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Kritik - "Der Liebestrank" an der Oper Stuttgart Liebe ist doch ein einziges Labor

Unterhaltsam und mit viel Augenzwinkern - Regisseurin Anika Rutkofsky spart sich bei ihrer Inszenierung von Donizettis Oper "Der Liebestrank" in Stuttgart den moralischen Zeigefinger und sorgt für beste Unterhaltung - in Krisenzeiten keine schlechte Idee, findet unser Kritiker.

Szene aus der Oper "Der Liebestrank" an der Oper Stuttgart, Oktober 2022 | Bildquelle: Martin Sigmund

Bildquelle: Martin Sigmund

Das Allerwichtigste zuerst: langweilig wird es einem bei diesem wunderbar flirrenden Opernabend keine Sekunde. Und es ist wahnsinnig viel wert - und vielleicht sogar mutig - in unseren Krisenzeiten auch mal solch einen intelligenten Eskapismus anzubieten, ohne sich beim Publikum billig anzubiedern. Was läge nämlich näher, als bei Donizettis Publikumsrenner "L'elisir d'amore" eine dröge Studie über die Unmöglichkeit der (wahren) Liebe zu liefern und sich über toxische Männlichkeit und alternative Heilpraktiken, samt ihren Versprechungen, lustig zu machen? Regisseurin Anika Rutkofsky behandelt in ihrer Stuttgarter Inszenierung zwar genau diese Themen, aber konsequent augenzwinkernd, unterhaltsam und ohne moralinsaure Zeigefingerdogmatik.

Der Liebestrank ist ein Placebo-Cocktail

Aber fangen wir bei Gaetano Donizetti an, der ein Libretto von Felice Romani, basierend auf einer Vorlage des legendären Eugène Scribe vertonte. Nemorino ist verknallt in Adina. Die ziert sich und interessiert sich zunächst für den schmucken Soldaten Belcore (Björn Bürger singt ihn toll). Da taucht plötzlich der Wunderdoktor Dulcamara auf und bietet einen Liebestrank feil. Der besteht freilich nur aus Glauben daran und mittelprächtigem Wein darin.

Trotzdem bringt der Placebo-Cocktail die Emotionen ins Wallen, letztendlich findet sich das Paar und alle sind froh und glücklich. Nur der Wunderarzt wird, in Rutkofskys Deutung, vom ansonsten recht heiteren Volk gepeinigt. Das Volk, nun ja, um es genauer zu formulieren, es handelt sich um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Labors, dem Rezensenten ging nicht gänzlich auf, was da gezüchtet und kreiert wird. Anfangs sehen wir Kugeln (Kokons, riesige Pflanzensamen?). Später leuchtet alles in fruchtbarem Grün. Klar ist, dass die Sache erfolgreich war, denn man sieht aufs Videos, dass sich alles in einer Wüste abspielt und unser Labor gleichsam zur ausgreifenden Oase wird.

Liebe am Arbeitsplatz

Liebe am Arbeitsplatz ist ja nach wie vor mancherorts verpönt, hier jedoch nicht. Es freut sich am Ende fast jede Kreatur über das fröhliche Paar, so scheint es. Als Extraglück wird im Stück auch noch Nemorino zum reichen Erben...

Regisseurin Anika Rutkofsky mit viel Liebe zum Detail

Mit toller Personenführung und viel Liebe zum Detail erzählt Rutkofsky diese Geschichte, ab und an schleichen sich melancholische Momente und Stimmungen ein: (Ver-)Zweifeln, Skepsis, Unsicherheiten bei den Protagonisten. Die Mischung jedoch stimmt und wir haben noch gar nicht über ein ganz wesentliches Pfund dieser Aufführung gesprochen: das Ensemble. Da ist Claudia Muschios mal fies mit den Emotionen der Männer spielende, mal traumhaft traumverloren sehnsüchtige Adina. Kai Kluge gibt Nemorino als ebenso tapfer hartnäckigen wie täppischen Brautwerber, Giulio Mastrototaro überzeugt als fieser, verschlagener Quacksalber, der aber im Ganzen eher sympathischer Tölpel denn Monster ist.

Oper Stuttgart entwickelt sich zu einem Leuchtturm

Michele Spotti dirigiert das Staatsorchester Stuttgart flüssig, elegant, wo nötig aufbrausend und wuchtig, ohne Hang zur musikalischen Schmiere, unter dem Interpretationen dieses Stücks gelegentlich leiden. Mit an Bord ist übrigens der kluge, gerne - und oft erfolgreich - an schwierige(re)n Stoffen tüftelnde Dramaturg Miron Hakenbeck. Längst hat er sich, wie auch der Stuttgarter Intendant Viktor Schoner, aus der doch zuweilen sehr engen Blase um den ehemaligen Münchner Opernchef Nikolaus Bachler befreit (beide arbeiteten lange an der Bayerischen Staatsoper). Nach einigem szenischen Stottern zu Beginn von Schoners Intendanz entwickelt sich Stuttgart zunehmend zum echten Opernleuchtturm!

Sendung: "Leporello" am 31. Oktober 2022, um 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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