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Kritik – Henzes "Prinz von Homburg" Oper Frankfurt Kafkaesk und großartig

Heinrich von Kleist ist gerade wieder in aller Munde, weil neue, martialische Briefe entdeckt wurden. Sein preußisches Lehrstück vom ungehorsamen Kriegshelden überzeugt als hypnotisch fesselndes Musiktheater dank einer mutigen Inszenierung von Jens-Daniel Herzog und einem scharf kontrastierenden Dirigat.

Bildquelle: Barbara Aumüller

Kritik – "Es geht um den Volkssturm"

Henzes Oper "Prinz von Homburg" in Frankfurt

Kein Zweifel, Heinrich von Kleist ginge heutzutage locker als Propagandist und Kriegstreiber durch, was die jüngst aufgefundenen fünf Briefe abermals bestätigt haben: Er war offenbar begeisterter Augenzeuge einer Schlacht gegen Napoleon, er fieberte mit, wenn die österreichischen und preußischen Truppen aufmarschierten, er war schier krank vor Rachedurst. Kleist war ein Ultrapatriot, und wer den "Prinz von Homburg" inszeniert, dieses durch und durch preußische Drama über Befehl und Gehorsam, der muss sich dieser sperrigen Tatsache stellen.

Heikler Stoff

Jens-Daniel Herzog, der Intendant des Nürnberger Staatstheaters, wagte sich an der Oper Frankfurt gerade deshalb an den heiklen Stoff: "Es ist das Thema überhaupt. Kleist gehörte zu den preußischen Heeresreformern und er hat gesagt, wir müssen die Franzosen rauswerfen aus Deutschland, besiegen, aber mit den Mitteln, die die Franzosen in die Militärtechnik eingeführt haben. Das heißt, es geht nicht mehr um einen abgezirkelten Kabinettskrieg, sondern um den Volkssturm. Das wies natürlich voraus auf Joseph Goebbels. Er wollte den totalen Krieg. Das ist natürlich mit dem Satz 'In Staub mit allen Feinden Brandenburgs' gemeint."

Der Prinz von Homburg als Systemsprenger

Äußerst delikat, dass ausgerechnet Hans-Werner Henze das Drama 1960 vertonte, nach einer Text-Fassung von Ingeborg Bachmann. Beide waren nun wirklich unverdächtig, Preußenfans zu sein oder ein Faible für Militärgeschichte zu haben, ganz im Gegenteil. Den offen homosexuellen Henze interessierte wohl eher das Außenseiterdrama: Der Prinz von Homburg als "Systemsprenger". Jens-Daniel Herzog: "Es gibt zwei große Deutungslinien. Die eine ist die militaristisch-nationalistische, die natürlich in dem Stück angelegt ist. Es gibt den wunderbaren Ausspruch von Kaiser Wilhelm II., dass es ein 'tolles' Stück wäre, wenn nur die fatale Feigheitsszene nicht wäre. In dieser 'fatalen' Szene sieht der Prinz von Homburg sein eigenes Grab und bittet und fleht bei der Kurfürstin um sein Leben. Das ist natürlich die zentrale und moderne Ebene dieses Stücks, die über die Zeit hinausweist. Da hat man auch einen neuen Kleist gefunden, den Mann, dem auf Erden nicht zu helfen war, den Träumer, den Außenseiter, den Inkommensurablen."

Hypnotisch fesselnde Versuchsanordnung

Die Begeisterung für den Stoff, die Jens-Daniel Herzog anzuhören ist, vermittelt sich in seiner Inszenierung von der ersten bis zur letzten Minute. Er zeigte das Drama vom Prinzen und Kriegshelden, der durch eine Befehlsverweigerung einen Sieg ermöglicht und dafür hingerichtet werden soll, um die Disziplin zu wahren, als geradezu hypnotisch fesselnde Versuchsanordnung. Ausstatter Johannes Schütz hatte Bühne und Hinterbühne radikal leergeräumt, um Platz zu schaffen für ein Podium, das lautlos durch diese Düsternis rollte. Alle Mitwirkenden sitzen vor einer schier endlosen Wand, wenn sie gerade Pause haben.

Ganz und gar unhysterische Bilder

Diese Nüchternheit, diese demonstrative Aufstellung des Hofstaats erinnert an das epische Theater von Bertolt Brecht. Hier hätte auch ein Stück wie die "Maßnahme" spielen können, wo es um Disziplin und Strafe unter Kommunisten geht. Alle Solisten tragen quietschbunte Kostüme, was sie als Traumfiguren kenntlich macht. Ja, das ist kafkaesk, unwirklich, spukhaft, grotesk. Das im besten Sinne Irritierende an diesem Abend: Die Bilder waren ganz und gar unhysterisch, konzentriert, fast meditativ, die Musik jedoch hoch emotional, auch, weil der japanische Dirigent Takeshi Moriuchi mit selten zu erlebendem Furor zu Werke gingt. Da rasseln die Rührtrommeln und tosen die Blechbläser, diese typischen Militärinstrumente, aber der Prinz von Homburg scheint das alles nur mit Watte im Ohr und Liebe im Herzen wahrzunehmen. Eine großartige Deutung!

Mutige Auseinandersetzung mit einem Mythos

Unter den Solisten brillierten der slowenische Bariton Domen Križaj in der Titelpartie mit beklemmender Melancholie, der belgische Tenor Yves Saelens als eine Spur zu leutseliger Kurfürst von Brandenburg und Magdalena Hinterdobler als hoch emotionale Prinzessin Natalie von Oranien. Sie versucht beherzt, in die Speichen dieses militaristischen Räderwerks zu greifen, das ihr völlig fremd ist. Sonderapplaus gab es für Magnus Dietrich als unerschrockenem Freund Homburgs. Insgesamt eine kluge, zeitgemäße und mutige Auseinandersetzung mit diesem doppeldeutigen brandenburgischen Mythos – und das am Tag einer ähnlich aufwühlenden Landtagswahl!

Sendung: "Leporello" am 23. September 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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