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Abschied von Christian Thielemann in Dresden "Ich betrinke mich mit Kunst"

Die "Frau ohne Schatten" ist die letzte Premiere des Star-Dirigenten an der Dresdener Semperoper. Gegenüber BR-KLASSIK zieht Christian Thielemann eine Bilanz seiner 14 Jahre als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle: "Keiner wird sagen, er hat nachgelassen."

Christian Thielemann fordert die Sächsische Staatskapelle Dresden | Bildquelle: OFS/Matthias Creutziger

Bildquelle: OFS/Matthias Creutziger

"An die Mentalität muss man sich gewöhnen, das ist ja überall so", sagt der in Potsdam lebende Christian Thielemann über Dresden und seine Einwohner. "München hat ja auch eine ganz besondere Mentalität, Berlin sowieso, das gilt ja als frech und ruppig." An der Elbe allerdings habe er in seinen 14 Jahren als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle "kaum etwas" mitbekommen vom Alltag in der Landeshauptstadt: "Weil ich hier kaum Freizeit verbringe." In seinen wenigen Mußestunden zwischen beruflichen Verpflichtungen nutzt Christian Thielemann nach eigenen Worten gern seine Dauerkarte für örtliche Museen und gerät bei Dresdens Villenviertel mit seiner Jugendstil-Architektur ins Schwärmen: "Als ich den Weißen Hirsch gesehen habe und Immobilienangebote bekam, war ich kurzzeitig versucht umzuziehen. Sie leben sowas von fabelhaft in dieser herrlichen Umgebung. Also ich glaube, es gibt kaum eine Stadt, die so wunderbar liegt wie Dresden."

Thielemann: Unsicherheit wegen Sachsen-Wahl im Herbst

Christian Thielemann | Bildquelle: picture alliance/dpa | Soeren Stache Dirigent Christian Thielemann | Bildquelle: picture alliance/dpa | Soeren Stache Gleichwohl kennt Thielemann natürlich die Schlagzeilen über die hohen Umfragewerte für die AfD und das zunehmend polarisierte Meinungsklima, gerade in Sachsen, wo im Herbst gewählt wird. Künstlerisch fühlt er sich dadurch allerdings nicht beeinträchtigt: "Natürlich, was Sie jeden Tag in der Zeitung lesen, das stimmt einen schon etwas unsicher. Man weiß ja nie, wie Wahlen ausgehen. Da kann man nur sagen, jetzt warten wir mal ab. Die Arbeit wird nicht beeinträchtigt. Das ist ein Erbe von früher, denken Sie an die Zeit vor der Wende." Man habe sich ein bisschen gegenüber der politischen Umgebung zurückgezogen, so der Dirigent. Er betrinke sich mit Kunst.

Wenn ich dirigiert habe, hat die Stadt immer gebrummt vor internationalem Publikum.
Dirigent Christian Thielemann über Dresden

Thielemanns Abschied mit "Die Frau ohne Schatten"

"Die Frau ohne Schatten" an der Semperoper in Dresden. | Bildquelle: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah Letzte Premiere für Christian Thielemann an der Semperoper in Dresden: "Die Frau ohne Schatten". | Bildquelle: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah Als letzte Opernpremiere seiner Zeit als Chefdirigent hat sich Christian Thielemann ein XXL-Werk von Richard Strauss vorgenommen: "Die Frau ohne Schatten". "Es ist am besten zu gehen, wenn man auf dem Höhepunkt ist. Traurig ist das nicht, weil die Rundung wichtiger ist. Ich bin glücklich darüber, dass keiner sagen wird: Er hat nachgelassen. Im Moment ist es so, dass die Leute sagen, mein Gott, warum gehen Sie?" An der 1548 gegründeten Staatskapelle schätzt Thielemann nach eigenen Worten das Festhalten an einer charakteristischen Tradition, ähnlich wie bei den Wiener Philharmonikern. Das Klangbild sei in Dresden eine Spur weniger "dunkel" als an seinem neuen Schaffensort, der Berliner Staatsoper Unter den Linden, aber "genauso durchsichtig". "Die beiden Orchester sind sich ansonsten sehr ähnlich, auch durch ihre Flexibilität als Opernorchester." Emotionale "Gänsehautmomente" habe es gegeben, als er an der Semperoper Strauss-Werke wie "Elektra" und "Arabella" aus dem Notenmaterial der jeweiligen Uraufführungen dirigiert habe: "Stellen Sie sich das mal vor!"

Russische Komponisten auf Thielemanns Wunschliste

Den tiefsten Eindruck habe ein Konzert 2003 zum Gedenken an die Zerstörung der Stadt im Februar 1945 hinterlassen, als er das Brahms-Requiem dirigiert habe: "Die Ernsthaftigkeit, die in der Stadt war, hat mich schwer beeindruckt. Als das Konzert beendet war, standen die Leute mit den Kerzen auf dem Theaterplatz." Gefragt, welche Projekte er an der Semperoper noch gern realisiert hätte, verweist Thielemann auf russische Komponisten, auf die er sich gern noch "geworfen" hätte: "Nachdem ich durch das gesamte klassische Repertoire durch bin, hätte ich gern mal was sehr Rhythmisches wie Strawinsky.

