BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik - Hannigan bei den Münchner Philharmonikern Amerikanische Extraklasse

Die Münchner Philharmoniker haben die kanadische Sopranistin und Dirigentin Barbara Hannigan schon früh ans Pult geholt. Zu deren Amerika-Schwerpunkt hat sie ein tolles Programm ausgeheckt, das die Pioniere der Moderne ehrt.

Barbara Hannigan | Bildquelle: Cyrus Allyar

Bildquelle: Cyrus Allyar

Das hätten die Münchner Philharmoniker allenfalls ahnen können, als sie ihren amerikanischen Schwerpunkt für diese Spielzeit planten: Dass sich ihr "American Dream" in der politischen Realität als veritabler Albtraum entpuppen würde. Im Interview mit einem Orchestermusiker sparte Dirigentin Barbara Hannigan denn auch nicht mit Seitenhieben auf Donald Trumps zweite Präsidentschaft, für die sie als "Noch"-Kanadierin in Anspielung auf seine Eingemeindungs-Fantasien nur Spott übrighatte. Brüllendes Gelächter erntete sie im Publikum auch, als sie ihr hochambitioniertes Konzept für den Abend mit den Münchner Philharmonikern als ihr "Make America Great Again"-Programm bezeichnete, sozusagen als Gegengift gegen Trumps hohles Pathos.

Musikalisches Gegengift gegen Trump

Und dieses Programm, das Hannigan nach umfangreichen Recherchen eigens für diesen Abend zusammengestellt hatte, das hatte es ins sich. Hannigan präsentierte ein Kaleidoskop amerikanischer Musik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das zwei vollkommen gegensätzliche Seiten einer Medaille beleuchtete. Im ersten Konzertteil führte sie ein Amerika vor, wie man es kaum kennt. Und das vor allem, indem sie den "Ultramodernists" um den Stammvater Henry Cowell Gerechtigkeit widerfahren ließ, die – mal abgesehen von Charles Ives, einem weiteren Begründer der amerikanischen Moderne – weitgehend ins Abseits gestellt wurden: zu progressiv, zu sperrig, zu eigensinnig.

Im ersten Teil wilder ...

Da Barbara Hannigan eine begnadete Performerin ist, zieht sie das Publikum mit einer raffinierten Collage dreier pausenlos ineinandergreifender Werke sofort mitten hinein in dieses Amerika der unerhörten Töne. Spotlight auf sie und ihren Barpianisten in der abgedunkelten Münchner Isarphilharmonie – und die schwarzgewandete Diseuse hebt mit einem zarten Song von Ives an. Denn Hannigan ist eben auch eine famose Sopranistin. Dann Scheinwerfer auf vier Schlagzeuger, die im Halbrund der Bühne Röhrenglocken schlagen – und sich ein archaisches Duett mit den hinter dem Publikum postierten Blechbläsern liefern. Dieses kühne Raumklang-Stück stammt ebenfalls von Ives, der Titel "From the Steeples and the Mountains – Von den Kirchtürmen und den Bergen" offenbart seine der Umwelt abgelauschten Inspirationsquellen. Und die einzige Komponistin im Programm, die Volksmusikforscherin Ruth Crawford Seeger, zeigt mit "Rissolty Rossolty" und Rodeo-Flair ihre Verwurzelung in der amerikanischen Folklore.

Danach wird es ernst, wenn Barbara Hannigan Wallingford Rieggers avantgardistische "Study in Sonority" für zehn und mehr Geigen dirigiert – hier sind es knapp 20. Darin erkundet der Komponist den Reiz der Atonalität, gepaart mit treibenden Rhythmen und harschen Pizzicati. In Mahler-Besetzungsstärke treten die Münchner Philharmoniker dann im "Sun-Treader", dem "Sonnen-Wanderer" von Carl Ruggles an. Dabei hat das düster lodernde Stück weit mehr mit Finsternis zu tun – mit seinem satten, dissonanten Sound, grundiert von heftigen Paukenschlägen, wälzt es sich wie schwerblütiges Klang-Magma durch den Raum. Mit klarer Zeichengebung und Linienführung, ohne Stab dirigierend, liefert Hannigan ein packendes Plädoyer für diese Musik, die ohne Beispiel ist. Und sie zeigt: Dieser "Sun-Treader" von Carl Ruggles ist ein verkanntes Meisterwerk.

... im zweiten milder

Wem das zu krass ist, der kommt im zweiten Konzertteil voll auf seine Kosten. Hannigan präsentiert hier die populäre Musik vom Broadway aus derselben Epoche – und demonstriert damit die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Auf den hinreißenden Music Hall-Swing im "Carousel Waltz" aus dem gleichnamigen Musical von Richard Rodgers folgt "A Symphonic Picture" aus George Gershwins American Folk Opera "Porgy and Bess". In dieser attraktiven Suite sind die größten Hits aus der Oper wie "It ain’t necessarily so" versammelt. Mit Energie und Feeling wirft sich Hannigan ganz straight in dieses Medley, ohne kitschige Schluchzer und sentimentale Schlenker. Zu Herzen gehend schlicht kommt bei ihr das unsterbliche "Summertime" daher, und die Münchner Philharmoniker, erweitert um drei Saxofonisten und einen Banjospieler, liefern ihr zauberhafte Soli. Souverän wechselt Hannigan die Tonlage zwischen Blues und pulsierendem Drive – sowas kann sie also auch, ein Showtalent ist sie sowieso.

Ein Programm der Extraklasse, brillant serviert, zusammen mit dem Lichtkonzept und den räumlichen Elementen ein Konzertformat, das neue Wege weist – bitte mehr davon!

Sendung: "Piazza" am 25. Januar 2025 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Bitte geben Sie höchstens 1000 Zeichen ein. (noch Zeichen)
Bitte beachten Sie, dass Ihr Kommentar vor der Veröffentlichung erst noch redaktionell geprüft wird. Hinweise zum Kommentieren finden Sie in den Kommentar-Richtlinien.

Spamschutz*

Bitte geben Sie das Ergebnis der folgenden Aufgabe in Ziffernschreibweise ein:

Fünf minus vier ergibt?
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

Mehr zum Thema

Neu bei BR-KLASSIK

    AV-Player