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Kritik – "Le Grand Macabre" an der Bayerischen Staatsoper Umjubelte Groteske

Im letzten Jahr wurde sein 100. Geburtstag gefeiert: György Ligeti gilt als Publikumsliebling unter den Komponisten der Nachkriegsavantgarde. Am Freitag wurden die Münchner Opernfestspiele mit einer Neuinszenierung von Ligetis einziger Oper eröffnet: "Le Grand Macabre". Dirigiert hat Kent Nagano, ein früherer Musikchef der Bayerischen Staatsoper.

"Le Grand Macabre" an der Bayerischen Staatsoper, Benjamin Bruns und Michael Nagy | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Stell dir vor, es ist Weltuntergang und alle leben weiter. Die Sache ist dumm gelaufen für den "Grand Macabre", also für den Tod höchstpersönlich. Dabei schien es sein großer Moment zu sein. Alle zittern. Das Ende ist nah. Der Hofastrologe sieht einen Kometen auf die Erde zurasen. Das Volk rebelliert. Es donnert und blitzt. Aber der Tod ist besoffen. So besoffen, dass er den Weltuntergang gründlich verbockt.

KALAUER UND DRECKIGE WITZE

Alles geht schief, sogar die Apokalypse. Die ganze Bagage namens Menschheit hat sich mal wieder völlig umsonst aufgeregt, die Katastrophe ist abgesagt. György Ligetis einzige Oper "Le Grand Macabre" ist eine Groteske mit ironischem Happy End. Es gibt Cabaret, Galgenhumor, politische Satire, kulturgeschichtliche Anspielungen (vom Maler Pieter Breughel bis zur Bibel) und jede Menge Kalauer und dreckige Witze.

Die Eröffnungspremiere anhören

BR-KLASSIK übertrug die Premiere von György Ligetis Oper "Le Grand Macabre" am 28. Juni 2024 live im Radio. Hier können Sie den kompletten Mitschnitt anhören.

KRZYSZTOF Warlikowski FÜHRT REGIE

Was 1978 bei der Uraufführung eine skandalöse Provokation war, wird vom Premierenpublikum der Bayerischen Staatsoper kurz, aber begeistert bejubelt. Keine Buhs, nicht mal für die Regie von Krysztof Warlikowski. Dabei kann er die Schwächen des Textbuchs nicht ausgleichen: Es dauert einfach zu lang, bis die Handlung in Gang kommt.

GYÖRGY LIGETIS LEBEN

Bei Ligeti spielt das Stück in einem märchenhaften "Breughelland", inspiriert von den Bildern des flämischen Malers. Regisseur Warlikowski verlegt die Handlung ins 20. Jahrhundert. Es gibt Stacheldraht und Exilanten, die auf Ausreise warten – eine Anspielung auf das Leben von György Ligeti, der als junger Mann nur mit Glück den Holocaust überlebte. Mit dem Weiterleben nach Katastrophen kannte sich Ligeti aus. Das ist der düstere Hintergrund dieser überdrehten Groteske.

DIE RIESENSAUSE HAT DURSTSTRECKEN

Warlikowskis Ansatz ist biografisch stimmig, aber für die Bühne nur bedingt ergiebig. Die Riesensause hat Durststrecken, über die sich die Regie mit surrealen Tiermasken, bizarren Kostümen und bedeutungsschwangeren Filmzitaten hinwegrettet. Insgesamt kein Wurf, doch ein paar Momente haben schräge Poesie.

MUSIKALISCHER TRIUMPH

"Le Grand Macabre" an der Bayerischen Staatsoper, Michael Nagy | Bildquelle: Wilfried Hösl Michael Nagy als Tod | Bildquelle: Wilfried Hösl Musikalisch dagegen ist der Abend ein Triumph. Das Orchester knarzt und fiepst, hupt und klingelt – wild, aber kunstvoll. Es ist ein Schwelgen in Extremen, dabei genau kalkuliert und präzise in Form gebracht. Die Sänger zelebrieren ihre heiß laufenden Koloraturen, krächzen im Falsett, brummen ultratief. Sara Aristidou als Chef der Geheimpolizei schießt gleißende Spitzentöne in den Raum, Sam Carl als Astrologe orgelt eindrucksvoll im Bassregister und Michael Nagy gibt dem Tod baritonale Wärme. Grandios klöppelt und sirrt das Bayerische Staatsorchester, kompetent geleitet von seinem ehemaligen Chef Kent Nagano. Eine überbordende Klangpracht, treffsicher serviert und vom Publikum gefeiert.

Sendung: "Piazza" am 29. Juni 2024 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Montag, 01.Juli, 17:30 Uhr

Diethart Lehrmann

Besprechung: Le Grande Macabre von Neuhoff (BR)

Für die in allen Bereichen hochanständige Besprechung der obigen "Oper" möchte ich mich bei Neuhoff ganz herzlich bedanken. Die Leistung der Staatsoper an diesem Abend ist nicht hochgenug zu bewundern. Ich werde wieder dorthin gehen! Ich ärgere mich sehr, wenn "Kritiker" kleinerer "Blätter" über die Bayerische Staatsoper schonungslos im wahrsten Sinn herfallen, von Abwanderung sprechen, vom "kurzen" Beifall berichten und sich daran auch freuen. Soweit ist unsere Kultur gekommen. Legt diesen Leuten endlich das Handwerk! Gr0ßer Beifall für alle!

Sonntag, 30.Juni, 20:38 Uhr

Günter Juhasz

Nicht einmal annähernd „Ein musikalischer Triumph“! Kurzer Applaus ist der Beweis dafür, dass die Menschen vergessen haben, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden! Ligeti ist ein Meister der Extreme; Menschen ohne echtes kreatives Talent sollen diese Art von Musik nicht spielen. Die gesamte Aufführung mit all ihren Teilnehmern machte den Eindruck einer hoffnungslosen Zweitklassigkeit, weshalb sich die Plätze im Saal leider so schnell leerten.

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