Der Tod am Nil ist nur virtuell: Regisseur Andreas Gergen zeigt Verdis Ausstattungs-Klassiker als Computerspiel, in dessen Fantasiewelt sich ein Topmanager verirrt. Das ist zeitgemäß, verwirrt jedoch in der optischen Umsetzung. Das Dirigat war präzise, aber arg akademisch-detailgenau.
Bildquelle: Tobias Witzgall
Kritik
"Aida" in der Felsenreitschule Salzburg
Ganz schlecht, wenn der Partner abends nicht ins Bett kommen will, sondern lieber noch ein paar Stunden an der Spielkonsole zockt und sich in irgendwelche Fantasiewelten flüchtet. Dann kann das so tragisch ausgehen wie in Verdis "Aida", wird sich Regisseur Andreas Gergen wohl gedacht haben. Er jedenfalls zeigt die altägyptische Fabel in der Salzburger Felsenreitschule als Geschichte eines Topmanagers, dem vor lauter Gaming die Realität abhandenkommt. Anders ausgedrückt: Die Arbeitswelt im blauen Anzug ist dermaßen frustrierend und aufreibend, dass nur noch ein virtueller Trip an den Nil vor dem totalen Burnout schützt. Geht aber auch schief, wie bei allen Drogen: Am Ende übernimmt eine Frau den Job. Im knallroten Kampfmantel und abgeschirmt mit Sonnenbrille macht sie sich auf den Weg in die Chefetage.
Bildquelle: Tobias Witzgall Was sich plausibel anhört, ist über drei Stunden hinweg streckenweise ziemlich verwirrend, weil Andreas Gergen den Ehealltag und die Gaming-Welt der fiktiven Helden immer wieder kunterbunt vermischt, bis wirklich keiner mehr so recht weiß, wer gerade wer ist. Klar, der Regisseur misstraut Verdis altertümlicher Prunkgeschichte, in der bekanntlich ein Triumphmarsch vorkommt, bei dem Gefangene aus Äthiopien vorgeführt werden. Geht gar nicht mehr, ist rassistisch und kolonialistisch, wenn es nicht neu interpretiert wird, aber in diesem Fall entgleitet dem Regieteam die Grundidee. Virtualität ist halt eine knifflige Sache, und wenn dann Science-Fiction-Krieger mit skurrilen Lichtschwertern auftreten, eine Riesenfigur aufgeblasen wird, allerlei Balletteinlagen in Anzug und Krawatte ablenken und rätselhafte rote Stoffbahnen wohl als Sinnbilder von Blutströmen von der Decke hängen, ist das zwar staunenswert, aber emotional wenig anrührend. Als Spektakel im Bühnenbild von Stephan Prattes gelungen, als Oper zu unübersichtlich, zu konstruiert, zu fahrig umgesetzt.
Bildquelle: Tobias Witzgall Dirigent Leslie Suganandarajah wollte wohl unbedingt alles richtig machen, so konzentriert, wie er die Partitur im Auge behielt. Das klang demzufolge durchaus präzise, auch sängerfreundlich, aber nichtsdestotrotz recht akademisch und kalkuliert. Wahrer Verdi-Furor wollte nicht aufkommen, von Flammen wurde zwar gesungen, aus dem Graben schlugen sie jedoch nicht. Die Solisten wirkten nicht so, als ob sie das Konzept ganz und gar überzeugt hatte. Andererseits: Virtuelle Figuren haben ja etwas roboterhaftes, ungelenkes. Hier wird auch vorgeführt, wie Titelheldin Aida konfiguriert wird: Radames, die Führungskraft, kann sich auf der Tastastur seine virtuelle Traumfrau nach Belieben zusammenstellen. Bei Richard Wagner wäre es eine Wunschmaid, in diesem Fall ist es eine rothaarige Anarcho-Heroine im knappen Lederoutfit (sehr körperbetonte Kostüme: Aleksandra Kica).
Bildquelle: Tobias Witzgall Christiana Oliviera füllt mit ihrem weichen, ausdrucksstarken Sopran mühelos die Felsenreitschule, Oksana Volkova kommt als Amneris aber schauspielerisch mit den Riesendimensionen deutlich besser zurecht. Sie weiß, dass in diesem XXL-Format keine kleinen Gesten gefragt sind, sondern grelle Kontraste. Milen Boshkov als Radames ist vergleichsweise schüchtern und wirkte im virtuellen Kriegerlook komisch – ob unfreiwillig oder absichtlich, war nicht so genau auseinanderzuhalten. Stimmlich freilich gab es nichts zu bemängeln, auch nicht bei Aris Agiris als Aidas Vater Amonasro, der in diesem Fall mehr als Über-Ich nach Sigmund Freud auftrat. Chor, Ballett und Statisterie fügten sich in ihre teils absurden Trikots, die an die sprichwörtlichen Helden in Strumpfhosen erinnerten. Was Satire war, was Gesellschaftskritik, das verschwamm in dieser pixeligen Show. "Aida" goes "World of Warcraft", das muss man erst mal riskieren. Insofern dennoch Kompliment ans Salzburger Landestheater!
Sendung: "Allegro" am 6. November 2023 ab um 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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