Nach Corona kommt wieder mehr Publikum ins Theater. Aber es hat offenbar seine Erwartungen und Gewohnheiten geändert: Das Unterhaltungsbedürfnis ist gewachsen, gebucht wird eher kurzfristig. Totzdem setzen manche auf Risiko. Über beschönigte Zahlen, Dauerbrenner, Herausforderungen und Ängste.
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Um die tatsächliche Auslastung der deutschen Theater wird natürlich immer noch ein großes Geheimnis gemacht, schließlich gibt es Mittel und Wege, die Zahlen schönzurechnen. Zum Beispiel fällt auf, dass kaum noch eine Premiere wirklich bis auf den letzten Platz gefüllt ist, und auf Nachfrage heißt es dann von der jeweiligen Theaterleitung, die leeren Sitze gehörten wohl Abonnenten, die diesmal nicht erschienen seien. Wie auch immer, hinter vorgehaltener Hand ist zu erfahren, dass zumindest in einigen Häusern immer noch rund zwanzig Prozent weniger Leute kommen als vor der Corona-Pandemie. Und manchmal wird das rückläufige Interesse dann sogar zu einem Politikum, etwa in der vergangenen Saison der Bayreuther Festspiele, wo der vierteilige "Ring des Nibelungen" nicht ausverkauft war, warum auch immer.
Wichtig ist, die Schwellenangst zu überwinden.
Gärtnerplatztheater-Intendant Josef Köpplinger | Bildquelle: © Thomas Dashuber Im Sommer hieß es von der Komischen Oper und der Staatsoper in Berlin, die Auslastung liege bei jeweils rund 90 Prozent, was ungefähr den Vor-Corona-Zahlen entspräche. Ähnlich sieht es im Münchner Gärtnerplatztheater aus, wo Intendant Josef Köpplinger auf populäre Stoffe setzt, was ihm zuletzt 87 Prozent Auslastung bescherte: "Es gibt so viele Inszenierungen, wo man eigentlich meinen müsste, da geht wirklich keiner rein, und trotzdem gehen sie rein. Ich glaube, es wäre wichtiger, die Schwellenangst zu überwinden." Auf die Frage, wann die Menschen das letzte Mal im Theater waren, höre er oft, sie würden sich nicht auskennen. Köpplinger appelliere dann immer: Man müsse gar nichts verstehen. Theater sei ja dazu da, so zu erzählen, dass es verstanden wird. "Dahinter steckt natürlich das Virus des deutschen Regietheaters, aus dem ich ja eigentlich selbst komme," fügt Köpplinger hinzu, "und ich habe schnell erkannt, dass das nicht funktioniert, weil man damit Menschen aus dem Theater treibt."
Serge Dorny, Intendant der Bayerischen Staatsoper München | Bildquelle: picture alliance/dpa | Peter Kneffel Der Intendant der Bayerischen Staatsoper, Serge Dorny, gilt demgegenüber als kämpferischer Anhänger von mutigen Regiekonzepten, auch auf die Gefahr, dass mal Plätze leer bleiben, was bei einer offiziellen Auslastung von 95 Prozent nicht sonderlich gewagt erscheint. Dafür wurde er gleichwohl auch schon mal beschimpft, sein Haus erinnere an ein "kulturelitäres Umerziehungslager", wie es die "Neue Zürcher Zeitung" ausdrückte. Dorny selbst gibt sich gelassen: "Man spricht in Deutschland sehr oft über Dramaturgie, aber was heißt das eigentlich, wenn das Programm nicht dramaturgisch gestaltet ist?" Dorny hält es für bedenklich, nur noch die "Top of the Pops" zu spielen, wie er die Kassenschlager umschreibt. Das geschehe oft "ohne eine Befragung, ohne neue Perspektive." Dann sollte man das Wort Dramaturgie in Deutschland eigentlich nicht mehr aussprechen, so der Intendant der Bayerischen Staatsoper im Gespräch mit BR-KLASSIK.
Sorgen macht den Theatern ein verändertes Nutzungsverhalten des Publikums: Viele buchen nur noch sehr kurzfristig und stimmungsabhängig. Andere erweisen sich als ausgesprochen empörungsbereit, wenn es um Themen wie kulturelle Aneignung geht, wenn auf der Bühne also etwa von "Zigeunern" die Rede ist oder schwarze Jazzmusiker klischeehaft dargestellt werden.
Achtung: Sie könnten bei uns berührt werden!
Josef Köpplinger kann da nur abwinken: "Ich wollte schon in pink-kreischrosa ein Plakat aufhängen, wo drauf steht, Triggerwarnung: Achtung, Sie könnten bei uns berührt werden! Wenn wir so weit sind, müssen wir demnächst vor allen Ampeln warnen: Achtung, Sie könnten beim Überqueren überfahren werden." Der Intendant des Münchner Gärtnerplatztheaters wünscht sich mehr Vertrauen ins Publikum: "Sind wir wirklich so doof und lebensunfähig geworden, dass wir den Menschen das alles nicht mehr zutrauen?" Köpplinger jedenfalls war stets der Meinung, Theater sei, "egal in welcher Form, niemals kulturelle Aneignung.“
Womöglich ist nach der Pandemie das Unterhaltungs- und Ablenkungsbedürfnis des Publikums gewachsen und die Neugier nahm ab, was experimentelle Formate betrifft. So jedenfalls argumentieren manche Intendanten. Serge Dorny hat sich dennoch durchgerungen, die Opernfestspiele im kommenden Sommer ausgerechnet mit der provokanten Weltuntergangs-Oper "Le Grand Macabre" (1978) von György Ligeti zu eröffnen: "Das ist ein sehr bedeutungsvolles Stück des 20. Jahrhunderts, das unglaublich erfolgreich war. Letztendlich ist es eine Anti-Antioper, also minus mal minus ergibt plus, und ich finde es richtig, damit auch mal die Festspiele zu eröffnen."
Recht ernüchternd ist die deutsche Bühnenstatistik so oder so: Nirgendwo gibt es mehr Publikum als bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg, den Passionsspielen in Oberammergau und im Berliner Revue-Theater Friedrichstadtpalast. In der Oper kann da nur Mozart einigermaßen mithalten, mit Abstand folgt die "Carmen" von Georges Bizet. Für Dramaturgen eine Herausforderung!
Kommentare (3)
Dienstag, 19.Dezember, 05:11 Uhr
Wolfgang
Dramaturgie
Dorny scheint das Wort "Dramaturgie" manipulativ zu gebrauchen, als gäbe es ihm die Lizens Opernstoffe komplett durch die Inszenierung zu verhunzen und beim Publikum beliebte Stücke zugunsten von eher obskuren Werken zu vernachlässigen.
Natürlich ist mit dem Theater oft ein erzieherischer Anspruch verbunden, doch was befähigt Dorny zum Erzieher? Bisher ist er jeden Beweis in seiner doch recht unglücklichen Amtszeit schuldig geblieben, ein konstruktiver Theatermann zu sein.
Freitag, 15.Dezember, 09:46 Uhr
Barboncino
Oper
Auslastungen von 87,90 und 95%.Was soll das Jammern auf hohem Niveau ?
Mittwoch, 13.Dezember, 22:15 Uhr
Operngeher
Claus Poll
Und wieder schreibt Herr Jungbluth einen langen Artikel über die Oper und verliert dabei kein Wort zu Musik, Sängern, Orchester, Chor, Dirigenten. Er steht damit ungewollt genau für das, was das eigentliche Problem ist. Die Dominanz der Regie und der Äußerlichkeiten über die Musik und die Interpreten.