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Kritik - "Shechter/Montero" in Nürnberg Zwischen Schöpfung und Chaos

Ist der Mensch die Krone der Schöpfung oder der Zerstörer unseres Planeten? Goyo Montero und Hofech Shechter suchen in Nürnberg tänzerische Antworten auf diese Frage. Das gelingt eindrücklich, verstörend und mitreißend.

Ballettabend "Shechter/Montero" in Nürnberg. | Bildquelle: Staatstheater Nürnberg / Jesús Vallinas

Bildquelle: Staatstheater Nürnberg / Jesús Vallinas

Ein Atemgeräuch hallt durch das Theater. Ein Atemzug. Eine Regung mit der das Leben anfängt. In seiner Choreografie lässt sich Goyo Montero davon leiten. In ihren erdfarbenen Hosen und Röcken und den hautfarbenden, fast durchsichtigen Oberteilen werden die 18 Tänzerinnen und Tänzer zu einem großen Organ, dicht an dicht, immer im Wechsel, oben und unten, ein und aus. Der Ballettchef lässt seine Tänzerinnen und Tänzer das Leben einsaugen mit schnellen Fächerbewegungen, so dass eine Atemwelle aus den einzelnen Körpern entsteht.

Goyo Montero sucht die ganz großen Themen

Goyo Montero hat sich für seine Choreografie "Anthem", was auf Deutsch übersetzt, Hymne heißt, mit den ganz großen Themen unserer Menschheitsgeschichte befasst. Ist der Mensch die Krone der Schöpfung oder der Zerstörer unseres Planeten? Im Kern folgt Montero dabei den Thesen des israelischen Historikers Harari, der mit seinem Buch "Eine kurze Geschichte der Menschheit" einen weltweiten Bestseller schrieb.

Zwischen Innigkeit und Brutalität

Eigentlich sehnt sich der Mensch nach Liebe – nach Anerkennung – immer wieder lösen sich Paare aus der Gruppe und sie tanzen innige Pas-de-Deux. Das Unschuldige, das Verspielte weicht jedoch aus den Bewegungen: Wenn eine Hymne zur Agitation wird, ist es oft nicht weit bis Gewalt und Krieg Einzug halten. Auch für die brutale Seite des Homo Sapiens liefert Komponist Owen Belton die richtige Musik. Die Bewegungen: sie erinnern jetzt an den brasilianischen Kampftanz Capoeira, mit weit ausladenden, schwingenden Beinen. Bei Goyo Montero ist selbst die brutale Welt von tänzerischer Schönheit.

Clubmusik und Anarchie bei Hofesh Shechter

Ballettabend "Shechter/Montero" in Nürnberg. | Bildquelle: Staatstheater Nürnberg / Jesús Vallinas Hofesh Shechters "The Bad" in Nürnberg. | Bildquelle: Staatstheater Nürnberg / Jesús Vallinas Dieser Sound hat es in sich – und was die Zuschauerinnen und Zuschauer zu sehen bekommen auch. Hofesh Shechter hat für Nürnberg seine weltweit sehr gefragte Choreografie "The Bad", was so viel heißt, wie das Schlechte – neu inszeniert. Seine Kostüme sind fast legendär: die 12 Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich in glänzend goldenen Ganzkörper-Latex-Anzügen. Und den Clubsound, diesen durchdringenden Elektro-Pop, hat der Israeli selbst komponiert und zusammengemischt wie ein DJ. Und etwas Clubhaftes, Discomäßiges hat auch der Tanz. Hier wird gehüpft, die Arme in Rapper-Position gestreckt und mit den Köpfen im Takt gewippt. Hofesh Shechter wollte Chaos und schafft eine Party der Anarchie mit seinen wilden Bildern und Musikwechseln.

Humorvolle Zitate aus der Klassik

Immer wieder geht es in klassische Ballettpositionen zurück, um ganz plötzlich wieder in die wilde Party zu wechseln. Hofesh Shechter choreografiert sein Chaos auf den Punkt und garniert es mit humorvollen Zitaten. Einmal lässt er das Ensemble wie beim Tanz der Kleinen Schwäne aus dem berühmten "Schwanensee" aufstellen, nur sind die Hände nicht einheitlich, sondern jeder hält sich anders fest. In einem Moment angedeutet, wechseln die Szenen so schnell wie die Musik, es entsteht ein Sog. Zwei ganz unterschiedliche Choreografen, zwei ganz unterschiedliche Stücke, die sich auf eine ganze eigene Art ergänzen. Tänzerisch höchstes Niveau. Herausragend.

Sendung: "Allegro" am 2.05.2023, 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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