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Kritik - "Dreigroschenoper" in Nürnberg Haifisch ohne Zähne

Beißende Kapitalismuskritik, brutale Figuren - eigentlich passt Brechts "Dreigroschenoper" bestens zum aktuellen Zeitgeschehen. Doch Jens-Daniel Herzogs Neuinszenierung in Nürnberg plätschert in harmlosem Schönklang dahin.

Szene aus Dreigroschenoper in Nürnberg | Bildquelle: Pedro Malinowski

Bildquelle: Pedro Malinowski

Da steht tatsächlich ein Pferd auf dem Flur. Es ist sogar niedlich, kann wunderbar steppen und eimerweise Kaviar vertilgen. Dieser Appetit, der Durst und die gute Laune passen hervorragend zur Faschingszeit, doch so unterhaltsam, wie sich das anhört, war diese "Dreigroschenoper" leider nicht, trotz des liebenswerten Party-Gauls. Der Haifisch, der hatte nämlich keine Zähne, oder allenfalls wacklige Implantate. Intendant und Regisseur Jens-Daniel Herzog wollte eine Art barocke Satire auf die Bühne bringen, wie er in Programmheft schrieb. Immerhin orientierte sich Bertolt Brecht am Vorbild der "Bettleroper" von John Gay aus dem Jahr 1728. Kurt Weill steuerte dazu süffige Jahrmarktsmusik bei, zum Mitschunkeln und Mitschwofen, wie es sich für eine schaurig-schöne Moritat gehört.

Rummelplatz-Bühnenbild: Treffend, aber nicht originell

Szene aus Dreigroschenoper in Nürnberg | Bildquelle: Bettina Stöß Bildquelle: Bettina Stöß Bühnenbildner Mathis Neithardt dekorierte sie mit der passenden Rummelplatz-Atmosphäre: Ein mit reichlich Glühbirnen verziertes Riesenrad steht für die große Sause bereit, doch wie sich schnell herausstellt, ist es kein Vergnügen, eine Runde mitzufahren – wer einsteigt, muss sich abstrampeln wie ein Goldhamster. Das ist als Sinnbild für das Auf und Ab im Leben treffend, wenn auch nicht sonderlich originell. Aber in der "Dreigroschenoper" darf es ja durchaus plakativ und derb zugehen, schließlich schrieb Brecht nicht in Frage-, sondern in Ausrufezeichen: Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral! Leider lief die rabiate Gesellschaftskritik völlig ins Leere. Stattdessen gefielen sich die Mitwirkenden immer wieder in opernhaftem Schöngesang, der hier völlig fehl am Platz ist.

Die Handlung plätschert harmlos vor sich hin

Jens-Daniel Herzog zeigte lauter nette, unverbindliche Leute, die sich einen Spaß machen, statt zu verdeutlichen, wie kaputt und brutal diese Figuren bei Bertolt Brecht allesamt sind, zerstört vom Kapitalismus, in dem es nur noch ein aufrichtiges Gefühl gibt: Die Geldgier. So plätscherte die Handlung denkbar harmlos vor sich hin, mal mit Musical-Einlage auf der Showtreppe, mal mit glockenhellem Sopran aus dem Bordell, mal mit Slapstick in der Gefängniszelle, aber nie böse, schmerzhaft, sezierend, abgründig, wie es die zugegebenermaßen zu Tode interpretierten Song-Texte nahelegen. Der Haifisch wirkte gänzlich ermattet, der reitende Bote der Königin erlöste am Ende alle mehr von ihrer Schwermut als von ihrem Elend.

Lisa Mies überzeugt als Mrs. Peachum

Szene aus Dreigroschenoper in Nürnberg | Bildquelle: Bettina Stöß Bildquelle: Bettina Stöß Im ziemlich lahmen Geschehen auf der Bühne konnte nur Lisa Mies als emsige Mrs. Peachum überzeugen. Nicolas Frederick Djuren war als Mackie Messer eher gelangweilt als gefährlich, offenbar das Opfer einer kriminellen und amourösen Energiekrise. Inga Krischke als Polly war bemerkenswert kühl und unbeteiligt, Hans Kittelmann als korrupter Polizeichef Brown ebenfalls viel zu gleichmütig, selbst beim berühmten "Kanonensong". Eine sarkastische Moritat wie durch eine Milchglasscheibe, fast bis zu Unkenntlichkeit weichgezeichnet, dabei gäbe es doch gerade genug aktuellen Stoff für eine Kritik an den schnöden Verhältnissen, wie sie hier wortreich beklagt werden. Doch Michael von Au als "Bettlerkönig" Peachum ist heiser, als er das Schicksal der Armen anprangert, die traurigen Zustände in London gehen wohl auf die Kondition.

Opernglamour statt jazzige Kanten

Dirigent Max Renne hatte hörbar kein großes Interesse, die jazzigen Kanten und Ecken von Kurt Weills Partitur zu schärfen, also für schräge, grelle Leierkasten-Akustik zu sorgen. Stattdessen packte er die Noten in Watte, tatsächlich wie in einer Barockoper, streckenweise sogar wie im italienischen Belcanto des frühen 19. Jahrhunderts. Zweifelhaft, ob Kurt Weill diese Art Opernglamour im Sinn hatte. Das Nürnberger Publikum applaudierte allen Mitwirkenden, auch dem Regieteam, sehr freundlich, wenn auch nicht überschwänglich.

Sendung: "Allegro" am 19. Januar 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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