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Kritik – "Lohengrin" in Wien Keine Gnade für Elsa

Am Montag, 29. April 2024, hatte Wagners "Lohengrin" an der Wiener Staataoper Premiere: Demonstrativer Jubel für Christian Thielemann, Orchester und Chor, Zuspruch für eine passable bis gute Besetzung – und Buhs für das Regieteam um Jossi Wieler und Sergio Morabito, das Elsa zur Mörderin stempelt und protofaschistisches Weltkriegsdrama sowie "Tatort"-Folge mit einem Schluss "Game of Thrones" nicht recht unter einen Hut kriegt.

Szene aus "Lohengrin" an der Wiener Staatsoper 2024, David Butt Philip (Lohengrin)
Malin Byström (Elsa)
| Bildquelle: WienerStaatsoper_MichaelPoehn

Bildquelle: WienerStaatsoper_MichaelPoehn

Wie konnten wir nur so vertrauensselig sein? Hat uns denn niemals auch nur der Hauch eines Verdachts beschlichen, dass an Elsa von Brabants Händen sehr wohl das Blut ihres abgängigen Bruders Gottfried kleben könnte? Die unschuldig reine Maid, verleumdet von der heidnischen Antagonistin Ortrud, und laut althergebrachter Märchen(opern)logik also bedürftig einer übersinnlichen Hilfe in Gestalt eines strahlenden Gralsritters: Hat sie sich aus niederen Beweggründen des Bruders entledigt? 

Perspektivwechsel von Jossi Wieler und Sergio Morabito

Elsa, die Erstgeborene, aber als Tochter in der Erbfolge übersprungen, will sich nicht begnügen mit ihrem Frauenschicksal in einer Männerwelt und nimmt die Sache in die Hand: Das ist der Perspektivenwechsel in der Inszenierung von Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock, die das Geschehen optisch nahe dem Ersten Weltkrieg ansiedeln. 2022 haben die drei diese alternative Sicht auf Richard Wagners "Lohengrin" bei den Osterfestspielen Salzburg herausgebracht. Nun ist die Koproduktion wie geplant an die Wiener Staatsoper übersiedelt und dort fast vollständig in neuer Besetzung zu erleben. Das wesentliche Verbindungsglied der beiden Premieren steht am Dirigentenpult: Christian Thielemann.

Christian Thielemann und "Lohengrin": Flexibler Fluss

Und der zeigt denn auch, warum er für Wagner im Allgemeinen und ganz besonders auch für den "Lohengrin" einen solchen Ruf besitzt. Bei ihm klingt das Stück, das im ausgedehnten, zweitgeteilten Mittelakt und im Brautgemach des dritten Akts bei minderen Aufführungen doch auch seine Länge spürbar werden lässt, wie aus einem Guss. Dabei ist das eigentlich schon ein falscher Begriff, weil er eine starre Gleichförmigkeit suggeriert. Das Gegenteil ist der Fall. Nicht bloß im Vorspiel, deren ätherische Streicherflageoletts schlackenlos verzaubern und das sich wie auf einen großen Atem steigert und wieder verflüchtigt, sondern den ganzen Abend über hält Thielemann die Musik in flexiblem Fluss.
Man denkt nie über Tempi nach, weil sie sich gleichsam ganz natürlich aus Rede und Gegenrede ergeben. Das heißt aber auch, dass Thielemann auf die Stimmen nicht nur Rücksicht nimmt, sondern mit ihnen gemeinsam das Drama gestaltet. Wenn etwa Georg Zeppenfeld als König Heinrich zum Gebet vor dem Duell ansetzt, dann verwandelt sich das orchestrale Fortissimo flugs in einen weichen Klangteppich, der den schönen, aber schlanken Bass auf Samt bettet. Ganz ähnlich ließe sich bei den Invektiven des vormals "dunklen" Paares Telramund und Ortrud studieren, wie nicht bloße Lautstärke, sondern das Zusammenwirken aus orchestraler Farbgebung und pointierter Artikulation nichts an energiegeladener Erregung zu wünschen übriglässt, ohne dass die Stimmen dadurch je zugedeckt und zur Überbeanspruchung verleitet würden.

Anja Kampe als Ortrud: Dramatische Spitzentöne trefffischer

Szene aus Lohengrin an der Wiener Staatsoper 2024, Anja Kampe (Ortrud)  | Bildquelle: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn Anja Kampe als Ortrud in "Lohengrin" an der Wiener Staatsoper 2024 | Bildquelle: © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn Diese Art der Achtsamkeit ist tatsächlich in vielen Fällen vonnöten. Am wenigsten bedarf ihrer noch Anja Kampe als Ortrud, die hier zu einer sich selbst misstrauenden Augenzeugin wird und dann in die Rolle einer "Mrs. Columbo" schlüpft und Indizien für Elsas Missetat findet. Aber wenn sie mit Common Sense dem ausbrechenden präfaschistischen Massenwahn entgegenwirken wollte, stellt sie sich jedenfalls sehr ungeschickt dabei an. Kampe ist genau in jener Phase der Karriere, wo sie etwa die dramatischen Spitzentöne nach raschem Atemschöpfen treffsicher und imposant herauszuschleudern vermag – und an den ruhigen Stellen noch kantabel wirken kann. Besser mit seinem Material Haus halten muss da schon Martin Gantner, als Telramund der einzige aus der Salzburger Besetzung, der auch in Wien zu hören ist: Kein Kraftlackel, sondern ein prägnant deklamierender Bariton von beinah Gerhaher’scher Wortdeutlichkeit – und ein mit der Obrigkeit allzu kumpelhaft agierender Geschäftsmann, die Krawatte zu lang gebunden, die Hände fast immer in den Jackentaschen: Kein Wunder, dass ihn beim Duell mit Lohengrin nahezu ein Herzschlag trifft. 

