Sie gilt als beliebteste Produktion auf dem Hügel: Tobias Kratzers Tannhäuser. 2019 war Premiere. Maria Ossowski hat dieses Roadmovie jedes Jahr gesehen und amüsiert sich über aktuelle Veränderungen.
Bildquelle: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
"Frei im Wollen. Frei im Thun. Frei im Genießen." Auch im sechsten Jahr ist die Story zwischen Venushügel und Wartburg, zwischen Anarcho-Wohnwagen, Wagnerweihestätte und Pausensession am Teich frech, witzig, tiefsinnig und, dem Werkstattgebot gemäß, topaktuell verändert.
Auch Claudia Roth bekommt in Bayreuth ihr Fett weg. | Bildquelle: BackstageClassical
Venus landet im Citroënkastenwagen mit ihren Jungs, dem kleinen Oskar, dem Dragartisten Le Gateau Chocolat und Tannhäuser an einer urigen Hexenhütte, sie machen Pause, futtern geklaute Hamburger und entdecken ein kleines gelbes Veranstaltungs-Plakat, das "Dr. Claudias Kasperletheater" ankündigt. Hänsel und Gretel". Kulturpolitischer Spott zum Vorschlag der Kulturstaatsministerin, die Wagnerstätte Bayreuth für Komponisten wie Humperdinck zu öffnen.
Klaus Florian Vogt singt im zweiten Jahr jene Rolle, die zuvor Stephen Gould unvergessen interpretiert hatte. Die allgegenwärtige Videokamera zeigt im Wohnwagen den kleinen Blechtrommel-Oscar mit Tränen in den Augen. Er schenkt sich einen Schnaps ein und blickt wehmütig auf das Foto des früh verstorbenen amerikanischen Sängers. Spontaner Applaus brandet auf. Das Bayreuther Publikum vergisst seine Lieblinge nicht.
Star dieses Abends ist neben Vogts Tannhäuser Elisabeth Teige mit ihrem unendlich lyrischen, warmen und doch herrlich kraftvollen Sopran. Ihre Elisabeth ist rein, diskret und depressiv, im Gegensatz zum ungezogenen Girlie Venus. Das Publikum liebt auch die Bayreuthdebütantin Irene Roberts, sie spielt sinnlich und verwegen, ihr Vibrato allerdings war für manche Ohren grenzwertig.
Der Supergag des Abends funktioniert auch in diesem Jahr: der Inspizient telefoniert mit Katharina Wagner, "Achtung, wir haben hier betriebsfremde Personen im Festspielhaus", die Chefin ruft die Polizei, die rast mit Blaulicht den Hügel hoch, das Publikum ist dank Videoüberwachung dabei, und schließlich stürmen die Polizisten die Bühne. Lacher garantiert. Tränen hingegen werden verdrückt, wenn Markus Eiche als Wolfram im düsteren dritten Aufzug den Abendstern hinreißend anbetet.
In einer Art Second Screen begleitet die Kamera das Treiben hinter der Bühne auch, nachdem die Roadmovietruppe das Festspielhaus geentert und den Gang entdeckt hat mit den Fotos der Orchesterleiter. Das Schild "Dirigentenhalle" verändert Chocolat in "Dirigent*innenhalle", keineswegs nur als Gag zum modernen Gendern, denn Nathalie Stutzmann dirigiert feinfühlig und ausdrucksstark, dynamisch und sensibel.
Das Publikum feiert sie frenetisch, ebenso den Chor, das Ensemble und die Regie. Wenige Buhrufe der Hardcorekonservativen gegen Kratzer gehen unter. Standing Ovations, viele Vorhänge, Tannhäuser wäre auch in den kommenden Jahren ein sicherer Erfolg der Bayreuther Festspiele. Dies ist ein Wink mit dem Zaunpfahl. "Frei im Thun". Lasst Regeln sausen und das Publikum weiterhin genießen.
Sendung: "Piazza" am 27. Juli ab 9:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (8)
Mittwoch, 31.Juli, 06:13 Uhr
Katharina Müller
Tannhäuser
Eine Neuinszenierung, dem Foto nach zu urteilen.
Wem es gefällt.
Ich mag so etwas nicht.
Dienstag, 30.Juli, 17:44 Uhr
Hendrik Leßmann
Tannhäuser
Es war ein unvergesslicher Abend.
Sonntag, 28.Juli, 22:20 Uhr
Sebastian Fornpost
Dr. Claudias Kasperletheater
"Kulturpolitischer Spott zum Vorschlag der Kulturstaatsministerin, die Wagnerstätte Bayreuth für Komponisten wie Humperdinck zu öffnen. "
Ach was - das Grimm'sche Märchen ist doch viel realitätsnäher als der ganze Nibelungenkram. Hier würde der Werkstattgedanke ein viel breiteres Betätigungsfeld habe.
Sonntag, 28.Juli, 09:14 Uhr
Robert
Wiederaufnahmen Bayreuth
Es wurde auf der diesjährigen Pressekonferenz ja wohl angekündigt, dass es mehr Neuproduktionen und weniger Wiederaufnahmen geben soll. Was auch bedeuten würde, dass Produktionen nur noch zwei oder drei Spielzeiten lang zu sehen sind, statt wie ansonsten durchschnittlich fünf. Prinzipiell finde ich den Ansatz gut, mehr Neuproduktionen zu machen, da man daurch auch unbeliebte und missglückte Produktionen schneller wieder austauschen kann. Ich bin jedoch streng dagegen, dieses Prinzip auf alle Produktionen anzuwenden. Wenn das Publikum (völlig zu recht) den Kratzer-Tannhäuser liebt und den Schwarz-Ring nicht, dann sollten diese Produktionen auch entsprechend häufiger oder weniger gespielt werden. Das wäre auch ein wirklich demokratisch-wagnerianischer Ansatz: "so lasset das Volk auch Richter sein".
Samstag, 27.Juli, 22:20 Uhr
Cornelia Schulz
Kritik Bayreuther Festspiele
Richard Wagner würde sich über das Bühnenbild und die Kostüme der Inszenierung von Tristan und Isolde im Grabe herumdrehen.
Einfach beschämend und es ist nachvollziehbar,dass die Prominenz,wie z.B.das Ehepaar Merkel/Sauer fernbleiben.
Samstag, 27.Juli, 18:40 Uhr
Konrad Schemer
Tannhäuser
Ich bin nicht unbedingt ein Freund des sogenannten Regietheaters, ich hatte auch schon Kratzer-Produktionen, die ich in der Pause verließ, aber dieser Tannhäuser ist in der Tat ein genialer Wurf. Ich freue mich schon darauf, in heuer zum dritten Mal zu sehen.
Samstag, 27.Juli, 12:13 Uhr
Barboncino
Roadmovie
Wer die Festspiele seit den fünfziger Jahren am Radio und in der " geheiligten" Halle erlebt hat, fragt sich allen Ernstes : Wo soll das noch enden ? Jedoch : De gustibus non est disputandum, zumindest solange die Kasse stimmt.
Samstag, 27.Juli, 11:46 Uhr
Marianne
Wiederaufnahme 2026
Danke für den humorvollen Kommentar. Was eine Wiederaufnahme betrifft, so wissen andere (z.B. „Klassik begeistert“) mehr. Zum Jubiläumsjahr soll Kratzers Tannhäuser (und wohl auch Tscherniakovs Holländer) nochmals wiederkommen.