bald völlig bezaubert und ging auf im Sog der Musik.
Bravo an die Band und das Sangesvolk!!
So hätte ich einen begeisternden Abend verlebt, wenn ich nur auf dem Kipppunkt gegangen wäre: als der Schauspieler einer sich völlig abkapselnden Penelope klar zu machen versucht, dass ihr Mann tot ist.
Denn von nun an ging´s bergab: es wird geschwätzig. Weder einzelne nette kleine Regie-Einfälle, noch die spärlichen Untermalungstöne können über die an diesem Abend herrschende schwindelerregende Fallhöhe zwischen Monteverdi und Didion hinwegtäuschen.
So wird denn zuletzt jedes (Mit)Fühlen leider einfach niedergeschrien.
Montag, 08.Mai, 16:57 Uhr
Hannelore Kischier
Oper, wohin gehst Du ???
Ich frage mich, welchen Sinn so eine Inszenierung hat ... eine Iszenierung, die mit dem Werk so gut wie nichts zu tun hat. Zum Glück konnte man die Augen schließen und die hervorragenden Sänger and das Orchester genießen.
Montag, 08.Mai, 09:18 Uhr
p-j-e@gmx.net
Gestern
Liebe Grüße , Sigrid