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Kritik – Klaus Mäkelä bei den Münchner Philharmonikern Der rockt

Der junge finnische Dirigent Klaus Mäkelä ist auf der Siegerstraße unterwegs von Erfolg zu Erfolg. Mit 28 hat er Chefpositionen in Paris und Oslo, ab 2027 wechselt er nach Amsterdam und Chicago. Topliga. Bei den Münchner Philharmonikern ist er zu Gast für drei Konzerte mit Schönbergs "Verklärter Nacht" und der "Alpensinfonie" von Richard Strauss. Was hat Mäkelä, was andere nicht haben? Oder ist der Hype übertrieben?

Klasu Mäkelä probt mit den Münchner Philharmonikern Juni 2024. | Bildquelle: Co Merz

Bildquelle: Co Merz

Hier gibt es alles, was das alpine Herz entzückt und fürchtet: Wasserfall, Schwindel, Gipfelglück und Gewitter. Doch die "Alpensinfonie" ist nicht nur eine farbsatte Slideshow (früher hätte man gesagt: ein Bilderreigen), sondern schlägt auch einen großen symphonischen Entwicklungsbogen. Klaus Mäkelä lässt sich keinen der pittoresken Klangeffekte entgehen, mit denen Richard Strauss eine Bergtour beschreibt. Er stachelt an, reizt aus, hat Freude am sinnlichen Klanggenuss und vermittelt sie – dem Orchester wie dem Publikum gleichermaßen.

Mäkelä geht in die Vollen, auch körpersprachlich: Er macht sich klein, springt, rockt. Was absolut natürlich aussieht. Das ist der Musik nicht aufgedrückt, sondern kommt direkt aus der Dynamik des Klangs. Und er hat Recht damit: Diese Musik ist ja wirklich über weite Strecken ein Riesenspaß und eine selbstbewusste Feier der kompositorischen Virtuosität. Es gibt Deuter, die plausible Argumente dafür haben, dass man zwischen dem Gebimmel der Kuhglocken und dem Muhen der Rindviecher auch einen Tritt in den Kuhfladen hören könne (und zwar in einem Bratschen-Glissando). Genau diese Energie braucht das Stück.

 Mäkelä gelingt ein stimmiger Aufbau

Doch es darf sich nicht darin erschöpfen. Diese sich aneinanderreihenden symphonischen Schnappschüsse aus den Bayerischen Alpen sind nämlich alles andere als naiv. Ein engmaschiges Netz von Motiven spannt sich über das Monumentalpanorama, das letztlich Gleichnis für ein ganzes Leben sein will. Darauf zielt Mäkelä. Ihm geht es um den stimmigen Aufbau der Großform. Und weil der Bergführer die Kräfte gut einteilt, macht diese lange Wanderung kein bisschen müde. Mit sicherem dramaturgischem Zugriff hält Mäkelä das erste Fortissimo beim anfänglichen Sonnenaufgang zurück. Die eigentliche Erfüllung kommt erst auf dem Gipfel: Endlich, nach all den episodenhaften Klangbildern, entfaltet und verarbeitet Strauss die Motive in einer weiträumigen symphonischen Entwicklung. Sie ist das emotionale Herzstück des Werks – und bereitet den berührend melancholischen Abschied vor. Hier werden Mäkeläs Bewegungen ganz klein. Das Energiebündel nimmt sich zurück, gibt Raum, hört zu, nimmt an.

 Große Klangkultur der Streicher der Münchner Philharmoniker

Schon der Beginn des Konzerts gelingt wunderbar sensibel: In Schönbergs jugendlichem Geniestreich "Verklärte Nacht" führt ein Liebespaar ein Krisengespräch auf einem Nachtspaziergang durch mondbeschienenen Wald. Tastende Töne der Bratschen beschreiben unsichere Schritte, Dunkelheit, namenlose Angst. Mäkelä wartet lang, bis er den ersten Einsatz gibt, sammelt Stille für die Eindringlichkeit des Leisen. Die Streicher der Münchner Philharmoniker beweisen große Klangkultur. Mäkelä entlockt ihnen interessante Farben. Da gibt es völlig vibratolose pianissimo-Akkorde: sternklare Nacht. Und aufgepeitschte, aber nie hysterische oder unkontrollierte Ausbrüche der Leidenschaft.

 Extrem gefordert: Das Blech

Leider bleibt das Blech der Philharmoniker ein wenig hinter dem technischen Niveau der Streicher zurück. Sicher, Strauss fordert extreme Lautstärken in extremen Lagen – doch das kann und sollte trotzdem glanzvoll klingen. Auch die Intonation, etwa bei den Trompeten, ist an manchen Stellen ausbaufähig. Mäkelä dürfte da ziemlich verwöhnt sein – wenn die Münchner Philharmoniker zu den Top-Orchestern in Wien und Amsterdam aufschließen wollen, könnten sie an diesem Punkt noch ein wenig Aufmerksamkeit investieren. Was nichts daran ändert, dass sich Orchester und Dirigent bestens verstehen. Und das Publikum feiert Mäkelä, den sympathischen Senkrechtstarter.

Sendung: "Allegro" am 21. Juni 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (4)

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Sonntag, 23.Juni, 12:33 Uhr

Steffen Frischat

Wirklich?

Ich habe das Konzert zweimal gehört, Donnerstag und Samstag, und es hat mir sehr gut gefallen.

Meinem Eindruck nach liegt es in der Natur der Arbeit von Herrn Mäkalä, im Orchester Lebendigkeit und Spielfreude einzuladen. Dass das (bei begrenzten Probenzeiten) auf Kosten der Perfektion im Detail gehen kann, ist offensichtlich. Müsste ich persönlich mich entscheiden: ich nehm‘s lieber lebendig als perfekt.

Die Kritik am hohen Blech ist mit nicht nachvollziehbar. Wenn es denn so wäre, dass das Orchester international noch aufschließen müsste — wie kommt es dann, dass gerade die Trompeten in Paris und Wien gerade umjubelt wurden? Und warum wechselt dann ein Solo-Trompeter vom Concertgebouw zu den Münchnern? (Spoiler zur letzten Frage: er bevorzugt die Münchner Klangkultur im Blech. Hm.)

Samstag, 22.Juni, 14:50 Uhr

nurmalso

Intonation

Es wird die Frage gestellt, ob der Hype übertrieben ist. Dann wird am Ende des Textes die Intonation der Trompeten bemängelt. Was, wenn nicht die Korrektur von Intonation, gehört zwingend zum Handwerkszeug eines Dirigenten?

Samstag, 22.Juni, 09:31 Uhr

Dr. Michael Strobel

klaus Mäkelä

Habe Mäkelä neulich mit Brahms in Ludwigsburg gehört. Das war ziemlich forsch und ziemlich laut. Ich fürchte, ihm könnte es wie Gustavo Dudamel ergehen. Mit riesen Hype gestartet, in Los Angeles versandet. Die Plattenfirmen und Agenturen verheizen Talente, statt ihnen Zeit zu lassen. Was will der Mann machen, wenn er 40 ist? Rentiere in Finnland zählen?

Freitag, 21.Juni, 13:53 Uhr

Heilberth Vetter

Ich verstehe den Hype um die vielen unreifen jungen Dirigenten nicht. Die Orchester können die großen Dirigenten nicht mehr bezahlen und das ist nun das Ergebnis.
Die Alpensymphonie habe ich nie uninspirierter gehört ... da hat nichts gerockt

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