Mit "Epilog" hat sich John Neumeier als Ballettchef in Hamburg verabschiedet. Ein Blick auf einen großen Künstler, für den sich Klassik und Moderne nie ausgeschlossen haben und der den Tanz der vergangenen 50 Jahre maßgeblich mitgestaltet hat.
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Zwei Johns haben die deutsche Tanzlandschaft maßgeblich geprägt. Der eine sorgte in Süddeutschland für das Stuttgarter Ballettwunder – eine kurze, heftige Zeit, Anfang der Siebzigerjahre, in der John Cranko in Schwaben und als viel gesehener Gast in München eine neue Form des Handlungsballetts schuf. Der zweite John erhellte den Norden. John Neumeier. 1973 holte August Everding den US-amerikanischen Tänzer nach Hamburg. Und kontinuierlich hat Neumeier von dort aus die Ballettsprache der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mitgeschrieben.
Nach 51 Jahren als Chef des Hamburg Balletts und der Hamburger Ballettschule hat er sich mit der Uraufführung von "Epilog" verabschiedet. Hier hat er noch einmal zusammengebracht, was er so gut kann. Die Klassik, das große Erbe der Kunst und die Moderne, das Kontemporäre, den Pop, vermengt zu einem Kunstwerk. Mit einer modernen Weltsicht.
John Neumeier | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Christian Charisius John Neumeier ist kein Zerstörer, er zerbricht die Tradition nicht. Er blickt nur mit einer immer gegenwärtig gebliebenen Brille auf sie. Er schafft neue Stücke, abstrakte Stücke und klassische Stücke – auch Neuadaptionen der großen Klassiker wie "Nussknacker" oder "Schwanensee", der bei ihm dann "Illusionen – wie Schwanensee" heißt. Oder eine Adaption des "Sommernachtstraums", in der Mendelssohns Musik von den dröhnenden Orgeln György Ligetis durchbrochen wird. In dem der Traum wie ein Guckloch in die Moderne wirkt. So wirken diese Klassiker bei ihm zurechtgerückt. Psychologisch betrachtet, mit Verständnis für das Alte und für das Neue. Ein wunderbarer Vermittler zwischen den Zeiten.
Auch in seinem "Epilog" hat er nun auf all die Kunst zurückgegriffen, die er – der auch literaturwissenschaftlich gebildet ist – so liebt. Klavierkompositionen von Franz Schubert erklingen im Wechsel mit Songs von Simon & Garfunkel. Später dann Strauss' "Vier letzte Lieder", gesungen von Asmik Grigorian. Projektionen von Renaissance-Gemälden und Tanznummern zeigen die Genese eines Künstlers. Demis Volpi folgt John Neumeier nun nach in Hamburg. Er wird dessen Repertoire pflegen und das Profil der Kompanie erweitern. Neumeier selbst, jetzt 85 Jahre alt, wird sich als Künstler, als Kreativer, als Zeitversteher wohl trotzdem kaum ganz zurückziehen.
Sendung: "Allegro" am 2. Juli 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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