Lohengrin mit Dürerlocken zwischen Rockstar und Obdachloser

Dieser Schwanenritter wirft immer wieder seine langen Dürerlocken zurück, ein bisschen Rockstar, ein bisschen bekiffter Jugendlicher, auch fast ein Obdachloser, mit Rüstung unter der zerrissenen Hose. David Butt Philipp lässt dabei immer wieder leuchtende Töne und Phrasen hören – und dennoch rutschen manche davon in Richtung Hals. Bei Malin Byströms Elsa hingegen ist das schon deutlich hörbar, was man beim Tenor erst noch befürchtet: die deutlichen Spuren eines stimmlichen Raubbaus. Sie spielt gut, macht die Gewissensnöte ebenso glaubhaft wie Elsas Flucht nach vorne in die Rolle einer Riefenstahl-Diva, die dann vom Thron gestürzt wird. Intensiv ihr blankes Entsetzen, wenn sie am Ende Gottfried als Wasserleiche aus dem Kanal fischt – und dieser à la "Game of Thrones" oder "Herr der Ringe" lebendig wird und sich als Pendant und Alter Ego Lohengrins entpuppt. Aber im Vokalen hofft man vergebens auf lyrische Rundung und schwebende Piani. 

Unschuld und Unmut

Welche Musik Wagner zur hier gezeigten alternativen Handlung wohl komponiert haben würde? Dass es eine andere geworden wäre, ist stark zu vermuten. Nach dem Ende der Unschuldsvermutung für Elsa und ihrem Tod durch Gottfrieds rächendes Schwert feierte das Publikum vor allem Thielemann, Orchester und Chor – und lastete die Unmutsverschuldung lautstark dem Regieteam an.

Sendung: "Allegro" am 30.4.2024 ab 06:05 Uhr

Kommentare (3)

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Mittwoch, 01.Mai, 00:02 Uhr

Brunhild Konas

Kritik: "Lohengrin in Wien"

Sehr geehrter Herr Weidringer,
auch wir waren gestern zur Premiere in der Wiener Staatsoper;
wir waren aber auch heute zur Vorstellung des "Liebestrank"; es war heute eine Wohltat und wirkte wie eine Befreiung: das passende helle Bühnenbild von Otto Schenk. Erst heute spürte ich, wie groß die Bedrückung der gestrigen Aufführung für mich war.
Wann endlich wird der Tag kommen, wo die Verantwortlichen der Opernhäuser endlich entscheiden und der Regie einen Riegel vorschieben werden: so nicht ... nicht für "mein Publikum", nicht für "mein Opernhaus", nicht für "mein Ensemble".
Dem Lohengrin die Aura des Geheimnisvollen wegzunehmen und ihn in der Kanalisation anzusiedeln ist der Gipfel der absoluten Geschmacklosigkeit und zeigt die Missachtung der Regie vor dem Schöpfergeist des Komponisten. Mit freundlichen Grüßen Brunhild Konas aus Wien

Dienstag, 30.April, 17:56 Uhr

Alexander Störzel

"Keine Gnade für Elsa"

Ich möchte mich nicht hervortun, da ich öfter in den Kommentaren erscheine,.
Aber ich muss zunächst sagen, dass ich die Fotos dieser Inszenierung nicht so schrecklich finde. Personenregie kann ich nicht beurteilen.
Die ganze Sache als Krimi freilich weit hergeholt.
Rätselhaft bleibt mir warum dass Publikum so ablehnend reagierte, obwohl die Inszenierung aus Salzburg längst bekannt ist. Gleichzeitig sind alle Vorstellungen ausverkauft. Selbstverständlich bleibt die Musik an erster Stelle, doch dazu braucht es keine Neuinszenierung. "Lohengrin" ist sehr problematisch zu inszenieren, da der Begriff Romantik in unserer Gegenwart oft belächelt wird. Vielleicht findet nach Werner Herzog und Henning von Gierke (Bayreuth 1987 - 1991) wieder jemand die konsequente Haltung dazu.
Ich würde es dem Wiener und dem Münchner Opernpublikum für dieses herrliche Werk wünschen.

Dienstag, 30.April, 09:30 Uhr

Norbert Haring

Kritik: "Lohengrin in Wien"

S.g. Herr Weidringer!

Herzlichen Dank für diesen Kommentar. Ich war gestern in der Oper. Ihre Kritik ist zu 100 % zutreffend! Wäre nicht Thielemann am Pult gestanden - ein Abend der Enttäuschungen. Martin Gantner habe ich als positive Überraschung erlebt, Zeppenfeld sehr gut. Die Stimme Byströms sehr enttäuschend, keinerlei Leuchtkraft, passt für mich überhaupt nicht für dieses Rolle. Und Lohengrin war wohl als Witzfigur gedacht. Unpassender nicht vorstellbar. Regie, Bühnenbild und Kostüme eine Zumutung. Nach der letztjährigen Inszenierung (bayrisches Wirtshaus, Beczala im Nachthemd) habe ich es nicht für möglich gehalten, dass es noch schlechter geht.

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