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Kritik – "Tristan und Isolde" bei den Bayreuther Festspielen Tristan im Trödelladen

Schon wieder ein neuer "Tristan" in Bayreuth: Nach nur zwei Jahren ersetzt Festspielchefin Katharina Wagner die überzeugende Inszenierung von Roland Schwab durch eine Neuproduktion. Ob sich der isländische Regisseur Thor Arnarsson mit seiner Lesart dagegen behaupten kann? Am Donnerstag wurden damit die Bayreuther Festspiele eröffnet.

Manches Zeug wird man einfach nicht los. Man stellt’s in den Keller. Da staubt es ein. Und wenn man doch mal mit schlechtem Gewissen drin rumkruschtelt, kommen sofort Erinnerungen hoch, gute und schlechte. In Rumpelkammern sedimentiert sich ein Leben. Der isländische Regisseur Thor Arnarsson stellt die Bühne des neuen Bayreuther "Tristan" voll wie einen seit Jahrzehnten unaufgeräumten Speicher.

DIE SEELE: EIN ALTWARENLADEN

Nur dass hier gleich die halbe Kulturgeschichte durcheinanderpurzelt. Wir befinden uns an Deck und später im Bauch eines riesigen, rostigen Schiffs. Vielleicht ist es auch schon ein Wrack. Zwischen den Relikten eines Maschinenraums stapeln sich Bücher, ein Globus, gipserne Statuen, Mühlräder, ausgestopfte Tiere, sogar ein Caspar David Friedrich hängt an der Wand. Hier fuhrwerkt Tristan in alten Zeitungen, während Isolde ein Kleid zerknüllt. Dabei singen die beiden von grenzenloser Liebe. Aber jeder sieht: Die stecken fest. Die werden ihren Ballast nicht los, den physischen und den seelischen.

OHNE REIBUNG, OHNE FOKUS

Im ersten Akt trägt Isolde ein Kleid mit riesiger Schleppe, die sie mit Buchstaben vollschreibt – vielleicht ihr Tagebuch. Oder der Mythos als Gewebe der Zeichen? Was man in Reihe 26 nicht sieht: Es sind Textworte aus dem Libretto. Vieles bleibt vage und fast alles auch ein bisschen egal, aber malerisch anzuschauen. Die Figuren tragen Phantasiekostüme ohne Zeitbezug, bewegen sich wenig, wirken blass und ein wenig antriebslos. Den Liebestrank trinken die beiden dann doch nicht, dafür begeht Tristan Selbstmord mit einem tiefen Schluck Todestrank, statt an einer Schwertwunde zu verbluten. Ok, ein Regieeinfall. Ansonsten bleibt der Abend szenisch phlegmatisch und gedanklich ohne Reibung und Fokus. Da hebt nichts ab. Der Kruscht bleibt Kruscht.

SEMYON BYCHKOV DEHNT UND STAUCHT

Dirigent Semyon Bychkov beginnt in Zeitlupe. Die erste Generalpause dehnt sich eine halbe Ewigkeit. Aber das ist nicht langweilig. Die Dynamik ist ausgefeilt, das Tempo beweglich. Immer wieder kaum hörbares pianissimo, sorgfältig gestaffelte Steigerungen, raffiniert abgemischte Klangfarben – nur die wirklich großen Entladungen, die es irgendwann einfach braucht, weil Wagners unendlich gewundene Musik eben doch zielsicher darauf hinsteuert, bleibt Bychkov schuldig. Auch wenn er vor allem im zweiten Akt deutlich mehr Temperament zeigt: Wirklich ausgereift ist diese Lesart noch nicht.

ANDREAS SCHAGER GEHT INS RISIKO

Dafür ist sie durchaus sängerfreundlich: Bychkovs verhaltener Orchesterklang lässt den Solisten viel Raum. Andreas Schager als Tristan gibt trotzdem alles. Der Mann schont sich nicht. Im Forte klingt das sehr eindrucksvoll. Über eine erstaunlich lange Strecke gelingt es Schager zu powern, ohne zu übersteuern. Intimität ist dagegen weniger seine Sache: Bei den leisen Stellen fehlen Farben und Geschmeidigkeit. Und dann reichen die Kräfte eben doch nicht: Ganz am Schluss klingt die Stimme heiser und brüchig. Immerhin: Volles Risiko.

CAMILLA NYLUND: ETWAS VERHALTEN

Die Isolde von Camilla Nylund will nicht recht dazu passen. Bei ihrem szenischen Debut singt Nylund sehr differenziert, neben dem testosteronstarken Tenor von Schager wirkt das fast ein wenig verhalten. Im Piano gelingen ihr suggestive Bögen. Und der Liebestod vermag zu berühren. Wenn Nylund in den folgenden Aufführungen noch mehr in die Rolle hineinfindet, dürfte eine überzeugende Isolde aus ihr werden. Nur an der Textverständlichkeit muss sie dringend noch arbeiten.

WARUM BUHS FÜR GROISSBÖCK?

Dass Günther Groissböck als Marke nach dem zweiten Aufzug Buhs abbekommt, ist nicht recht nachvollziehbar. Gut, seine Stimme hat schon fokussierter geklungen, aber er gestaltet intensiv und emotional packend. Ebenso wie Christa Mayer, eine souveräne Brangäne, deren Mezzo allerdings gelegentlich recht herb klingt. Etwas rauh, aber sehr kraftvoll singt Olafur Sigurdarson den Kurwenal. Aufhorchen lässt gleich zu Beginn Matthew Newlin als Junger Seemann – auch eine Nebenrolle kann aufleuchten. 

DER LETZTE "TRISTAN" WAR STIMMIGER

Wenn Festspielchefin Katharina Wagner die starke Inszenierung von Roland Schwab etwas länger als nur zwei Jahre gespielt hätte, wäre das kein unwiederbringlicher Verlust für die Rezeptionsgeschichte gewesen. Aber vermutlich war sie durch Verträge bereits gebunden, so dass diese zwei "Tristane" nun relativ hart aneinander stoßen. So richtig rund wirkt das alles nicht. Aber vielleicht findet Thor Arnarsson im nächsten Jahr in der "Werkstatt Bayreuth" ja noch den einen oder anderen Dreh.

Sendung: "Allegro" vom 26. Juli 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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