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Kritik – "Il trittico" in Hamburg Proteste an der Staatsoper

Proteste in Hamburg: Manche Zuschauerinnen und Zuschauer fühlten sich gestört durch das, was Regisseur Axel Ranisch aus Puccinis "Il trittico" gemacht hat. Die Folge: Sie störten selbst. Unser Kritiker findet das unmöglich. Zur Inszenierung meint er dagegen: Herrlich war's!

Il Trittico | Bildquelle: Brinkhoff/Mögenburg

Bildquelle: Brinkhoff/Mögenburg

Da war was los in der Staatsoper: "Aufhören!", "Wir sind in der Oper!" und "Das ist ja wie eine Generalprobe!". Mit solchen Zwischenrufen haben einige Zuschauerinnen und Zuschauer die Puccini-Premiere von "Il trittico" in der Hamburgischen Staatsoper gestört. An dieser Inszenierung scheiden sich wirklich die Geister. Eigentlich haben die drei Mini-Opern "Gianni Schicchi", "Il tabarro" und "Suor Angelica" inhaltlich nichts miteinander zu tun. Puccini wollte einfach drei Genres und Stimmungen an einem Abend auf die Bühne bringen. Der Regisseur Axel Ranisch hat jetzt aber einfach eine Rahmenhandlung erfunden, um die drei komplett unterschiedlichen Stücke miteinander zu verbinden.

Axel Ranisch erfindet eine Rahmenhandlung

Il trittico | Bildquelle: Brinkhoff/Mögenburg Szene aus "Il trittico" an der Staatsoper Hamburg | Bildquelle: Brinkhoff/Mögenburg Dabei hat er eine clevere Idee: Die drei Opern werden zu Stationen aus dem Leben der fiktiven Schauspielerin Chiara di Tanti. Mit Hilfe der Opern erzählt Regisseur Ranisch von ihrem Aufstieg, ihrem Absturz und ihrem Tod. Die drei Stücke werden zu Filmsets. Aus der Erbschleicher-Komödie "Gianni Schicchi" macht Axel Ranisch zum Beispiel ihren ersten Fernsehauftritt – eine Sitcom mit einem Vorspann wie aus dem Fernsehen, in dem die E-Gitarre schon mal die Hit-Arie "O mio babbino caro" andudelt. Die zweite Oper "Il tabarro" wird zum tiefschürfenden Arthouse-Film, zum Höhepunkt von Chiaras Karriere.

Der Clou: Als Rahmenhandlung zeigt der Regisseur ein Video mit einer Fake-Doku. Angebliche Kollegen und Weggefährten erinnern sich an Chiara di Tanti. Dafür hat Axel Ranisch echte Prominente aus der Filmwelt gewonnen. Minutenlang erzählen Devid Striesow, Gustav Peter Wöhler, Tom Tykwer, Gayle Tufts und Rosa von Praunheim von der Arbeit mit der erfundenen Schauspielerin. Die Idee ist gut, aber schlecht dosiert. Die Einspieler sind zu lang. Viel zu lang. Die Liebe zum Einfall war offenbar zu groß, Axel Ranischs Telefonbuch mit den vielen Prominenten zu verlockend.

Teile des Publikums stören den Opernabend

Einige im Publikum verlieren die Geduld. Die Zwischenrufe gehen los. Als es nach der Pause wieder nicht mit Musik, sondern mit der Pseudo-Doku losgeht, hört man Aufstöhnen, Gelächter und Häme im Publikum. Kurz fühlt es sich an, als stünde der Abend auf der Kippe. Das unappetitliche Mitteilungsbedürfnis einiger weniger gefährdet so den ganzen Opernabend. Die Zwischenrufer halten ihre eigene Meinung tatsächlich für so maßgeblich, dass sie sich erlauben, alle anderen zu stören. Wann hat dieses narzisstische Wüten eigentlich Einzug in die Opernwelt gehalten? Einfach nicht zu klatschen oder still zu gehen, wenn einem der Abend missfällt, scheint heutzutage leider keine Option mehr zu sein.

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Auch die dritte Oper aus dem Puccini-Triptychon, das Nonnen-Drama "Suor Angelica", wird bei Axel Ranisch zum Filmset. Hier verschmilzt die Schauspielerin Chiara mit der Rolle. Wie die Nonne im Stück leidet sie unter dem Tod ihres Sohnes. Sie entgleitet in einen Wahn und nimmt Gift. Was vorher nur freche Regie-Spielerei war, erfährt in diesem Moment eine erschütternde, zutiefst einleuchtende Wende und einen ungeheuren Sog. An den drei Bühnen von Falko Herold, der detailverliebten Sitcom-Wohnung, dem Filmset auf dem Wasser und dem Friedhof in Nebelschwaden kann man sich nicht sattsehen. Am Ende stimmt alles.

Am Ende hebt die Inszenierung richtig ab!

Zum Finale nehmen die Inszenierung und die Musik noch einmal dermaßen an Fahrt auf, dass der Abend regelrecht abhebt – mit Puccinis himmlischen Nonnengesängen unter den Flügeln. Wen Elena Gusevas Sopran hier nicht rührt, der hat wahrscheinlich kein Herz. Das Ensemble ist grandios. Roberto Frontali, Katja Pieweck, Hellen Kwon und Narea Son werden zurecht bejubelt – wie auch die Chöre der Staatsoper. Dirigent Giampaolo Bisanti und das Philharmonische Staatsorchester bringen Puccinis Musik, seinen Humor, seine Farben und seinen Kitsch so richtig schön zum Funkeln. Herrlich war’s! Am Ende gab es viele Buh-Rufe für die Regie, allerdings auch genau so viel Begeisterung und Applaus, Jubel aber vor allem für die Sängerinnen und Sänger und das Staatsorchester.

