BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik – "Die ersten Menschen" an der Oper Frankfurt Eva mit Küchenschürze

Der Sündenfall endet im Prepper-Keller: Komponist Rudi Stephan, der im Ersten Weltkrieg fiel, hinterließ eine Oper über die Ur-Familie der Menschheit mit Adam, Eva, Kain und Abel. Die Inszenierung von Tobias Kratzer hatte archaische Wucht, biblischen Tiefgang und sogar eine Prise Humor.

Szene aus "Die ersten Menschen" an der Oper Frankfurt (Inszenierung: Tobias Kratzer, Juli 2023) | Bildquelle: Oper Frankfurt, Matthias Baus

Bildquelle: Oper Frankfurt, Matthias Baus

Ja, im Paradies gab es ein aufblasbares Planschbecken und eine Kinderschaukel, einen offenen Kamin, einen Kombi vor der Haustür, einen Gartenzaun und eine Super-8-Kamera, aber viel ist nicht davon übriggeblieben: Die Erde wurde wüst und leer, und ein Geigerzähler signalisiert, sie ist wohl auch radioaktiv verseucht. Außer Ruinen und verkohlte Bäume hat der Sündenfall nichts stehen lassen. Adam und Eva hausen mit ihren Söhnen Kain und Abel im Keller, wo sie sich eingerichtet haben wie die Prepper: Massenweise Konserven, eine Wohnküche, ein Generator, Wachstumslampen für die Keimlinge und vor allem eine Fototapete, die zeigt, wie es mal war, nämlich sonnig, frühlingshaft und heiter. Doch der liebe Gott hat es bekanntlich anders gewollt, wie aus der Bibel bekannt.

Ziemlich mutig: die Bibel umschreiben

Ziemlich mutig, bei Adam und Eva anzufangen, und noch mutiger, die Bibel umzuschreiben: Beim Komponisten Rudi Stephan und Textdichter Otto Borngräber geht's nämlich um nichts weniger als sexuellen Notstand. Drei Männer und eine Frau, das wird natürlich brenzlig. Alle wollen Eva, die Erbsünderin, die Urmutter, die Träumerin, die Verdammte. Adam schlief mit ihr, Abel schläft mit ihr und Kain würde gern mit ihr schlafen. Das Eifersuchtsdrama nimmt seinen Lauf, der Brudermord ist unausweichlich, Kain entmannt sich und stirbt jämmerlich. Übrig bleibt nur die Hoffnung auf bessere Tage und auf eine Menschheit, die aus ihren Fehler lernt. Das alles zu vertonen und zu bebildern ist eigentlich eine Herausforderung, an der Künstler nur scheitern können.

Es braust und tost in Rudi Stephans Partitur

Szene aus "Die ersten Menschen" an der Oper Frankfurt (Inszenierung: Tobias Kratzer, Juli 2023) | Bildquelle: Oper Frankfurt, Matthias Baus Szene aus "Die ersten Menschen" in Frankfurt. | Bildquelle: Oper Frankfurt, Matthias Baus Aber immerhin, Rudi Stephan gelingt ein Zweiakter von expressionistischer Wucht, klanglich irgendwo zwischen Richard Strauss, dem weniger bekannten Franz Schreker und dem späten Richard Wagner. Es braust und tost also gewaltig, als ob sich die Erzengel nach dem Biss in den fatalen Apfel immer noch nicht beruhigt haben. Rudi Stephan übrigens erlebte die Uraufführung 1920 nicht, er starb mit nicht mal dreißig Jahren an der Front des Ersten Weltkriegs. Erstaunlich, was Regisseur Tobias Kratzer, der ab 2025 Intendant der Hamburger Staatsoper wird, und sein Ausstatter Rainer Sellmaier an der Oper Frankfurt aus diesem Stoff machten, nämlich eine Parabel über die letzten Menschen hienieden.

Tragisch-komisch ist die Inszenierung in Frankfurt

Sie trauten sich sogar, eine Prise Humor in diese Post-Eden-Story zu streuen: So ist das Kleidchen, das Adam für Eva knüpft, nichts anderes als eine Küchenschürze. Willkommen am Herd! Vor allem vor der Pause erscheint der Familienzoff zwischen Mikrowelle und Sitzbank tragisch-komisch, aber nie albern. Nach der Pause, zwischen den Trümmern der ausgebrannten Welt, in denen ein echter Wolfshund streunt, entfaltet Kratzers Inszenierung einen suggestiven Sog, der jederzeit mit dem Toben der "Götterdämmerungs"-Musik und dem alttestamentarischen Treiben mithält, was eine wirklich große Kunst ist.

Anspruchsvolle Partien, großartige Künstler:innen

Beklemmend, wie sich Kain aus dem Handschuhfach des Autowracks Pornohefte angelt, um sich abzureagieren, gruselig, wie sich Abel eine Art Voodoo-Altar mit Vogelfedern zimmert, aufwühlend, wie die beiden Brüder zu den Sternen sehen und von da oben keine Antwort auf ihre Fragen bekommen. Großartig, wie die vier Mitwirkenden ihre hoch anspruchsvollen Rollen meistern, die sie allesamt zum ersten Mal singen: Andreas Bauer Kanabas als Adam, Ambur Braid als Eva, Ian MacNeil als Kain und Ian Koziara als Abel. Sie müssen nicht nur ganz großformatig gegen das Orchester unter Leitung von Sebastian Weigle ankommen, sondern auch noch absolut glaubwürdig die wohl bekanntesten biblischen Gestalten verkörpern, und zwar ohne der Versuchung zu erliegen, das Pathos von Monumentalfilmen wie den "Zehn Geboten" zu imitieren.

Orchester in Cinemascope

Das funktionierte fesselnd, vergleichbar mit einem James-Dean-Drama wie "Jenseits von Eden" oder "Denn sie wissen nicht, was sie tun", Klassiker, die bis heute frisch geblieben sind. Sebastian Weigle ist Spezialist für derartige Schlachtengemälde und lässt das Orchester in Cinemascope aufbranden, dass es eine Freude ist. Mancher Zuschauer übrigens sah sich von so viel biblischem Furor überfordert: Nicht wenige gingen in der Pause, mancher wandte den Blick ab beim blutigen Opfern und Erschlagen. Gleichwohl viel Jubel und Diskussionsstoff: Das Paradies, womöglich ist es ja nur einen Gedankenblitz entfernt.

Sendung: "Allegro" am 3. Juli 2023 um 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Montag, 03.Juli, 18:26 Uhr

Siegfried (keine Wagneranspielung )

t

Mutig wie oft ,Oper ist Theater ,keine Volksmusikshow mit anderen Mitteln.

Montag, 03.Juli, 09:00 Uhr

Der zweite Mensch

Und schon wieder nichts über die musikalische Seite des Abends, außer der Aussage, dass die Sänger ihre Parteien "meistern". Auch sonst wieder nichts zur musikalischen Seite des Abends. Was soll das? Es ist ja schön, dass der BR Herrn Jungbluth soviele Opernreisen ermöglicht, aber das kann doch nicht allen Ernstes der Anspruch von BR Klassik sein?

Mehr zum Thema

Neu bei BR-KLASSIK

    AV-Player