Die beiden Konzerte der Berliner Philharmoniker gegen Ende der Salzburger Festspiele sind immer ein Highlight. Diesmal ehrte Chefdirigent Kirill Petrenko zwei Komponisten, die beide vor 200 Jahren geboren wurden: Anton Bruckner mit seiner Fünften Symphonie und Bedřich Smetana mit seinem Zyklus "Mein Vaterland".
Bildquelle: Christoph Brech
Am Ende dieser Salzburger Aufführung der Fünften Symphonie ist das Erstaunen groß: So geht Bruckner also auch! So radikal, so kompromisslos, so unkulinarisch. Es war klar, dass Kirill Petrenko mit seiner ersten Bruckner-Interpretation am Pult seines Orchesters, der Berliner Philharmoniker, polarisieren würde. Und das ist ja nicht das Schlechteste, was sich über den revolutionären Symphoniker Anton Bruckner aus Anlass seines 200. Geburtstages sagen lässt.
Wie aus dem Nichts, fast unhörbar hebt die für Bruckner untypische langsame Einleitung zu seiner Fünften Symphonie an. Petrenko lässt die Streicher erst gehaltvoll zupfen, dann vibratolos voranschreiten in den polyphonen Kosmos, den Bruckner in seiner Fünften ausgeheckt hat. Petrenko legt größten Wert auf Trennschärfe der Stimmen, Verläufe und Register – nichts klingt bei ihm unbestimmt oder gar verwaschen. Seine Interpretation legt die Architektur von Bruckners Formkunstwerk frei, macht Strukturen transparent, spitzt Kontraste schockierend zu. Petrenko lässt dem Brucknerschen Spaltklang Gerechtigkeit widerfahren – und verteidigt ihn so gegen die Verunstaltungen durch wohlmeinende Bearbeiter, die Bruckners Musik damals im Sinne des Wagnerschen Mischklangs uminstrumentieren zu müssen glaubten. Die vielen formbildenden Generalpausen, die Petrenko lange aushält, helfen ihm, Bruckners Satzbau sinnvoll zu gliedern. Das Disparate, Sperrige dieser Symphonie kommt so frappierend zum Vorschein.
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Seine teils extremen Tempovorstellungen sind eine Herausforderung selbst für ein Spitzenorchester wie die Berliner Philharmonier – so rasant hat man manche Passage noch nicht gehört. Aber natürlich ist das bei einem Präzisionsfanatiker wie Petrenko alles perfekt austariert. Das grandiose Fugengebäude, das Bruckner im Choral-Finale auftürmt, leitet Soloklarinettist Wenzel Fuchs mit seinen Lockrufen keck ein, bevor Petrenko das scharf rhythmisierte Fugenthema energisch vorantreibt. Nicht umsonst hat Bruckner seine Fünfte als sein "kontrapunktisches Meisterstück" bezeichnet. Aber Petrenko schafft es mit seinem analytischen Zugriff, das polyphone Knäuel zu entwirren. Selbst in der alles überwölbenden Schluss-Coda dimmt er die Dynamik nochmal runter, um Einzelstimmen von Holzbläsern hörbar zu machen.
Petrenko hat dem jubelnden Festspielpublikum bewusst keine Bruckner-Weihestunde beschert. Aber sein Ansatz heiliger Nüchternheit, dem alles Pathos verdächtig ist, hat natürlich seinen Preis. Jegliche Überwältigungsstrategie ist ihm bei Bruckner fremd. Am Ende staunt man eher – über Bruckners Kunst und die Leistung des Orchesters – als dass man berührt ist. Und man bekam vorgeführt, wie sehr ein Chefdirigent sein Orchester formen und prägen kann. Ob jedes Detail der Partitur derart penibel ausformuliert werden muss, sei dahingestellt.
