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Bayreuther Festspiele "Tristan"-Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson im Interview

Die Natur hat aus sich heraus eine Existenz. Diese Erkenntnis ist bestimmtend für Regisseur Thor Arnasson. Der Isländer inszeniert "Tristan und Isolde" bei den Bayreuther Festspielen. Am 25. Juli feierte das Stück Premiere.

Mondregenbogen und Nordlichter in Island | Bildquelle: Markus van Hauten

Bildquelle: Markus van Hauten

BR-KLASSIK: Inwieweit beeinflusst Ihre Herkunft die Art und Weise, wie Sie an an Ihr Regiekonzept von Wagners "Tristan und Isolde" herantreten?

Thorleifur Örn Arnarsson: In einem Land wie Island aufzuwachsen, wo diese Unmittelbarkeit der Natur gegenwärtig ist – Vulkanausbrüche, Erdbeben, aber auch einfach grundsätzlich das Wetter – da hat man eine ganz andere Beziehung zur Natur. Und ich bin der Überzeugung, dass in Island der alte heidnische Glaube in uns tief verankert ist.

BR-KLASSIK: Können Sie das an einem Beispiel konkret machen? Also wenn Sie sagen, dass die Natur anders mit dem Menschen agiert beziehungsweise der Mensch anders mit der Natur agiert?

Thorleifur Örn Arnarsson | Bildquelle: Andreas Schager/Bayreuther Festspiele Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson | Bildquelle: Andreas Schager/Bayreuther Festspiele Thorleifur Örn Arnarsson: Die langen, dunklen Winter sind sehr schwierig. Und ich glaube, dass jeder in Island auch einen Roman in der Schublade hat. Licht und das Wetter haben einen so großen Einfluss auf das Leben, das wir dazu gezwungen sind, uns ganz anders einzupacken. Und man geht in Island nicht ohne Rucksack mit extra Klamotten spazieren. Du kannst auch mitten im Juli auf dem Hochland plötzlich in einem Hagelsturm stehen. Das heißt, du kannst nie jenseits der Natur, jenseits des Wetters etwas planen, die Unberechenbarkeit der Natur in Island ist einfach vehement. Es gab irgendwann eine Umfrage, in der 80 Prozent der Isländer gesagt haben, dass sie an Elfen glauben. Und als ich nach Deutschland gekommen bin, wurde ich auch immer gefragt: Glaubst du auch an Elfen? Da habe ich mich immer ein bisschen geschämt. Irgendwann fing ich an, darüber nachzudenken und musste dann feststellen, dass es ja nicht darum geht zu glauben, dass irgendwie kleine Menschen im grünen Klamotten in Steinen leben, sondern dass die Natur aus sich heraus eine eigene Existenz hat. Und deswegen werden zum Beispiel in Island auch Straßen umgelegt, wenn erzählt wird, dass an einem bestimmten Ort eine Elfenheimat existiert. Da gibt es auch kein Gesetz, sondern das ist einfach so ein Verständnis, dass die Natur aus sich eine Art Recht hat zu existieren.

Der Anruf aus Bayreuth kam, als die Nordlichter strahlten

BR-KLASSIK: Es hat mit gerade sehr gut gefallen, dass Sie gesagt haben: Verständnis für die Natur und nicht Respekt. Respekt ist schon wieder so ein bisschen von oben herab. Wir haben gerade vorhin die Dunkelheit angesprochen. Fühlen Sie sich in der Oper schnell zu Hause, weil es in der Oper ja doch ganz stark den Kontrast von Dunkelheit, Helligkeit und Licht gibt?

