Schon wieder ein neuer "Tristan" in Bayreuth: Nach nur zwei Jahren ersetzt Festspielchefin Katharina Wagner die überzeugende Inszenierung von Roland Schwab durch eine Neuproduktion. Regie führte der Isländer Thorleifur Örn Arnarsson.
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1. Aufzug: Camilla Nylund (Isolde) und Andreas Schager (Tristan) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
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1. Aufzug: Camilla Nylund (Isolde) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
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1. Aufzug: Christa Mayer (Brangäne) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
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1. Aufzug: Camilla Nylund (Isolde), Christa Mayer (Brangäne) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
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1. Aufzug: von li nach re: Olafur Sigurdarson (Kurwenal), Andreas Schager (Tristan), Camilla Nylund (Isolde), Christa Mayer (Brangäne) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
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1. Aufzug: vorn von li nach re: Christa Mayer (Brangäne), Camilla Nylund (Isolde), hinten von li nach re: Olafur Sigurdarson (Kurwenal), Andreas Schager (Tristan), Matthew Newlin (Junger Seermann) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
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2. Aufzug: von links nach rechts: Olafur Sigurdarson (Kurwenal), Birger Radde (Melot), Andreas Schager (Tristan), Günther Groissböck (Marke), Camilla Nylund (Isolde), Christa Mayer (Brangäne) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
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2. Aufzug: Andreas Schager (Tristan) und Camilla Nylund (Isolde) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
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3. Aufzug: Andreas Schager (Tristan), Olafur Sigurdarson (Kurwenal), Daniel Jenz (Ein Hirt) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
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3. Aufzug: vorn: Andreas Schager (Tristan), Camilla Nylund (Isolde) hinten von li nach re: Daniel Jenz (Ein Hirt), Lawson Anderson (Ein Steuermann), Olafur Sigurdarson (Kurwenal) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
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3. Aufzug: Andreas Schager (Tristan) | Bildquelle: © Enrico Nawrath
Manches Zeug wird man einfach nicht los. Man stellt’s in den Keller. Da staubt es ein. Und wenn man doch mal mit schlechtem Gewissen drin rumkruschtelt, kommen sofort Erinnerungen hoch, gute und schlechte. In Rumpelkammern sedimentiert sich ein Leben. Der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson stellt die Bühne des neuen Bayreuther "Tristan" voll wie einen seit Jahrzehnten unaufgeräumten Speicher.
Nur dass hier gleich die halbe Kulturgeschichte durcheinanderpurzelt. Wir befinden uns an Deck und später im Bauch eines riesigen, rostigen Schiffs. Vielleicht ist es auch schon ein Wrack. Zwischen den Relikten eines Maschinenraums stapeln sich Bücher, ein Globus, gipserne Statuen, Mühlräder, ausgestopfte Tiere, sogar ein Caspar David Friedrich hängt an der Wand. Hier fuhrwerkt Tristan in alten Zeitungen, während Isolde ein Kleid zerknüllt. Dabei singen die beiden von grenzenloser Liebe. Aber jeder sieht: Die stecken fest. Die werden ihren Ballast nicht los, den physischen und den seelischen.
Im ersten Akt trägt Isolde ein Kleid mit riesiger Schleppe, die sie mit Buchstaben vollschreibt – vielleicht ihr Tagebuch. Oder der Mythos als Gewebe der Zeichen? Was man in Reihe 26 nicht sieht: Es sind Textworte aus dem Libretto. Vieles bleibt vage und fast alles auch ein bisschen egal, aber malerisch anzuschauen. Die Figuren tragen Phantasiekostüme ohne Zeitbezug, bewegen sich wenig, wirken blass und ein wenig antriebslos. Den Liebestrank trinken die beiden dann doch nicht, dafür begeht Tristan Selbstmord mit einem tiefen Schluck Todestrank, statt an einer Schwertwunde zu verbluten. Ok, ein Regieeinfall. Ansonsten bleibt der Abend szenisch phlegmatisch und gedanklich ohne Reibung und Fokus. Da hebt nichts ab. Der Kruscht bleibt Kruscht.
