Sie sind eine meisterhafte Symbiose aus Natur und Musik: Antonio Vivaldis "Vier Jahreszeiten". Vögel, Bäche, Kälte - mit unnachahmlicher Präzision fängt Vivaldi die Essenz der Jahreszeiten ein. Seine Werke inspirieren bis heute viele Musiker und Komponisten.
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Wann genau Vivaldi "Die Vier Jahreszeiten" komponiert hat, ist nicht bekannt. Zum ersten Mal gedruckt wurden sie 1725 in Amsterdam. Wir wissen von zahlreichen Aufführungen etwa in der Pariser Konzertreihe "Le concert spirituel" (einer der ersten öffentlichen Konzertreihen). Mehrere Komponisten adaptierten in den Jahren und Jahrzehnten danach das ganze Werk oder Teile daraus: Michel Corette parodierte 1766 den Frühling. Er deutete ihn in ein geistliches Werk für Sologesang, Chor und Orchester um, in die Motette "Laudate Dominum". Nicolas Chédeville hat 14 Jahre nach Vivaldi dessen Werk mit Instrumenten besetzt, die damals in Frankreich en vogue waren: mit Musette und Drehleier. Jean-Jacques Rousseau, der als Philosoph bedeutender war denn als Komponist, hat eine Fassung für Flöte solo geschrieben.
Nichts ist so brillant und zauberhaft als die Quatre Saisons von Vivaldi.
Vivaldi hat jedem der vier "Jahreszeiten"-Konzerte ein Sonett vorangestellt, das er vermutlich selbst geschrieben hat. In den Noten stehen an den passenden Stellen einzelne Begriffe aus diesen Sonetten. Somit wissen wir genau, an welcher Stelle zum Beispiel im Frühling Nymphen tanzen und wann im Herbst die Jäger das Wild jagen. Und im Sommer geht's recht drückend zu.
Es ist die Jahreszeit der erbarmungslos glühenden Sonne, / es ermattet der Mensch, ermattet die Herde, / die Pinie brennt. / Der Kuckuck ruft und schreiend fallen Tauben / und Finken mit ein.
Noch weht ein leichtes Lüftchen, / doch plötzlich braust der heulende Nordwind dagegen. / Der Hirte weint. Er fürchtet sich vor dem Sturm. / Er fürchtet die Ungewissheit seines Schicksals.
Jetzt kennt des Hirten müder Körper keine Ruhe mehr, / aus Furcht vor dem Blitz und dem grollenden Donner / und aus der Furcht vor den Fliegen, / vor den wilden Schwärmen der Fliegen und Hornissen.
Ach – ja! Er hat ja Recht mit seinen Sorgen und Ängsten. / Der Himmel dröhnt vom Donner und leuchtet von Blitzen, / und der Hagel köpft den Weizen und alles andere Getreide.
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Im Winter dann wird es richtig kalt, da liest man im Sonett vom eisigen Schnee, dass die Zähne klappern und man mit zögernden Schritten auf dem Eis geht – aus Angst, hinzufallen. Allerdings war es auch zu Vivaldis Lebzeiten in Venedig, Mantua oder Rom (wo er damals lebte) nicht so kalt wie im Sonett beschrieben: Selten fielen die Temperaturen über einen längeren Zeitraum unter Null Grad. Die bittere Kälte in Vivaldis "Winter" dürfte eine Reminiszenz an die Heimat des Widmungsträgers sein, der im Vorwort genannt ist, den Grafen Wenzel von Morzin, der in Prag lebte. Morzin war musikbegeistert und legte viel Wert auf eine gute Hofkapelle. Auf einer seiner Reisen, die ihn durch Italien führte, lernte er schließlich auch Antonio Vivaldi kennen.
Wie man mit Vivaldis "Vier Jahreszeiten" den Klimawandel erklären kann, das beweist Physiker Harald Lesch in einem Bühnenprogramm. BR-KLASSIK hat mit ihm gesprochen.
Auch vor Vivaldi haben sich schon Komponisten mit dem Thema Natur/Jahreszeiten auseinandergesetzt: Francesco Landini (ca. 1325 – 1397) hat eine Ballata "Ecco la primavera" geschrieben; Christopher Simpson (ca. 1605 – 1669) hat "The Four Seasons" verfasst, vier dreisätzige Gambenfantasien – und sich sogar noch ein zweites Mal mit dem Thema befasst, in seinem Zyklus "The monthes. 12 Fantasias". Das schönste Frieren, Zittern und Bibbern vor Vivaldi dürfte von Henry Purcell (1659 – 1695) stammen: "What power art thou", die Arie des Genius der Kälte, der so genannte "Cold Song".
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Jakub Jósef Orlinski - Purcell - King Arthur - The Cold Song
Wer sich nach 1725 mit dem Thema "Jahreszeiten" musikalisch beschäftigen will, kommt nicht umhin, Vivaldi irgendwie miteinzubeziehen: Astor Piazzolla hat in "Las cuatro estaciones porteñas" die vier Jahreszeiten von Buenos Aires nachgezeichnet und, anders als Vivaldi, keine Programmmusik geschrieben, sondern Tangomusik. Joseph Haydn schuf ein Oratorium, Alexander Glasunow ein Ballett, der Finne Kalevi Aho ein Konzert für Theremin und Orchester – und hat sogar 8 Jahreszeiten entdeckt.
Antonio Vivaldis "Die Vier Jahreszeiten" sind im Original für Solo-Violine, Violine I + II, Viola, Violoncello und Basso Continuo komponiert und werden von Originalklang-Ensembles genauso wie von modernen Orchestern aufgeführt.
Ich habe den Eindruck, dass Vivaldi verstanden hat, was Popmusik ist.
Aber auch von allen anderen: Es gibt wohl wenige Werke, die so oft bearbeitet werden und in so vielen unterschiedlichsten Besetzungen und Ausdeutungen gespielt werden. Mit Mandolinen, für Akkordeon-Ensemble, für Saxophon und sonstige Blechbläserensembles, Klavier solo und Hackbrett gemischt: Vivaldis Werk wird verjazzt, kann als Filmmusik oder als Volksmusik umgedeutet werden und klingt, je nach Interpretation, mal nach 18. und mal nach 21. Jahrhundert. Das fasziniert auch eine der renommiertesten Barockgeigerinnen unserer Tage, Amandine Beyer: "Ich liebe dieses Stück unglaublich! Ich habe den Eindruck, dass Vivaldi verstanden hat, was Popmusik ist, und was die Natur für die Leute ist. Er hat es geschafft, das in Klänge zu übersetzen. Das ist für mich das Wunder. Das alles ist so klar und so unglaublich gut gemacht in Zeit und Ort, in Affekt, Harmonie, Rhythmus, Farbe und Kontrapunkt."
Sendung: "KlassikPlus" auf BR-KLASSIK am 11.04.2025 ab 19:03 Uhr
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