Fingerübungen mit Lang Lang auf TikTok? Klar! Längst funktioniert Klassische Musik auch im jüngsten der Sozialen Netzwerke. Doch welche Chancen ergeben sich daraus für den Klassikmarkt?
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Facebook, YouTube, WhatsApp, Instagram – neben den gerade aufgezählten Sozialen Netzwerken gehört TikTok zu den populärsten. Über eine Milliarde Menschen nutzen aktiv TikTok. Auch viele Klassik-Fans sind unter ihnen. Das Besondere dabei: Sie sind jung. Rund 70 Prozent der TikTok-User:innen sind Teenager. Die Chance, auf TikTok mit dieser Zielgruppe in den Austausch treten zu können, nutzen bereits viele Kulturinstitutionen sowie Musikerinnen und Musiker aus der Klassikbranche. Ein erstes Kennenlernen.
TikTok ist eine App für kurze Videos. Es gibt keine Fotos, nichts Nachrichtliches zum Lesen, keine Veranstaltungen, keine langen Konzertvideos – so wie das beispielsweise auf Facebook stattfindet. Wer hier mitmachen will, braucht nur ein Handy. Es geht beim Finden von Geschichten und beim Erstellen von Inhalten nicht darum, ein technisch perfektes oder besonders ästhetisches Video zu posten. Likes und Follower werden bei TikTok mit Kreativität, Humor, Emotion, Wissen und mit Überraschungen gewonnen.
TikTok ist ein bisschen so, wie wenn der Sitznachbar oder die Sitznachbarin in der Oper die Popcorntüte hervorholt und anfängt genüsslich zu kauen. Es geht darum, das Gewohnte aufzubrechen und damit neue Erlebnisse zu erlauben.
Dies sind nur wenige Beispiele. Eines fällt jedoch positiv auf: Alle diese jungen Menschen haben eine Botschaft. Sie möchte mitteilen, wie wunderbar und wie wenig langweilig klassische Musik ist. Die Offenheit, mit denen die Userinnen und User an die Inhalte herantreten und der spielerische Umgang mit Klassischer Musik schafft Chancen, von außen an die klassikaffine TikTok-Community heranzutreten.
Charlotte Stahl ist Head of Music bei TikTok. Sie beobachtet mit Freude, wie sich große Namen in der Klassikszene für TikTok öffnen: "Der Klassikmarkt kann über TikTok ganz neue Zielgruppen und Erfolge erreichen", sagt sie. TikTok sei eine der "beliebtesten Entertainmentplattformen" geworden und habe die "Musikbranche weitreichend demokratisiert". Für Klassikkünstler:innen oder Opernhäuser sei es daher nur von Interesse, mit kreativen, authentischen Inhalten Teil dieses Wandels zu sein, wie etwa Lang Lang, Hans Zimmer, die Elbphilharmonie und die Wiener Staatsoper, die alle auch auf TikTok aktiv sind.
Bildquelle: Screenshot Musikerinnen und Musiker – egal wie bekannt – können einen viralen Hit landen. Danilo Stankovic kam durch TikTok mit seinem Klavierstück "Pieces" zu größerer Bekanntheit. Charlotte Stahl kann sich gut erinnern: "TikTok ist der Ort, an dem junge Menschen Musik entdecken. Es gibt viele schöne Erfolgsgeschichten, aber für mich sticht ganz klar Danilo Stankovich mit seinem Stück 'Pieces' heraus." Er hatte es schon 2015 komponiert, aber erst 2020 sei durch TikTok der große Durchbruch gekommen, als es von der Community dort entdeckt wurde und mittlerweile fast fünf Millionen Mal verwendet. "Es gibt kaum jemanden, der das Stück noch nie gehört hat. Und das Geheimnis ist auch hier die Power der TikTok-Community. Das Stück transportiert eine gewisse Leichtigkeit und Hoffnung und hilft den Leuten, sich kreativ auszudrücken und diese Emotionen zu teilen", schwärmt Stahl.
"Hits entstehen dann, wenn Musikstücke in Verbindung mit Videoinhalten einen gewissen Nerv treffen", weiß Charlotte Stahl. "Die positiven Reaktionen der User:innen führen dann zu Empfehlungen dieser Videos an weitere Menschen und zu einer schneeballartigen Verbreitung eines Stückes auf TikTok." Es geht viral. Und das hat natürlich einen Effekt auf Streamingzahlen, CD- und Ticketverkäufe. Also wie früher auf Facebook: Enger Kontakt zu den Fans, persönlicher Austausch und Empfehlungen wirken ebenso gut, wenn nicht besser als herkömmliche Marketingstrategien. Und Danilo Stankovich ist nur ein Beispiel: Die viralen Hits 2022 sind auf dem Album "TikTok Classics – memes & viral hits" zusammengefasst und wurden vom Deutschen Filmorchester Babelsberg neu aufgenommen.
TikTok bietet für klassikinteressierte, junge Menschen eine riesige Spielwiese. Hier warten Spaß, Weiterbildung und Austausch. Sich hier zu beteiligen, kostet wenig und ist einfach. Ein Handy, die App – mehr braucht es nicht. Newcomer:innen in der Klassikszene haben die Chance, sich mit ihrer Musik einen Namen machen zu können und erhalten für ihre Musik ein direktes Feedback von der TikTok-Community. Altbekannte Stücke können in neuem Design wieder glänzen und ein Comeback erleben. Wie auch bei anderen sozialen Netzwerken müssen TikTok-Nutzer Selbstdisziplin walten lassen, um sich auch anderen Themen und Hobbies widmen zu können. Aktuell liegt die Nutzungsdauer bei durchschnittlich eineinhalb Stunden am Tag. Hinzu kommt ein großer Zeitaufwand für Konzepte für Inhalte und deren Erstellung. Musiker:innen und Kulturinstitutionen kann es gelingen, Klassik mit TikTok neu zu denken und eine Zielgruppe zu erreichen, die über andere Wege und Kanäle schwer zu greifen ist.
Sendung: "Allegro" am 05. Oktober 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Donnerstag, 05.Oktober, 16:14 Uhr
Trappe
Traurig und erbärmlich
Es geht letztlich doch nur darum, die Kuh zu schlachten... Gewinn, Gewinn...
Traurig ist, all dies führt gänzlich an der Musik vorbei, es geht um Selbstinszenierung und nicht mehr darum, die Musik in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Jetzt kann man trefflich über die musikalische Qualität Lang Langs streiten. Zweifellos ein Tastenvirtuose. Aber all dies mit Tik-tak ist ein erbärmliches Gebahren, wo bleibt die Musik?
Und dann wird unter dem Vorwand angepriesen, man wolle damit die Menge erreichen. Wer ist so dumm und glaubt dies?