Tristan und Isolde in der Regie von Thorleifur Örn Arnarsson
Dirigent Semyon Bychkov beginnt in Zeitlupe. Die erste Generalpause dehnt sich eine halbe Ewigkeit. Aber das ist nicht langweilig. Die Dynamik ist ausgefeilt, das Tempo beweglich. Immer wieder kaum hörbares pianissimo, sorgfältig gestaffelte Steigerungen, raffiniert abgemischte Klangfarben – nur die wirklich großen Entladungen, die es irgendwann einfach braucht, weil Wagners unendlich gewundene Musik eben doch zielsicher darauf hinsteuert, bleibt Bychkov schuldig. Auch wenn er vor allem im zweiten Akt deutlich mehr Temperament zeigt: Wirklich ausgereift ist diese Lesart noch nicht.
Dafür ist sie durchaus sängerfreundlich: Bychkovs verhaltener Orchesterklang lässt den Solisten viel Raum. Andreas Schager als Tristan gibt trotzdem alles. Der Mann schont sich nicht. Im Forte klingt das sehr eindrucksvoll. Über eine erstaunlich lange Strecke gelingt es Schager zu powern, ohne zu übersteuern. Intimität ist dagegen weniger seine Sache: Bei den leisen Stellen fehlen Farben und Geschmeidigkeit. Und dann reichen die Kräfte eben doch nicht: Ganz am Schluss klingt die Stimme heiser und brüchig. Immerhin: Volles Risiko.
Die Isolde von Camilla Nylund will nicht recht dazu passen. Nylund singt sehr differenziert, neben dem testosteronstarken Tenor von Schager wirkt das fast ein wenig verhalten. Im Piano gelingen ihr suggestive Bögen. Und der Liebestod vermag zu berühren. Wenn Nylund in den folgenden Aufführungen noch mehr in die Rolle hineinfindet, dürfte eine überzeugende Isolde aus ihr werden. Nur an der Textverständlichkeit muss sie dringend noch arbeiten.
Dass Günther Groissböck als Marke nach dem zweiten Aufzug Buhs abbekommt, ist nicht recht nachvollziehbar. Gut, seine Stimme hat schon fokussierter geklungen, aber er gestaltet intensiv und emotional packend. Ebenso wie Christa Mayer, eine souveräne Brangäne, deren Mezzo allerdings gelegentlich recht herb klingt. Etwas rauh, aber sehr kraftvoll singt Olafur Sigurdarson den Kurwenal. Aufhorchen lässt gleich zu Beginn Matthew Newlin als Junger Seemann – auch eine Nebenrolle kann aufleuchten.
Wenn Festspielchefin Katharina Wagner die starke Inszenierung von Roland Schwab etwas länger als nur zwei Jahre gespielt hätte, wäre das kein unwiederbringlicher Verlust für die Rezeptionsgeschichte gewesen. Aber vermutlich war sie durch Verträge bereits gebunden, so dass diese zwei "Tristane" nun relativ hart aneinander stoßen. So richtig rund wirkt das alles nicht. Aber vielleicht findet Thorleifur Örn Arnarsson im nächsten Jahr in der "Werkstatt Bayreuth" ja noch den einen oder anderen Dreh.
Sendung: "Allegro" vom 26. Juli 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (14)
Sonntag, 04.August, 16:34 Uhr
Ulrich Poser
Bayreuth 24, Tristan und Isolde, 3.8.24
Kurz fasse ich wie folgt zusammen:
1. Es wurde nichts inszeniert.
2. Das Bühnenbild stellt eine Rumpelkammer dar.
3. Eine Personenregie gab es nicht.
4. Schager schreit bis er heiser ist.
5. Nylund ist keine Isolde. Ihre Stimme ist viel zu klein.
6. Das Dirigat war langweilig und ohne jede Magie.
Kein Wunder, dass um mich herum 6 Besucher eingeschlafen sind.
7. Einziger Pluspunkt: Goissbröcks Marke: Note 1
Sonntag, 28.Juli, 20:21 Uhr
Margret
Bayreuth, 2024, Tristan und Isolde
Die 'Rumpelkammer' mal beiseite lassend, w i e sollen in solch' einem Ambiente die
Sänger zu Höchstform kommen ???
Der Dirigent nahm im 2. Akt, 2. Aufritt zwischen den beiden Brangänepartien das Tempo
viel zu sehr heraus. Danach singt Tristan: Soll ich lauschen ?
Ich dachte das 'au' nimmt kein Ende.
Die Tempobezeichnungen sind übrigens äußerst differenziert jeweils.
Es fehlte für mein Empfinden der umspannende Bogen in der gesamten Darbietung - d a s
ist die Aufgabe des Dirigenten und bedeutet einen Teil der Anstrengung.
