Mit einer Neuinszenierung von Giuseppe Verdis "Aida" wird das Opernfestival Immling im Chiemgau eröffnet und beweist einmal mehr seine Klasse – musikalisch mitreißend und szenisch als intensives Plädoyer für Mitmenschlichkeit.
Bildquelle: Verena von Kerssenbrock
Auf der Bühne stehen sich zu Beginn zwei Männer gegenüber: Aidas Vater Amonasro (König von Äthiopien) und der ägyptische König (der Vater von Amneris). Sie spielen gegeneinander Schach – mit meterhohen Figuren. Oder spielen sie miteinander? Immerhin bewegen sie ihre Figuren aufeinander zu… Zu dieser Szene stimmt das Immlinger Festspielorchester unter Cornelia von Kerssenbrock behutsam und mit zarten Farbakzenten das Vorspiel an, das Verdi wirkungsvoll mit zwei Themen bestückt hat: dem Liebesmotiv von Aida und Radames und der Härte und Unerbittlichkeit der Geistlichkeit. Und dann kommt Ramfis, der Oberpriester, und stößt die Figuren um.
"Kein Ding auf Erden erzeugt einen solchen Druck auf die menschliche Seele als das Nichts." Dieses Zitat aus Stefan Zweigs "Schachnovelle" steht als Motto über dieser Inszenierung des Immlinger Hausherrn Ludwig Baumann – mit den Bühnenbildern von Nikolaus Hipp. Das Nichts, das ist hier (wie bei Zweig) das Unbehauste, das Exil. Im Exil, am ägyptischen Hof, lebt Aida als Sklavin. Ihre Herrin Amneris ist gleichzeitig ihre Nebenbuhlerin – in der Liebe um Radamès. Der junge Libanese Joseph Dhadha gibt ihn umwerfend sicher, mit metallisch fundiertem, klangschönem Tenor. Wie sagte Intendant Ludwig Baumann bei seiner Eröffnungsrede: "Die anderen haben die Stars. Wir machen sie."
Seit 28 Jahren gibt es Oper auf Gut Immling, in einer ehemaligen Reithalle, die sich längst zum attraktiven Opernhaus gewandelt hat. Und das ohne Vorhang und ohne große Umbaumöglichkeiten – aber dafür mit einer inzwischen phänomenalen Lichtregie, die in der Nilszene mit blauen Schweinwerfern zwei riesige Pyramiden in den Raum zaubert. Der Gerichtssaal im vierten Akt ist magisch-gruseliges Bildtheater in Rot und Gold – mit Mumien in offenen Schreinen und einem Chor aus Untoten mit verspiegelten Sonnenbrillen und Halbmasken. Und was das Licht nicht allein vermag, steuert das hochprofessionelle Videodesign von Maximilian Ulrich bei. Elefant inklusive.
Mit leuchtendem Sopran singt sich die Mexikanerin Lunuet Laguna ihre Pein von der Seele; schade, dass sie in der Nil-Arie ihr plötzlich ins Piano zurückgenommene Schluss-C ein bisschen der Wirkung beraubt, weil sie vorher zu sehr aufdreht. Von furchtbarer Aktualität ist Amonasros wilde Verzweiflung über die Kriegsgräuel des Gegners, vom südafrikanischen Bassbariton Theo Magongoma bestürzend intensiv gestaltet. Die Ukrainerin Darina Gapitch (mit viel Mut zu stimmlicher und schauspielerischer Entäußerung) legt ihre Amneris nicht als verletzte Seele, sondern als fulminant leidende Megäre an. Mit Liebe hat diese Frau nichts im Sinn, nur mit Macht. Wie sie trotzdem am Schluss mit tränenerstickter Stimme glaubwürdig um Frieden für Radamès flehen kann, zeigt ein letzter Regiecoup.
Verdis "Aida" – das ist in dieser Immlinger Produktion überrumpelndes Musiktheater. Mit einer zu Recht stürmisch bejubelten Tanztruppe der Narrengilde Kraiburg, die in einer umwerfenden Choreographie zeigt, wie ein staatlich verordneter Triumphmarsch aussehen kann. Mit einem stimmstarken Festspielchor und einem Festspielorchester unter einer Dirigentin, die neben den Überwältigungsszenen nie das Gespür für die duftigen Details verliert. Und mit einer intelligenten Inszenierung, die sich Gedanken macht.
Sendung: "Allegro" am 24. Juni 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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