Lachen ist ja bekanntlich die beste Medizin. Demnach müsste dieser Abend am Landestheater Niederbayern mindestens mittelschwere Leiden beheben, vielleicht sogar Weltschmerz. Jedenfalls erwies sich Gaetano Donizettis "Liebestrank" in der Inszenierung des britischen Regisseurs Stephen Medcalf als ausgesprochen prickelndes, belebendes Getränk, das verdächtig nach Cola aussah.
Bildquelle: Peter Litvai
Kein Wunder: Diese Komödie spielt nicht in irgendeinem italienischen Dorf, wie im Original, sondern im Wilden Westen Amerikas, zu einer Zeit, als Coca-Cola schon erfunden war, also irgendwann nach 1886. Das erscheint durchaus logisch, denn Donizettis titelgebender "Liebestrank" wird ja von einem windigen Quacksalber als Heilmittel gegen alles angepriesen, so ähnlich wie die allererste Cola von John Pemberton, der nach einem Mittel gegen Kopfschmerzen suchte. Überhaupt konnten sich damals viele Menschen nur eine einzige Medizin leisten, die musste gegen Magenkrämpfe genauso gut wirken wie gegen Haarausfall und am besten auch noch Mäuse vertreiben.
Sehr überzeugend und sehr unterhaltsam, wie Stephen Medcalf diese ferne, liebenswerte Dorfgesellschaft auf die Bühne bringt. Von den Aufführungsfotos her war eigentlich eine sehr konventionelle, biedere Inszenierung zu erahnen, aber hier wurde der Beweis erbracht, dass rasante, anrührende, herzerwärmende Geschichten keineswegs immer in einer besonders wagemutigen Optik präsentiert werden müssen. Ausstatter Adam Wiltshire hatte eine Art Veranda entworfen, wie sie im Mittleren Westen Amerikas gang und gäbe ist: Der Blick verliert sich unter einem stahlblauen Himmel über endlosen Weizenfeldern. Hier wird noch mit der Hand gesenst und schwer malocht, während Adina, die etwas gelangweilte Dorfschönheit, scheinbar zu den besseren Kreisen gehört und sich leisten kann, bei gekühlter Limonade Bücher zu lesen.
Bildquelle: Peter Litvai Großartig, wie das Betriebsbüro des Landestheaters Niederbayern sämtliche Solistenpartien absolut typgerecht besetzt hat. Die gebürtige Kalifornierin Emily Fultz bezauberte mit ihrer grazilen Belcanto-Artistik ebenso wie mit ihrem ausgelassenen Spiel. Dasselbe gilt für den spanischen Tenor Vicent Romero als liebeskranker Nemorino. Besonderer Publikumsliebling war allerdings der südkoreanische Bass Heeyun Choi als schlitzohriger Kurpfuscher Dulcamara. Mit Melone auf dem Kopf und zwei Koffern in den Händen war er ganz und gar amerikanischer Handlungsreisender, ein Kerl, der jedes Rasierwasser als Wundermittel verhökert. Ein paar historische Werbeplakate gaben ihm das richtige Gepränge: Im Wilden Westen war unlauterer Wettbewerb ja noch nicht verboten, sondern nur lebensgefährlich - falls enttäuschte Kunden ein Schießeisen besaßen.
Bildquelle: Peter Litvai Absolut glaubwürdig auch der südkoreanische Bariton Kyung Chun Kim als kerniger Feldwebel Belcore, der sich zum Auftritt erst mal eine Ladung Wasser aus der Pferdetränke ins Gesicht wirft. Sehr gut gelaunt und hoch motiviert auch der Chor, der im "Liebestrank" reichlich zu tun hat, geht es Donizetti doch um eine Satire auf die Dorfgemeinschaft, die weniger durch Solidarität als durch Geldgier und Aberglauben zusammengehalten wird. Am Orchesterpult stand der neue Chefdirigent Ektoras Tartanis, ein Schüler des so umstrittenen wie bewunderten griechisch-russischen Maestros Teodor Currentzis. Tartanis dirigierte Donizetti wie ein Rodeo, so mitreißend und temporeich, mitunter gar atemlos. Kein Zweifel, der Mann belebt das Landestheater Niederbayern ungemein und hat das Zeug zum Publikumsliebling. Bis auf Weiteres arbeitet er zeitgleich als Erster Kapellmeister am Theater Freiburg, nicht gerade die kürzeste Distanz zwischen zwei Arbeitsplätzen. Insgesamt eine Premiere, die ihre Gäste frohgemut und amüsiert verabschiedete: Addio, auf Wiedersehen, hoffentlich treffen wir uns alle bald wieder!
Sendung: "Allegro" am 2. Oktober 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK