Die erste Bregenzer Inszenierung der "Madame Butterfly" wurde lang erwartet. Und dann das: Ein Gewitter beendete das Seebühnen-Spektakel vorzeitig. Ein Großteil des Publikums wurde nach Hause geschickt, der Rest sah im Festspielhaus eine konzertante Version von Puccinis schwermütiger Oper.
Bildquelle: Bregenzer Festspiele
Das war wohl der Fluch der Mumie, der da zugeschlagen hat: Nach einer knappen Stunde Aufführungsdauer mussten die Bregenzer Festspiele um kurz nach 22 Uhr vor einer Gewitterfront kapitulieren und einen Großteil der Zuschauer nach Hause schicken. Bevor der Wind merklich auffrischte und die Sturmwarnleuchte immer hektischer ihre gelben Lichtkegel über den Bodensee schickte, hatte sich auf der Seebühne tatsächlich eine Mumie effektvoll aus dem Grab gemeldet.
Regisseur Andreas Homoki (62), seit zehn Jahren Intendant der Oper Zürich, ließ es in seiner Inszenierung von Puccinis "Madame Butterfly" nämlich mächtig spuken. Seiner Deutung zufolge wird die titelgebende japanische Heldin ihre Vorfahren nicht los, die von Anfang bis Ende mit schlohweißer Zottelmähne über die Bühne geistern. Das ist durchaus plausibel, denn bei Puccini wechselt Butterfly ihrem amerikanischen Ehemann zuliebe tatsächlich ihren Glauben, ihren Lebensstil, ihre Träume. Kurz und gut: Sie gibt alles für ihn auf, nur um wenig später zu erfahren, dass er sie lediglich sexuell ausgebeutet hat.
Dem Text zufolge ist Butterfly 15, als sie von skrupellosen Zuhältern verkauft wird, und deshalb erscheint ihre demütige Bitte an ihren Gatten geradezu erschütternd, sie doch möglichst "wie ein Kind" zu lieben. Geht heute eigentlich gar nicht mehr, so eine Konstellation, noch dazu, wenn sie mit bittersüßer Musik untermalt ist. Gern konzentrieren sich Regisseure daher auf die Amerika-Kritik in der "Madame Butterfly", schließlich trifft japanische Bescheidenheit auf die Großmäuligkeit eines US-Marinesoldaten.
Und tatsächlich lassen Andreas Homoki und sein Ausstatter Michael Levine die "Stars and Stripes" an einem langen Fahnenmast knattern. Später wird sich Butterfly die Flagge umhängen und quasi in Patriotismus einwickeln, was ihr aber übel vergolten wird. Nein, was die Effekte angeht, konnte diese Inszenierung bei weitem nicht mit Verdis "Rigoletto" mithalten, der letztes Jahr auf der Seebühne gegeben wurde. Die einen fanden das wohltuend konzentriert, andere waren enttäuscht, denn in Bregenz zeigt die Technik natürlich gern, was sie kann. Hier wird auch Zirkus geboten, großformatiges Spektakel, und das zerknitterte Blatt Japanpapier, das diesmal die Bühne ausmachte, war diesbezüglich etwas arg schlicht.
Die Sänger hatten lange Wege zurückzulegen, nur damit was passiert, denn "Madame Butterfly" ist eigentlich ein Kammerspiel, wo der Chor nur sehr am Rande zu tun hat und sich die Handlung im Wesentlichen auf ein kleines, bescheidenes Anwesen beschränkt, vor allem im zweiten Teil. Kostümbildner Antony McDonald schwelgte zwar in japanischen Trachten, doch die Spukgestalten waren allemal interessanter. Letztlich war das Regenradar mit seinen lila eingefärbten Wolkenbruch-Regionen allerdings das Spannendste an diesem Abend.
Schade, dass das Inszenierungsteam nicht mehr Hafenatmosphäre zauberte, schließlich geht es um ein Schiff, das die Träume der Butterfly mit sich nimmt - weit weg, dorthin, wo nicht klar ist, wann die Rotkehlchen brüten. Ein Dampfer jedoch fehlte in jeder Form. Immerhin: Ein Papierboot kam zum Einsatz, das ungeachtet der Sturmwarnung mutig durch die Wellen pflügte.
Klar, es ist ungerecht, eine Inszenierung nach ihrer ersten Hälfte abschließend zu beurteilen, und der eigentlich geplante Schlusseffekt macht auf Seebühne optisch sicher was her. Insgesamt lag aber doch eine gewisse Unentschiedenheit über diesem Konzept, das offenbar die Erwartungen des Publikums bedienen wollte, aber dann doch buchstäblich auf halbem Wege stecken blieb.
Die Solisten wechseln in Bregenz ja von Vorstellungstermin zu Vorstellungstermin: Die Premieren-Crew überzeugte in jeder Hinsicht, vor allem die viel beschäftigte usbekische Sopranistin Barno Ismatullaeva als Butterfly. Sie zeigte vor drei Jahren schon am Staatstheater Nürnberg ihr Talent für diese Rolle. Derzeit ist sie in Hannover engagiert. Dirigent Enrique Mazzola gehört zu den musikalischen Leitern, die nicht nur für Rhythmus und Klangfarbe sorgen, sondern das ganze Stück selbst mitspielen, mitleiden, mitfiebern.
Es macht Freude, ihm dabei zuzusehen. Hier und da wäre noch etwas mehr Drama möglich gewesen, so klang Puccini zwar nicht reißerisch, was ohne Zweifel wohltuend war, aber auch eine Spur zu wenig emotional. Aufregend geht es am Bodensee trotzdem zu, wie der Premierenabbruch zeigte, und abendliche Blitze am Horizont haben schon viele Vorstellungen mit ihrer Magie befeuert. Nur keine falsche Scheu vor der Mumie!
Sendung: "Allegro" am 21. Juli ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (5)
Montag, 25.Juli, 00:03 Uhr
Albert Loohuis
butterfly 25.07.22
NEIN !!
es ist nicht der untergang der titanic , der zur aufführung kommt. die kulisse täuscht -
es soll japan sein und fräulein cio cio san fühlt sich dort wohl.
mangels möbel setzt sie sich oft auf den boden des begehbaren eisberges.
die verführungsszene kann ja auch auf dem boden eines eisberges spaßig sein, wenn da nicht dauernd die lästigen pinguine wären: weiße gestalten - gespenster ? Leprakranke ? -
mit weißen haaren bis zum knie.
ein zögerlicher applaus ist immerhin der lohn. Die stimmen und das orchester sind ja perfekt und hätten mehr applaus verdient.
die fernsehausstrahlung von heute ist die premiere, denn die eigentliche premiere am 20.7 mußte wegen regen unterbrochen werden.
diesem bühnenbild fehlt der pfiff und eine zusammenhängende idee
der eisberg hat immerhin den vorteil, dass man die ankunft des amerikanischen schiffes darauf projizieren kann
dem ganzen spiel fehlt die dramatik. man tut seine pflicht und spult die eine nummer nach der anderen ab
Samstag, 23.Juli, 21:14 Uhr
Regine Ortmann
Madame Butterfly Bregenz
Wann wird endlich bei Rezensionen der Konzentration auf Spektakel, Brot und Spiele, Äußerlichkeiten Einhalt geboten? Sänger kommen in den meisten Kritiken, nicht nur in dieser, kaum oder gar nicht vor.
Vermutlich verfügen heutige Rezensenten nicht mehr über das Wissen und die Fähigkeit, Sänger zu beurteilen. Es ist eine bodenlose Frechheit, dass renommierte Zeitungen und der BR diesem Vorgehen Vorschub leisten! Ist denn überall nur noch Mittelmaß, um es beschönigend zu beschreiben!
Achtung vor der künstlerischen Leistung von Sängern- Fehlanzeige!
Samstag, 23.Juli, 14:59 Uhr
Urban Vetter
Kritik Madame Butterfly
Die starke Symbolkraft dieser Aufführung macht das Stück aktuell und modern, verändert sich doch die alte, japanische Hochkultur zuguns ten des amerikanischen Traums nach freiheit und selbstbestimmung. Trrffsicher dazu die symbolbilder, der fahnenmast durchstösst die alte kulturlandschaft, die amerikanische gattin trifft subtil alle Klischees, halb Kind, Puppe, realitätsfern. Ein Geniestreich in meinen Augen mit tollem Ensemble.
Samstag, 23.Juli, 12:23 Uhr
Philip
@Gufo
Ihnen ist aber schon klar, Gufo, dass es sich hier eben genau um die Einzigartigkeit von Bregenz handelt, bei der alles zu einem großen Ganzen verschmilzt - sogar mit der Natur..? Ja, es ist ein Spektakel, so what?
Dass hier die darstellerische Einzelleistung im Hintergrund steht, liegt irgendwie in der Idee dieser Bühne (vllt wäre d. flieg.Holländer auch das geeignetere Stück). Muss einem nicht gefallen, schon klar, ich habe da auch Schwierigkeiten, aber deshalb, das "Opernpublikum" indirekt gleich noch mit zu kritisieren, zeugt von verkappter Arroganz, wie sie nur die "Hochkultur" hervorbringt. Die Hunderttausende von Zuschauern, die da Jahr für Jahr anreisen, sind nicht die selben Leute, die in Salzburg im Fendikleid aus der Limousine steigen. Meinen sie dieses Opernpublikum? Oder die Elektra-Strauss-Fans? Oder die Wagnerjünger? Übrigens lobt Herr Jungblut die Sänger/Musik und bemängelt d Bühne sogar als etwas karg... Sie springen also aufs falsche Pferd auf... Gufo...!
Donnerstag, 21.Juli, 09:03 Uhr
Gufo
Madame Butterfly
Richtig, Zirkus und Spektakel stehen im Vordergrund. Die Musik und mit ihr Orchester, Sänger und Sängerinnen sind kaum mehr vorhanden.Sie werden in der Kritik mit ein paar dürren Worten " abgespeist". Der Geschmack des Opernpublikums hat sich offensichtlich verändert.