Sendung: "Allegro" am 16. März 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (9)

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Dienstag, 21.März, 10:06 Uhr

Daniel

Aktion und reaktion

Eine m. E. plausible Interpretation ist, dass das "narzisstische Wüten" im Publikum als logische Konsequenz des narzisstischen Wütens auf Seiten der Regisseurinnen und Regisseuren auf der Bühne Einzug gehalten hat. Das Sprechtheater ist fast überall zugrunde gerichtet, das Publikum bleibt aus. Die Oper hat hier ein paar Jahrzehnte Verspätung und die immerhin Musik als Schutzschild. Die Entwicklung ist keine gute.

Montag, 20.März, 12:14 Uhr

Helena Berg

Bravo für das mutige Publikum, Buh für den Kritike

Ich würde mir viel öfter vom Publikum wünschen, seine Meinung laut kund zu tun: so viel Mist, wie in den letzten Jahren auf die Bühne kommt! Wenn Regisseure anfangen, perfekt ausgewogene Opern mit mäßigen Dialogen oder Rap-Einlagen "bearbeiten" zu müssen, hat das Publikum Recht, seinen Unmut mitzuteilen. Und ein Kritiker wie Herr Kaiser hat NICHT das Recht, das zu kritisieren. Das ist unsympathisch und arrogant!!!

Sonntag, 19.März, 17:50 Uhr

Eva

Original

Opera-azzione.
Nein, nein, da haben Sie mich falsch verstanden. Eine moderne Inszenierung ist in Ordnung, wenn sie handwerklich stimmig ist. Was ich ablehne, sind Regisseure, die den Inhalt verändern oder banale Texte dazu dichten wie im Freischütz. Das stört einfach nur! Das Original bietet alles, was ein Musikbegeisterter begehrt, da braucht es keine Dilettanten, die meinen, sie müßten das Stück umschreiben.

Sonntag, 19.März, 16:53 Uhr

opera-azzione

original?

@Eva ... das stimmt das Publikum darf beides bekunden: Missfallen und Begeisterung. Aber ich befürchte die Forderung nach dem "Original" als Recht des Zuschauenden ist nicht mehr einzulösen in den meisten Fällen. Werktreue ist ein weites Feld, die Partituren sind lebendig, die Texte zum Teil einer modischen Aktualität unterworfen gewesen, die wir nicht mehr recht nachvollziehen können und auch ein "Freischütz" wurde damals als modernes Stück an Vorgängerstücken gemessen und ggf. für zu modern abgelehnt. Sänger und Sängerinnen klingen nicht mehr wie damals und auch die Orchester nicht. Aber das Wichtigste: Theater ist eine Momentaufnahme und muss lebendig bleiben und kann so alte Stücke neu aufzeigen, und eine ungeahnte Aktualität beschwören. Es ist schade, wenn sie dies als Qual empfinden und nicht als eine Möglichkeit auf Altbekanntes anders zu schauen. Ein klassisches Essensgericht schmeckt Ihnen doch sicher auch immer unterschiedlich je nach Koch und Stimmung?

Sonntag, 19.März, 12:08 Uhr

schreier

trittico

Und hier ein großes, lauter Buh für einen unfähigen Musikkritiker, der es fertig bekommt nichts über die musikalische Seite der Aufführung zu sagen. Da schrei ich doch gleich ganz laut zu ihm: Aaaaauuuuffffhhhhöööreeeenn

Freitag, 17.März, 21:43 Uhr

Ragnar Danneskjoeld

Begeisterung und Missfallen...

...darf man beides ausdrücken - aber bitte nicht während der Aufführung selber. Ich würde nämlich gerne genauer hinsehen und -hören, um mir meine Meinung zu bilden und mich nicht von besserwissenden Nebensitzern belehren lassen, dass das jetzt alles irgendwie ganz schlecht sei. Buhen und/oder Klatschen geht zum Akt- oder Vorstellungsende zu Genüge. Und keine Sorge - von beidem mache ich Gebrauch.

Freitag, 17.März, 21:20 Uhr

Hamburger

Ach so, ...

... ich zahle über 100 Euro für die Karte, aber soll "still gehen", wenn die Inszenierung nichts taugt? Es ist höchste Zeit, daß sich das Publikum lautstark zu Wort meldet, denn die Hamburger Oper wird unter ihrer aktuellen Intendanz zugrunde gerichtet. Il trittico ist ja wahrlich nicht er erste Flop...

Freitag, 17.März, 18:16 Uhr

Besucher

Was ist denn das für eine arrogante Meinung? Wieso darf man Begeisterung kund tun, Missfallen aber nicht? Wieso sollte man, wenn man vielleicht sogar viel Geld gezahlt hat, gehen, wenn es einem nicht gefällt?
Über die musikalische Leistung selber hat der Kritiker auch nicht viel zu sagen. Schade.

Freitag, 17.März, 17:15 Uhr

Eva

Verständlich, daß...

...sich die Zuschauer ärgern und ihren Frust mitteilen. Die zusätzlichen, unnötigen Regieeinfälle nehmen in letzter Zeit massiv zu. In München z.B. die falschen Texte beim Freischütz. Der Operngast hat das Recht auf das Original und soll nicht fremden Texten, Videos oder Aktionen gequält werden.

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