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Kritik - "Il trovatore" in Stuttgart Blutspuren an Erinnerungsfetzen

Giuseppe Verdis Schauergeschichte über Eifersucht zwischen Brüdern gilt als wenig plausibel und wirr, was Regisseur Paul-Georg Dittrich sogar noch auf die Spitze treibt: Er zeigt die Oper "Il trovatore" am Staatstheater Stuttgart als chaotischen Bilderreigen, bei dem es schwerfällt, den Überblick zu behalten. Das Publikum reagiert geteilt.

Inszenierung "Il trovatore" in Stuttgart, 2024 | Bildquelle: Matthias Baus

Bildquelle: Matthias Baus

Das wird keiner von sich behaupten können: dass seine Träume streng chronologisch ablaufen oder auch nur einigermaßen übersichtlich sind. Mit den Erinnerungen ist es ja ähnlich, die haben auch keinen Anfang und kein Ende, sondern purzeln munter durcheinander, je nachdem, welches Erlebnis gerade wachgerufen wurde.

"Il trovatore" in Stuttgart als chaotischer Bilderreigen

Insofern ist es durchaus plausibel, wenn Regisseur Paul-Georg Dittrich Verdis "Il trovatore" am Staatstheater Stuttgart konsequent als völlig unzusammenhängenden, ja chaotischen Bilderreigen zeigt, denn das Werk steht ja sowieso im Ruf, eine völlig absurde Handlung zu haben. Warum sollte es dann nicht erst recht durcheinander gerüttelt und als wild bewegtes Durcheinander von Erinnerungsfetzen präsentiert werden?

Immer wieder Zitate des Dichters Heiner Müller

Inszenierung "Il trovatore" in Stuttgart, 2024 | Bildquelle: Matthias Baus Szene aus "Il trovatore" am Staatstheater Stuttgart. | Bildquelle: Matthias Baus In diesem Fall wird der ziemlich abgefeimte und brutale Graf Luna seine Untaten nicht mehr los, wird verfolgt von grausamen Bildern, von Kriegsszenen, Hinrichtungen, Machtkämpfen, Duellen, unerfüllter Liebe. Das fügt sich nicht zu einer nacherzählbaren Handlung, von einem Eifersuchtsdrama zwischen zwei Brüdern mal abgesehen, und ist ziemlich anstrengend zu verfolgen, zumal die einzelnen Szenen kurz sind und dazwischen auch noch Zitate des unvergessenen Dichters Heiner Müller eingespielt werden, der aufgrund seiner Erfahrungen in zwei deutschen Diktaturen wie kaum ein anderer über Tod und Zerfall schreiben konnte. Eine einzige Rutschbahn ins Unterbewusstsein, wo auf den hier vorgestellten Graf Luna ein durchweg blutiges Trümmerfeld wartet.

Protestrufe gegen Inszenierung von Paul-Georg Dittrich

Verdi hat zu diesem düsteren Schauermärchen ausgesprochen süffige Arien geschrieben, was den Abend bisweilen befremdlich paradox erscheinen lässt, als ob die Musik irgendwo von weit weg zufällig her weht und mit dem, was zu sehen ist, gar nichts zu tun hat. Und so gab es vernehmliche Protestrufe gegen die mutige, aber auch fahrige Regie mit ihren absichtlich konfusen Bildern.

Kinderspielplatz und Cowboys wecken Assoziationen

Bühnenbildner Christof Hetzer hatte einen grauschwarzen Tunnel entworfen, in dem mal ein rostiger Kinderspielplatz zu sehen ist, mal mumienhafte Soldaten aller Jahrhunderte herumtorkeln, mal Cowboys gegeneinander antreten, mal Akrobaten zwischen Schrottmöbeln turnen, mal traurige Clowns in einem verwelkten Maisfeld Melancholie verbreiten. Damit eröffnen sich jede Menge Assoziationsräume, in denen die Gedanken munter spazieren gehen können. Der eine oder andere wird diese Verdi-Deutung allerdings auch als ärgerliche Parodie begriffen haben.

Großartig: Ernesto Petti als Graf Luna

Musikalisch blieben allerdings keine Wünsche offen: Es ist immer wieder erstaunlich, welch hoch motivierte Sängerschauspieler die Stuttgarter Staatsoper aufbieten kann, in diesem Fall allen voran Ernesto Petti als von Albträumen geplagter Graf Luna, aber auch Selene Zanetti als umschwärmte Leonora, Kristina Stanek als rachedurstige Azucena und Tenor Atalla Ayan als vom Schicksal gebeutelter Manrico.

Dirigent Antonello Manacorda gibt forsches Tempo vor

Dirigent Antonello Manacorda sorgte für den nötigen heißen Atem und das forsche Tempo bei diesem im doppelten Sinne "feurigen" Verdi. "Il trovatore" verträgt auch mal grellere Orchesterfarben, wie die Bilder für eine Jahrmarkts-Moritat, die ja die Laufkundschaft auch gruseln und emotional aufwühlen sollen. Insgesamt ein technisch aufwändiger "Trovatore", weniger zum Mitfiebern und Mitdenken als zum Albträumen und Assoziationsketten schmieden. Es gibt Leute, die nennen das typisch romantisch.

Sendung: "Allegro" am 10. Juni 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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