Passend zum Kafka-Jahr inszeniert Stefan Herheim die Oper "Der Prozess" in Wien. Das Besondere: Komponist Gottfried von Einem wird als Josef K. "geklont". Rasante Szenenwechsel überspielen Schwächen in der Partitur.
Bildquelle: Herwig Prammer
Wir können und wollen es ja alle nicht mehr hören, aber das Wort "Corona" beschäftigt uns nach wie vor. Weniger die konkreten Ansteckungen, vielmehr die Folgen der Corona-Krise. Im Falle der Kafka-Oper "Der Prozess" von Gottfried von Einem spielt das Virus insofern eine Rolle, als Tobias Leppert eine Kammerfassung der groß besetzten Oper schuf, die im Theater Regensburg 2022 erstaufgeführt wurde – übrigens der Regie-Einstand des amtierenden Intendanten Sebastian Ritschel.
Das Theater an der Wien gibt nun ebenfalls diese Version, was ein großes Glück ist, da das große Haus nach langer Sanierung noch nicht ganz einsatzbereit ist und die pittoreske Wiener Kammeroper (wie geplant) als Aufführungsort dient. Was Gottfried von Einem an Schlagwerkeffekten und großen eruptiven Ausbrüchen schuf, an stilistisch ständig wechselnden Halb-Zitaten und Anverwandlungen von Schubertatmosphäre über Jazz und Tanzmusik bis plumpem Blechkrach, das klingt unter der klaren Leitung von Walter Kobéra kompakt und schmissig, energiereich und durchaus laut (genug).
Wobei das Wiederhören dieses Werks einen doch etwas ratlos zurücklässt, für den einschlägigen Stoff (er)fand der gemäßigte Neutöner Gottfried von Einem ein arges Sammelsurium, wenig wirkt wirklich zwingend, wenn man vielleicht vom einen oder anderen vokalen "Kraftausdruck" absieht. Denn der gepeinigte Josef K. (in Wien von Robert Murray prächtig gesungen) verfängt sich in den Mühlen der Justiz derart heftig, dass ihm manchmal die Kehle platzt. Ebenso wie der mal sinnlich gurrenden, dann kratzbürstig nervenden Geliebten (brillant: Anne-Fleur Werner). Weitere Schergen bevölkern K.s eigenartige und eigenwillige Welt, Stefan Herheim packt auch noch einen Tänzerschauspieler (Fabian Tobias Hutter) hinzu.
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Mit ein paar Strichen hat der Abend ziemlich exakt Tatort-Länge und überspielt die Schwächen in Partitur und Dramaturgie (es gibt schnelle Szenenwechsel, die aber durchaus ermüden können) bravourös, weil Herheim mit seinem Ausstatterteam Silke Bauer (Bühne) und Nina Paireder (Kostüme) ein Feuerwerk des Irrsinns abfackelt. Eine "ADHS-Inszenierung" ist das, im positiven Sinne. Schaut man gerade hierhin und sieht und hört Verzweiflungsgesäusel, gibt es dort plötzlich veritablen Quickie-Sex. Und schwups sind wir wieder in Salzburg (eine Projektion des Stadtpanoramas, aber auch ein Filmspaziergang Richtung Hofstallgasse).
Warum Salzburg? Wohl weniger, weil "Der Prozess" dort vor ein paar Jahren konzertant lief, sondern weil von Einem starke Bezüge zu den Festspielen hatte. So wollte er etwa Bert Brecht in die Leitung des Festivals einbinden, was krachend misslang. Oh, fast vergessen: Die Oper wurde 1953 eine fulminante Uraufführung an der Salzach, unter Oscar Fritz Schuh (Regie) und dem Dirigat von Karl Böhm, mit Wagner-Tenor Max Lorenz in der Titelpartie.
Josef K. sieht in Stefan Herheims Deutung aus wie der Komponist höchstselbst, der zwar in Kafkas Behördenirrsinn gerät, jedoch weit mehr mit sexuellen und anderen Neurosen zu kämpfen hat. Den schlohweißbärtigen Zausel nervös am Klavier oder – auch nicht gerade entspannt – mit heißer Braut im Bett zu sehen, macht Spaß! Und wenn man bedenkt, was der regieführende Intendant vor Beginn des Spektakels sagte, zieht man alle Hüte. Es handle sich, so Herheim, heute um die Generalprobe. Weil die geplante ob umfassender Erkrankungen (Corona?!?!?) entfiel und man es nur zu einer halben Orchesterhauptprobe brachte.
Dass bei der Premiere also alle auf volles Risiko gingen und die Sache mit heißer Nadel gestrickt ward, man merkte es nicht. Verdienter Jubel und die Einsicht, wenn uns das Werk nochmal begegnet, muss wieder Herheim ran! Sonst gemma lieber auf ein deftiges Gulasch, das ist auch viel Umatum drin.
Sendung: "Leporello" am 06. Dezember 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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