Zum Glück (!) war ich am 3. 2. 24 in der 4. und letzten Aufführung unter Thielemann in der
Dresdener Semperoper. Ein Traum mit Vogt und Nylund.
Ein Bühnenbild (M.A.Marelli), das in seiner Schlichtheit in keinster Weise vom Gesang und der Musik ablenkte.
Sonntag, 28.Juli, 16:01 Uhr
Walkuere 2000
Premiere Zristan und Isolde,Bayreuth
Dass dieses Meisterwerk Wagners d.Stimmen d.Solisten in hoechstem.Masse beansprucht,ist kein Geheimnis.Daher muss b.aller Kritik d.Solisten hoechster Respekt gezollt werden!Es waere d.Saengern dienl.gewesen,d.Orchester zu dämpfen,d.Orchester war trotz idealer Bayreuth- Akustik oft zu laut,d.Solisten zudeckend.Denkt man an d.Strahlkraft d.Isolden von Nilson bis Jones,ist man v.d.diesjaehrigen enttaeuscht :oft in d.Hoehe schrill,nicht im Koerper ,zudem schlackert d.Stimme in allen Lagen.Tristan begeisterte anfangs d.Stimm- u.Strahkraft Im letzten 1/3 hiel d.Stimme d.nicht durch: klang oft matt muede, fast heiser. Dito b.Brangaene ,d.gerade im 1. Akt die Isolde m.glanzvoller,runder Hoehe übertraf. Am Ende d.Oper kämpfte auch sie leider,klang rauh.Chor u.Orchester klangli.aumhaft.Kurwenal.d."Star"d.Premiere mit glanzvoller Hohe,überzeugender u.geestandener Wagnersaenger.Regie: kein gr.Wurf,teils unverstaendl.,aber auch nicht ueberladen. Man hat schon Besseres / Schlimmeres gesehen.
Sonntag, 28.Juli, 01:18 Uhr
Peter JAKOB, Inkwil/Schweiz
TRISTAN und ISOLDE Bayreuth 2024
Schade um den ganzen Kram auf der grossen Bühne, der Kopf strengt sich und wird abgelenkt... schade um die tolle Stimme und grossen Leistung der Isolde der Camilla Nylund aber auch des Andreas Schager als Tristan !!!
Vielen Dank für die Aufzeichnung und Sendung heute Abend.0
Samstag, 27.Juli, 22:42 Uhr
S. Vogt
Christa Meyer
Christa Mayer singt Brangäne ganz wunderbar. Ihre Stimme ist phänomenal, ich kann die Kritik, die Stimme sei rauh, überhaupt nicht nachvollziehen.
Samstag, 27.Juli, 21:59 Uhr
Anna
Mal ehrlich geht nicht?
Ich verstehe nicht: warum, wenn es um die Sängerkritik geht, werden die Sachen nie so genannt wie sie genannt sollen?!
Warum nicht einfach schreiben, daß bei den beiden - Nylund und Schager - die Stimmen gewaltig wackeln und daß sie oft sogar die richtige Noten nicht mehr treffen können? Daß die Nylund weder stimmlich noch innerlich dem dramatischen "Fach" (obwohl ich dieses Wort nicht mag) nichtmal daneben liegt? Um dramatische Rollen zu spielen, und um so mehr zu singen, muß man eine besondere Persönlichkeit haben, die man entweder hat oder nicht hat. Lernen kann man das nicht. Nyland hat eine rein lyrische Persönlichkeit und eine leichte lyrische Stimme, und genau das, daß sie fast nur die schwere Rollen gesungen hat, ist der Grund für das Wackeln heute. Gut, sie ist schon 56, aber das ist keine Entschuldigung dafür - die große Christa Ludwig hatte nicht mal ein Hauch vom Wackeln auch wann sie 75 war.
Nur Christa Mayer war hier wirklich gut.
Samstag, 27.Juli, 14:46 Uhr
Störzel Alexander
"Tristan im Trödelladen"
@Luca Ranconi:
Wie oft habe ich beim Live-Stream an die Inszenierung von Heiner Müller und die eindringlichen Bühnenbilde rvon Erich Wonder.
Ihre Worte sind sehr wahr. Sahen wir dann noch einen schöner Liebestod als Hoffnugnsvision?
Könnte mir vorstellen, dass dem Publikum diesmal die Augen schmerzten, als sie in den Pausen vor das Festspielhaus gingen. Er wird wohl in die Annalen eingehen als der dunkelste Tristan.
