Er ist ausgebildeter Geiger, war unter Claudio Abbado Konzertmeister und ist mittlerweile selbst ein gefragter Dirigent: In dieser Woche debütiert Antonello Manacorda, 1970 in Turin geboren, beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. An der Bayerischen Staatsoper hat er Glucks "Alceste" geleitet, nun stellt sich Manacorda als Schubert-Dirigent vor. Außerdem begleitet er den Pianisten Kirill Gerstein, der mit den beiden Klavierkonzerten von Maurice Ravel auf einen Streich seine Residenz beim BRSO beschließt.
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BR-KLASSIK: Herr Manacorda, Sie geben ihr Debüt beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Wie gehen Sie vor, wenn Sie zu einem für Sie neuen Orchester kommen – haben Sie da ein Rezept?
Antonello Manacorda: Es gibt kein Rezept, es ist immer spannend, wenn man neue, in diesem Fall sogar so tolle Musiker trifft. Und es ist relativ schwer für den Dirigenten – denn man bereitet sich natürlich vor, lernt die Partituren Monate vorher und überlegt sich genau, wie man was macht. Aber wenn man dann Musiker vor sich hat, die man nicht kennt, ist es schwer, diese Überlegungen umzusetzen und Entscheidungen zu treffen. Natürlich kannte ich das Orchester gut, habe es tausendmal gehört, im Radio, im Fernsehen, live und so weiter. Aber trotzdem weiß man nicht, wie man aufeinander reagiert. Bei der ersten Probe war diese Entdeckungstour für mich extrem spannend. Das ist so wie zwei Tiere, die sich zum ersten Mal treffen – und auf Anhieb verstehen müssen.
BR-KLASSIK: Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Programm? Zwei Schubert-Symphonien rahmen die beiden Klavierkonzerte von Maurice Ravel ein ...
Antonello Manacorda: Die zwei Klavierkonzerte von Ravel waren von Anfang an geplant, weil Kirill "Artist in Residence" ist und beide Konzerte spielen wollte. Und dann fragte er mich, ob ich einverstanden wäre, das zu dirigieren. Ich finde das eine super spannende Sache, man muss erstmal einen Pianisten finden, der beide Ravel-Konzerte spielen kann – und noch dazu an einem Abend! Und dann habe ich gedacht: Ich habe Schubert im Herz, in der Seele, in meinem Körper, in meinem Kopf. Die acht Schubert-Symphonien sind mein erstes großes Aufnahmeprojekt mit meinem Potsdamer Orchester gewesen. Ich habe lange daran gearbeitet und viel Zeit mit Schubert verbracht, dessen Musik mir immer heilig war. Also warum nicht zwei relativ unbekannte Schubert-Symphonien dazunehmen. Außerdem passt Schubert mit allem gut zusammen – mit Ravel, Schostakowitsch oder Kurtág. Es ist interessant, wie zeitlos dieser Komponist ist. Und deswegen dieser Rahmen. Wenn schon zweimal Ravel, dann auch zweimal Schubert.
Am 4. und 5. Mai debütiert Antonello Manacorda beim BRSO im Münchner Herkulessaal. Auf dem Programm steht Musik von Ravel und Schubert. Am Freitag überträgt BR-KLASSIK das Konzert live ab 20:05 Uhr.
BR-KLASSIK: Sie gelten als Exponent des historisch informierten Musizierens. Wie kam das, von wem haben Sie das gelernt, wer hat sie da inspiriert?
Antonello Manacorda: Ich bin es nicht [lacht]. Ich bin ein normaler moderner Geiger, der aber irgendwann in seinem Leben angefangen hat, sich für die verschiedenen Spielweisen zu interessieren, die es gibt. Bei historischer Aufführungspraxis denkt man natürlich an die Barockzeit und die Wiener Klassik – aber das ist überhaupt nicht meine Spezialität. Ich finde es nur extrem wichtig zu verstehen, wie es damals vielleicht geklungen hat. Also wie Mozart oder Beethoven geklungen haben, aber genauso wie Ravel, Schostakowitsch oder auch Debussy klangen. Ich sage es immer wieder: Ich bin kein historisch orientierter Dirigent. Ich bin einfach ein Dirigent, der versucht, die Sprache jedes Komponisten zu lernen, und damit unterschiedliche Klänge erzeugen möchte.