Thorleifur Örn Arnarsson: Als ich den Anruf aus Bayreuth bekam, saß ich in meiner kleinen Hütte oben auf dem Hochland neben der Vulkan Hekla. Und laut Edda ist Heka die Heimat der Götter. Es war eiskalt. Die Nordlichter strahlten über dem Himmel, und es war auch eine besonderes schwierige Zeit in meinem Leben. Ich hab dann gesagt, ich möchte mir das Stück einmal ganz anhören und wir sprechen dann wieder. Ich habe "Tristan und Isolde" in einem durchgehört – und habe mich zu tiefest wiedergefunden. Denn am Anfang hat man den Eindruck, Isolde schreit die Elementen an, weil ihr innerer Zustand so vehement ist um das Bewusstsein, nicht handeln zu können. Meine erste Assoziation war, als würde sie versuchen, die Elemente des Meeres zu rufen, um hier alles zu zerstören. Aber gleichzeitig ist da der Kampf, der in ihr drinsteckt; und das ist, was mich so an dieser Oper fasziniert.

Wagner komponiert Isoldes Leid in Wellen

Es lässt dieses unfassbare große Gefühl, das alle Menschen in schwierigen Momenten spüren – wie Wut auf Selbstachtung und Selbstmitleid. Und dann ist da wieder der Versuch, alles zu verstehen, den inneren Zustand irgendwie greifbar zu machen. Das ist es, was in dieser Oper drin ist. Im ersten Akt hat Isolde ja quasi drei Wellen. Man könnte sagen, das sind so Wellen, wo sie versucht, den unerklärlichen inneren Zustand irgendwie greifbar zu machen, das aber nicht schafft. Da hat man im zweiten Akt eigentlich drei Wellen des Zusammenkommens, das Ganze ist aber eigentlich zum Nicht-Zusammenkommen verurteilt. Und im dritten Akt hat man drei Wellen Todeskampf von Tristan, wo er eigentlich versucht, den Tod doch irgendwie fernzuhalten – gleichzeitig mit dem Glaube an diese Unerreichbarkeit. Diese immensen Emotionen sind tief psychologisch. Manchmal ist die Musik dem Text voraus, als würde das Unterbewusstsein mehr verstehen als der Kopf. Und dann kommt der Kopf hinterher und holt das irgendwie ein, und kurz vor dem Einklang zwischen Kopf und Herz bricht alles noch mal. Und so ist es auch komponiert. Das ist ein dauerhafter Aufbau und ein dauerhaftest Scheitern des Harmonischen. Und so ging es mir in dieser Nacht. Das kenne ich auch aus meinem eigenen Leben. Und am nächsten Morgen wusste ich: Ich muss es machen, denn das ist in dem Moment auch mein Leben, was ich da widergespiegelt bekomme.

BR-KLASSIK: Sie haben diese ganzen Kontraste gerade angesprochen: Ich finde, wenn man allein schon den Klavierauszug durchblättert, dann sticht das bereits visuell ins Auge. Die Noten werden zu einem Bild, nicht nur zu einem Klang, wenn sie vom Orchester oder am Klavier gespielt werden. Die Noten zeigen als Bild quasi schon die die Geschichte. Wir haben den Text, wir haben die Musik, und wir haben das Notenbild.

Thorleifur Örn Arnarsson: Ich habe ja sehr viel Shakespeare inszeniert. Und als ich dann noch mal – ganz ohne die Musik zu hören – das Libretto zum "Tristan" durchlas, dachte ich: Das ist das Libretto von Wagner, das mich am meisten an Shakespeare erinnert, das eigentlich dauerhaft mit tiefstem menschlichen Verstand und Symbolik ineinander verwoben ist. In "Tristan und Isolde" sind Schatten und Dunkelheit eigentlich deren eigener Schutz vor einem Tageslicht. Sie rennen ja vom Licht in die Hoffnung weg, dass in der Dunkelheit das möglich ist, was sie im Inneren spüren – und hoffen, das das möglich ist. Aber leider ist das nicht möglich …

Sendung: Live aus dem Bayreuther Festspielhaus – Auftakt Live in Bayreuth 25. Juli 2024 15.05 Uhr

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