Samstag, 27.Juli, 12:05 Uhr
Edeltraud Mai
...hart am Ziel?
Aus der Streaming-Perspektive und -Akustik habe ich einen großen Schritt in Richtung "Hänsel und Gretel" gesehen und gehört. Wenn man nun das Giftfläschchen noch weglassen könnte, hätte ich die Hoffnung auf: "Und wenn sie nicht gestorben sind..."
Freitag, 26.Juli, 20:06 Uhr
Luca Ronconi
Kompliment...
... an den BR für die wie immer sehr liebevoll und sympathisch gestaltete Live-Übertragung!
Da könnte sich ein geographisch benachbarter Sender mit seinen mich wenig begeisternden Übertragungen aus Salzburg eine riesengroße Scheibe abschneiden … :)
Noch zum Tristan: Man muss es offen sagen dürfen, nämlich dass nach Heiner Müllers genialem Tristan von 1993 bedauerlicherweise nichts Besseres nachkam. Für den Ring gilt inzwischen Ähnliches, Castorfs zumindest sehr originelle Version wurde von einem öden Fehlgriff abgelöst. Vielleicht wäre es mitunter mutiger, Ressourcen zu schonen und eine gute Produktion länger zu behalten als sie unter allen Umständen zu entsorgen. Und die Auswahl der Regieverantwortlichen könnte wieder so fantasie- und anspruchsvoll sein wie unter Wolfgang, der immer die international Besten holen wollte und sich nicht mit Leuten aus der zweiten und dritten Reihe begnügte.
Freitag, 26.Juli, 11:29 Uhr
Barboncino
Heldentenor
Wie kann man eine Stimme beurteilen und ihr z.B. das Prädikat "Heldentenor"verleihen? Am besten doch wohl nur durch Vergleiche mit Stimmen der Gegenwart und vor allem auch-soweit möglich-durch die der Vergangenheit. In diesem Zusammenhang wäre es interessant, wieviele " Heldentenöre" der Vergangenheit ein Kritiker in Bayreuth oder in einem anderen Opernhaus gehört hat und worin er stimmliche Unterschiede sieht.Durch derartige Vergleiche könnte das subjektive Empfinden des Kritikers zumindest etwas objektiviert werden.
Freitag, 26.Juli, 10:21 Uhr
Michael Zimmermann
Heldentenor
Ich frage mich immer wieder heutzutage, wenn in musikalischen Journalen für die hohe Stimme eines Mannes das Wort „Heldentenor“ verwendet wird. Andreas Schager, Jonas Kaufmann, Klaus Florian Vogt usw. Das sind für mich keine Heldentenöre, sondern lyrische Tenöre mit dem Charakter Lirico Spinto. Desweiteren die Stimme dieser sogenannten Sänger: Andreas Schager; eine Stimme ohne wirklichen tenoralen Reiz, Wärme und Wohllaut. Jonas Kaufmann; eine Stimme, die mich ebenfalls nicht anspricht, eintönig, mit wenig Fantasie und Tiefgang emotionaler Gefühle und grossen Schwierigkeiten im Passaggio und im Glanz der Höhe. Bei Herrn Vogt; eine „weisse“Stimme, die wenig mit einer männlichen Heldentenorstimme zu tun hat, aber doch gut technisch geführt ist und für mich doch immer wieder phantasievolle Überraschungen bereit hält. Bei Frau Nylund: Meine Meinung; eine wunderschöne Stimme, die mir sehr gefällt, besonders im Richard Straussfach zu Hause, aber in hochdramatischen Rollen?
Freitag, 26.Juli, 08:21 Uhr
Ragnar Danneskjoeld
Szenisches Debüt Nylund?
Camilla Nylund hat die Isolde bereits in szenischen Produktionen in Zürich und Dresden gesungen.
Anm. der Redaktion: Danke für den Hinweis, wir haben den Fehler korrigiert.
Freitag, 26.Juli, 06:36 Uhr
Konrad Schemer
Bayreuth
"Bei ihrem szenischen Debut singt Nylund sehr differenziert"
Frau Nyland hat die Isolde bereits im Januar in Dresden unter Thielmann gesungen, gestern war also keineswegs ihr szenisches Debüt.
Freitag, 26.Juli, 05:55 Uhr
Philipp Eder
szenisches Debut?
Ich habe Frau Nylund bereits dieses Jahr bei einem großartigen Tristan in Dresden unter Christian Thielemann erleben dürfen.
Von einem szenischen Debut kann nicht die Rede sein.