Bildquelle: Wilfried Hoesl Am zweiten Abend hat er uns dann wieder, dieser außerordentliche Dirigent, als er mit den Berlinern zum 200. Geburtstag von Bedřich Smetana dessen kompletten Zyklus "Mein Vaterland" präsentierte. Der ertaubte Komponist hatte die sechs Tondichtungen nach und nach zum tschechischen Nationalepos ausgebaut. "Es war einmal" … Schon beim einleitenden Bardengesang, intoniert von zwei Harfen, wurde einem warm ums Herz, bevor Petrenko diese Hymne an die Königsburg Vyšehrad mit strömender Streicherlyrik und atmender Phrasierung zum Leuchten brachte. Absolut klischeefrei, weit weg von "böhmischem Musikantentum", klanglich perfekt ausbalanciert und dynamisch fein abschattiert – all das gilt auch für das berühmteste Stück der Sammlung, „Die Moldau“. Diesen Klassik-Hit nimmt Petrenko angenehm flüssig und gebührend heroisch. Im silbrigen Geigenglanz schimmert der Mond zum Elfenreigen, bei den Stromschnellen schwillt der Orchestersound bedrohlich an. Und über allem tänzelt Petrenko – überhaupt scheint er an dieser Spielart von Tonmalerei seinen Spaß zu haben.
Immer wieder blitzt Petrenkos Schalk auf, auch wenn es dann in der Amazonen-Saga „Šárka“, die um den Penthesilea-Stoff kreist, mörderisch zugeht. Markant spitzt Petrenko das Geschehen zu, immer lässt er seine Musikerinnen und Musiker, die diesmal von Konzertmeisterin Vineta Sareika-Völkner angeführt werden, artikulationsscharf agieren. Im Landschaftsbild "Aus Böhmens Hain und Flur" schwelgt man gemeinsam in Smetanas verschwenderischer Fülle an Melodien und Volkstänzen. Aber auch die beiden kompositorisch schwächeren Schlussbilder, in denen Smetana die Hussitenkriege als Folie für den Freiheitskampf der Tschechen gegen die Habsburger-Herrschaft benutzt, sind bei Petrenko präzise durchgearbeitet. Nach einem bukolischen Oboen-Intermezzo mit Albrecht Mayer kommt dann auch die weich abgefederte Schluss-Apotheose ganz ohne Hurra-Patriotismus aus. Wann hätte man "Mein Vaterland" je komplett gehört – und wann besser? Derart brillant dargeboten, riss es das Publikum von den Sitzen.
Sendung: "Allegro" am 27. August ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Donnerstag, 29.August, 14:42 Uhr
Voyager
Bruckner reloaded
Die Kritiken der Salzburger Aufführung schwärmen fast unisono von einer phänomenalen Performance, im Gegensatz zum doch sehr geteilten Echo zwei Tage vorher bei der Berliner Saison-Eröffnung.
Woran mag's liegen?
Waren's Salzburger Nockerln, die Petrenko und sein Orchester bei Bruckners Fünfter zu Höchstleistungen befähigten, oder schlicht "Übung macht den Meister" ???
Dienstag, 27.August, 22:07 Uhr
Dirk Homburg
Großartige Aufführung mit einem Rätsel
Meine volle Zustimmung zu Ihrer Besprechung der Bruckner-Aufführung! Der von der Orgel kommende Spaltklang war trefflich realisiert, aber nicht vordergründig im Sinne einer Modernität um jeden Preis. Aber ein Detail hat mich im 2. Satz, der für mich das Schönste ist, das jemals komponiert wurde, sehr gestört: Ab Takt 141 spielt die Solo-Flöte laut Partitur auftaktig, ab Takt 147 nicht mehr. Der Solo-Flötist setzt die Auftakte aber (in der Berliner Aufführung) deutlichst artikuliert fort, was aber keinen Sinn macht, wie man an den folgenden Takten (ab 154) sieht, wo die anderen Instrumente die Figur (ohne Auftakte) fortsetzen. Auch solche Feinheiten machen die Qualität einer Bruckner-Aufführung aus. Seltsam, wenn ein Dirigent bei einer ansonsten vorzüglichen Aufführung hier nicht korrigiert.