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Kritik – "Hanjo" von Toshio Hosokawa Poetisch verhangen

"Ja, mei" sagt der Bayer oft und gern – und so war es eine Huldigung an seine neue Wirkungsstätte München, als Serge Dorny, der aus Belgien stammende Intendant der Bayerischen Staatsoper, ein kleines Festival unter diesem Namen ins Leben rief: "Ja, Mai". "Mai" in diesem Fall allerdings geschrieben mit a-i, nach dem Monat, in dem das Festival stattfindet. Jedes Jahr kooperiert die Oper mit einer anderen Institution in München. In diesem Jahr ist es das Haus der Kunst. Dort hatte am Freitag eine Kurzoper des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa Premiere: "Hanjo". Bernhard Neuhoff war dabei.

Hanjo | Bildquelle: W.Hösl

Bildquelle: W.Hösl

Die Musik klingt so poetisch, traurig und stimmungsvoll wie ein verhangener Herbsttag. Toshio Hosokawa, Ende 60, der wohl bekannteste japanische Komponist, ist extra nach München gekommen. Und dürfte zumindest musikalisch zufrieden sein. Seine Kammeroper "Hanjo" erzählt eine vertrackte Dreiecksgeschichte. Hanako, eine junge Frau, geht jeden Morgen auf den Bahnhof und starrt auf die vorübergehenden Menschen. Sehnsüchtig erwartet sie ihren Geliebten Yoshio. Doch der ist schon seit drei Jahren verschwunden. Kennen gelernt hatte sie ihn als Geisha. Aus Liebe zu ihm wollte sie nicht mehr für andere Männer auftreten. Nun wohnt sie bei einer älteren Malerin, die für sie sorgt. Eines Tages schreibt eine Zeitung über die offenbar wahnsinnige schöne Frau, die Tag für Tag am Bahnhof vergeblich auf ihren Geliebten wartet. Der liest den Artikel – und kommt. Nun beginnt ein zäher Kampf. Denn auch die alte Malerin liebt die schöne Hanako. Auf keinen Fall will sie Yoshio zu ihr lassen. Als der schließlich vor ihr steht, erkennt sie ihn nicht. Die wahnsinnige Hanako lebt schon jenseits der Zeit. Das Warten ist ihr Lebensinhalt. Die ersehnte Ankunft ist bedeutungslos geworden.

Tolle Musik, dekorative Choreographie

Toshio Hosokawa hat für diese melancholische Geschichte eine letztlich undramatische, lyrisch intensive Musik erfunden, in die man eintauchen, in der man sich verlieren kann. Schwebende und kreisende Klänge, die sich über profunden Bassnoten auffächern. Das fabelhafte Münchner Kammerorchester unter der Leitung von Lothar Koenigs erkundet souverän diese farbige Klangwelt zwischen westlicher Avantgarde und Einflüssen aus der traditionellen japanischen Musik. Eine ähnliche Brücke schlägt auch das Textbuch von Skandalautor Yukio Mishima: Die moderne Psychologie der Literatur des Westens fusioniert mit der bohrend langsamen Intensität des traditionellen japanischen No-Theaters.

Ein lohnendes Stück – dem leider die wuselige Inszenierung des Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui im Weg steht. Aus dem Psycho-Kammerspiel, das sich auf drei Figuren konzentriert, macht Cherkaoui eine Art Gruppen-Ausdruckstanz. Acht Tänzerinnen und Tänzer verdoppeln und verdreifachen die Figuren. Mal symbolistisch, mal plakativ ringen und zucken, winden und verschlingen sich die Körper, virtuos und ästhetisch, aber letztlich dekorativ.

Schwierige Bühnensituation im Haus der Kunst

Schwer haben es die Sänger auch wegen der ungewöhnlichen Bühnensituation. In dem langgezogenen Ausstellungsaal im Haus der Kunst sitzen sich die Zuhörenden in zwei Hälften aufgeteilt an den Stirnseiten gegenüber, dazwischen die Sängerinnen und der Sänger. Oft sind sie gefühlt einen Kilometer weit weg – und drehen der jeweils anderen Publikumshälfte auch noch den Rücken zu. Damit man sie trotzdem gut hört, sind die Stimmen verstärkt – was paradoxerweise die gefühlte Distanz noch vergrößert, weil die körperliche Unmittelbarkeit des Singens wegfällt. Sehr schade, denn die drei singen exzellent. Sarah Aristidou hat einen jugendlich blühenden, traumwandlerisch sicheren Sopran, Charlotte Hellekant einen farbigen Mezzo und Konstantin Krimmel einen berückend schönen Bariton. Dass es erstaunlicherweise nicht langweilig wird in diesen 80 Minuten, liegt an der unaufdringlichen Meisterschaft von Hosokawas Musik. Auch verhangene Tage können poetisch und stimmungsvoll sein.

Sendung: "Piazza" am 6. Mai ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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