Ein Abend, zwei Klavierkonzerte, zweimal Ravel: Es ist ein Kraftakt, den Kirill Gerstein dieser Tage mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bewältigt. Wie man das macht - darüber haben wir mit ihm gesprochen.
BR-KLASSIK: Sie haben – wie erwähnt – alle Schubert-Symphonien mit Ihrem Orchester, der Kammerakademie Potsdam, auf CD eingespielt, wo sie seit 2010 Künstlerischer Leiter sind. Lässt sich denn diese Art von Interpretationsstil auch mit einem größeren Kollektiv realisieren wie dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks?
Antonello Manacorda: Ja, absolut. Gerade die Musikerinnen und Musiker hier in München sind zu allem bereit. Sie haben eine unglaubliche Erfahrung, etwa mit Dirigenten wie John Eliot Gardiner, sie sind so vielseitig und so flexibel, dass es wirklich ein Genuss ist, mit ihnen zu arbeiten.
BR-KLASSIK: Wie lässt sich das praktisch umsetzen?
Antonello Manacorda: Es ist alles eine Frage der Sprache und der Artikulation. Ich versuche eher, Schubert zu "sprechen" als zu spielen. Und das versuche ich auch den Musikern beizubringen. Ich war selber lange genug Orchestermusiker, war viele Jahre Konzertmeister. Ich kenne mich natürlich mit Bogenstrichen aus und habe, denke ich, auch ausreichend Kenntnis von den Bläsern. Es ist wirklich eine Frage der Artikulation und der Sprache. Es ist eine Art "Aussprache-Probe", was wir machen.
BR-KLASSIK: Zu Schluss des Programms dirigieren Sie Schuberts Sechste Symphonie in C-Dur D 589, die im Unterschied zur „Großen C-Dur-Symphonie“ D 944 immer die „Kleine C-Dur-Symphonie“ genannt wird. Dabei ist sie eigentlich keineswegs klein im Sinne von minderwertig, oder?
Antonello Manacorda: Absolut nicht, auch nicht im Bezug auf die vielzitierte "himmlische Länge" der "Großen C-Dur-Symphonie" – denn schon in seiner "Kleinen C-Dur-Symphonie" experimentiert er in minimalistischer Form mit unzähligen Wiederholungen. Extrem interessant ist diese Symphonie, weil sie auch stark von der Rossini-Ära im Wien der damaligen Zeit beeinflusst ist – er versucht eben auch diese Spritzigkeit und diese theatralische Qualität in seine Musik einzuarbeiten und trotzdem mit seiner unglaublichen Poesie in Verbindung zu bringen. Ich sage immer: Bei Schubert ist das Zentrum der Erde verbunden mit dem, was auch immer da oben ist … Also ein sehr interessantes Stück, das zu selten aufgeführt wird und ganz sicher nicht klein ist.
BR-KLASSIK: Sie selber sind ja ein Theatermensch?
Antonello Manacorda: Auch – ich halte das so so fifty-fifty. Ich bin oft im Graben und dirigiere auch sehr gerne Oper. Aber ich mag es, wenn Sie sagen, dass ich Theatermensch bin, denn für mich ist Oper wirklich Theater. Mich interessiert eben auch die Bühne, die Regie, das Bühnenbild, das Spiel auf der Bühne. Und ich versuche eigentlich immer, mit meinen Musikern Teil der Inszenierung zu sein – wir im Graben genauso wie die Menschen auf der Bühne.
BR-KLASSIK: Nur, weil Sie gerade sagten, dass bei Schubert vieles auch theatralisch ist …
Antonello Manacorda: Absolut. Es ist vieles theatralisch bei ihm, auch weil in seiner Musik Gesang eine so große Rolle spielt. Seine Opern sind zwar nicht so erfolgreich gewesen, aber seine Mini-Opern, also seine Lieder, sind oft dramatische Szenen – man braucht nur an den "Erlkönig" zu denken. Schubert hat wirklich eine Art Musik geschrieben, die ich als Übersetzung des Lebens sehe oder als Versuch, das Leben zu beschreiben. Und das kann natürlich auch theatralisch sein.
Kommentare (1)
Freitag, 05.Mai, 10:36 Uhr
Beate Phillip
Bravo
Dank an das Symphonieorchester - mit Manacorda haben sie ein wirkliches Talent eingeladen! Mit seinen Schubert und Mendelssohn Interpretationen setzt er (hohe) Maßstäbe.
Für meine Begriffe ist er DER STAR der Zukunft.