BR-KLASSIK

Inhalt

"Mazeppa" bei Tiroler Festspielen Erl Tschaikowskys harte Abrechnung

Stehende Ovationen für eine so bluttriefende wie schonungslose Abrechnung mit Gewaltmenschen unserer Tage: Tschaikowski zeigt Aufstieg und Fall eines Karrieristen, der nur das Gesetz des Stärkeren kennt. Das ist in der Inszenierung des Südafrikaners Matthew Wild beklemmend aktuell und unbedingt sehenswert.

"Mazeppa" bei Tiroler Festspiele Erl | Bildquelle: Tiroler Festspiele Erl

Bildquelle: Tiroler Festspiele Erl

"Blut auf dem Asphalt" heißt die derzeit erfolgreichste und meist diskutierte russische Fernsehserie. Es geht darin um die Bandenkriege der neunziger Jahre, um den zweifelhaften Ehrenkodex der Straßengangs. Nicht wenige halten ja das gesamte Kremlregime für eine Art Schlägertrupp und verweisen auf Putins jugendliche Hinterhof-Erfahrungen. So oder so gilt Russland als besonders brutal und gewaltbereit, und zwar schon zu Puschkins Zeiten, also vor 200 Jahren. Der Stärkere setzt sich durch, und zwar mit allen Mitteln. Dem Volk bleibt nur die Zuschauerrolle.

Brutale Videoelemente auf der Bühne

Das ist auch in Tschaikowskis selten gespielter Oper "Mazeppa" aus dem Jahr 1884 so. Da bahnt sich der titelgebende ukrainische Kosakenhauptmann den Weg nach oben, mit Folter und Mord, und - auch typisch für Russland - ertrinkt nach seinem Sturz im Selbstmitleid. Regisseur Matthew Wild lässt den ganzen russischen Patriotismus und Nationalismus in seiner Inszenierung bei den Tiroler Festspielen in Erl natürlich weg: Bei ihm ist Mazeppa kein böser Ukrainer und Vaterlandsverräter, sondern ein skrupelloser Politiker unserer Zeit. Motto: Alles ist erlaubt, solange die Gegner krepieren und die Karriere gesichert wird. Angesichts der eingespielten Videos von Kriegen ist damit wohl eher Putin gemeint. Wie auch immer: So aufwühlend, so erschütternd, so beklemmend ist Oper selten. Ein paar Zuschauer flüchteten, die meisten waren begeistert, es gab stehende Ovationen.

Psychogramm unserer Gegenwart

"Mazeppa" bei Tiroler Festspiele Erl | Bildquelle: Tiroler Festspiele Erl Bildquelle: Tiroler Festspiele Erl Nur Gewalt zählt in "Mazeppa", und die frisst bekanntlich irgendwann auch ihre Urheber. Bühnenbildner Herbert Murauer verlegte die Handlung in einen tristen Hinterhof. Immer wieder fällt der Blick durch Fenster in die Korridore der Mächtigen: Düstere Ledergarnituren, auf denen sich Kerle mit Messern und Gewehren räkeln. Ein Badezimmer als Folterverlies, ein mit Stofftieren vollgestopftes Kinderzimmer als Inbegriff verlorener Ideale. Unglaublich stark eine Szene, in der auf einer Oligarchen-Party ein klassisches Ballett-Duo auftritt. Gerade, als die Tänzerin und ihr Partner ihre Poesie voll entfalten, mit scheinbar leichten Hebefiguren die Zuschauer in den Bann schlagen, unterbrechen anwesende Vandalen den Pas de deux, randalieren herum: Die Kunst wird Opfer der Gosse. Dazu tönen Tschaikowskys bittere Fanfaren, und die Führungskräfte verlieren sich wahlweise in kitschtriefenden Gebeten oder in wehmütigen Kindheitserinnerungen.

Wild loderndes Spektakel

Niemand macht sich die Mühe, Gewalt zu kaschieren: Hinrichtungen werden ganz im Gegenteil zum öffentlichen Spektakel, da sie abschrecken sollen. Ein fataler Hang zur Sentimentalität, der Russland prägt, gepaart mit beinhartem Egoismus. "Mazeppa" ist das Stück der Stunde. Überwältigend in seiner Wucht. Dirigent Karsten Januschke lässt mit dem Erler Festspielorchester, darunter viele Osteuropäer, Tschaikowsky wild auflodern, wirft glutheiße Funken. Was bei anderen Komponisten womöglich in hohles Pathos abrutschen würde, hier passt diese schier versengende Emotionalität. Das gilt durchweg auch für alle Solisten und den fulminanten Chor, allen voran den russischen Bariton Petr Sokolov in der Titelrolle, den weißrussischen Bass Alexander Roslavets als leidgeprüftem Zaren-Fan Kotschubej und den russischen Tenor Mikhail Pirogov als tragischem Liebhaber Andrei. Ein Drama irre gewordener Machtmenschen, in dem Nombulelo Yende als anrührende Maria herumirrt wie durch eine Geisterbahn. Ein ergreifendes Fanal, Tschaikowskys "Mazeppa", und unbedingt sehenswert.

Sendung: "Allegro" am 15. Juli 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player