Thielemann künftig an der Berliner Staatsoper tätig

In Dresden war Thielemann "Chefdirigent", aber nicht Generalmusikdirektor, wie künftig an der Berliner Staatsoper. Den markanten Unterschied der beiden Rollen erklärt er so: "Die Sächsische Staatskapelle hat mich damals gebeten, 'nur' Chefdirigent zu sein, damit ich mich um die internationalen Tournee- und Ausnahmeprojekte kümmern könne. Man befürchtete, dass der Konzertbetrieb darunter leiden würde, wenn ich auch noch die Oper betreut hätte." Das Tourneegeschäft sei in Dresden schon immer von jeher besonders wichtig gewesen. Dass Thielemann im Spielplan der Semperoper wegen dieser Sonderrolle vergleichsweise wenig präsent war, war immer wieder Gegenstand von Kritik. In Berlin wird das anders ein: "Ich kümmere mich sehr, sehr gerne um die Repetitoren und um Ensembles und solche Dinge. Ich freue mich richtig, dass ich das wieder machen kann, denn das war in Dresden nicht so, dann hätte ich nicht mehr gastieren können."

Fachkundiges Publikum und Operntouristen in Dresden

Die Semperoper in Dresden in der Dämmerung | Bildquelle: © Semperoper Dresden/Matthias Creutziger Die Semperoper in Dresden | Bildquelle: © Semperoper Dresden/Matthias Creutziger Das oft zitierte Klischee von der "Touristenoper" in Dresden, die hauptsächlich an der Architektur der Semperoper interessierte Busreisende anlocke, sei derart pauschal nichtzutreffend, hat Thielemann beobachtet. Bei großen Wagner- oder Strauss-Premieren komme ein fachkundiges Publikum von weither angereist, auch aus Asien und den USA: "Es ist sehr heterogen hier. Die Leute wählen sich das genau aus. Es sind natürlich auch Touristen da. Darauf basiert ja ein Großteil des Geschäfts dieses Opernhauses", so der Dirigent. Er sieht dabei jedoch keineswegs ein Problem, im Gegenteil: Es sei doch schön, wenn die Oper alle bediene. In Hinblick auf das gemischte Publikum bei den Aufführungen bilanziert Thielemann selbstbewusst: "Wenn ich dirigiert habe, hat die Stadt immer gebrummt vor internationalem Publikum."

Thielemanns Nachfolge an der Semperoper tritt Daniele Gatti an. Der Dirigent, der beim Concertgebouw-Orchester wegen Vorwürfen sexueller Belästigung gefeuert wurde, soll sein Amt am 1. August 2024 bei der Sächsischen Staatskapelle antreten.

Anmerk. d. Red.: In einer früheren Version dieses Artikels, war von der Zerstörung Dresdens im Jahr 1946 die Rede. Geschichtlich korrekt ist natürlich 1945. Das wurde demenstprechend korrigiert.

Sendung: "Leporello" am 22. März ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (3)

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Dienstag, 26.März, 07:47 Uhr

@Bernauer

Korrektur

Ich gebe Recht, es muss weltbester Dirigent heißen. Es gibt aber von diesem Format aus meiner Sicht neben Thielemann und Gatti gerade niemanden, der solch magische Momente in Konzerten entstehen lässt. Petrenko ist sehr gut, aber lässt seinem Orchester zuweilen keine Luft zum Atmen, weil er jede Miniphrase vorgibt. Dahinter gibt es für mich einige, die zB in München sind.
Ich wäre doch gespannt, wen Sie neben den beiden obigen Dirigenten in einer Reihe sehen?

Montag, 25.März, 07:25 Uhr

Bernauer

Die zwei (?) führenden "Weltdirigenten"

Widerspruch und Frage: Es gibt eine ganze Reihe hervorragender Dirigenten, nicht nur Thielemann und Gatti. Und was ist überhaupt ein "Weltdirigent"?

Freitag, 22.März, 20:54 Uhr

Trappe

Weltdirigent

Dresden kann man für ihre weisen Wahlen nur beglückwünschen. Thielemann ist einer der weltbesten Dirigenten, mit Gatti folgt der nächste Weltdirigent. Das sind die zwei führenden Dirigenten der Welt, wo Konzerte und Opern zur Magie werden. Ob sich Thielemann einen Gefallen mit der Staatskapelle gerade erweist, wage ich zu bezweifeln. Das Orchester ist qualitativ deutlich unter dem, was Thielemann sonst gewohnt sein dürfte.

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