Während oben auf dem Untersberg die Sonne schien, blieb es im Salzburger Nebel frisch, und auch in der Felsenreitschule erwies sich Carl Maria von Webers Erfolgsoper in der Inszenierung von Johannes Reitmeier als ausgesprochen unterkühlte Angelegenheit – die nicht mal der Teufel aufwärmen konnte.
Bildquelle: SLT / Tobias Witzgall
Er ist halt zu verführerisch, dieser Samiel, der Höllenfürst. Eigentlich hat er in Carl-Maria von Webers "Freischütz" ja nur sekundenlange Kurzauftritte, aber kaum ein Regisseur kann der Versuchung widerstehen, den Teufel über die gesamte, rund dreistündige Handlung auftreten zu lassen, mangels Text natürlich stumm. Das wenig Verwunderliche dabei: Alle Augen richten sich ständig auf diesen Oberbösewicht, der mal gähnend, mal grinsend seine diabolischen Intrigen spinnt. Genauso gut könnte ein schwarzer Pudel oder eine klumpfüßige Ziege die Aufmerksamkeit ablenken.
Regisseur Johannes Reitmeier lässt Samiel am Salzburger Landestheater als lüsternen Fetischklamotten-Liebhaber im bodenlangen roten Webpelz auftreten, sehr lässig gespielt von Georg Clementi. Schade, dass er so wenig zu sagen hatte. Es hätte den gruselfreien und etwas sterilen Abend etwas gewürzt. Das schwarz-weiße Bühnenbild von Thomas Dörfler zeigte eine riesige Schützenscheibe am Boden, schließlich muss Liebhaber Max seine Agathe mit einem Probeschuss erobern. Schützenscheiben dekorierten auch die imposante Rückwand der Salzburger Felsenreitschule, offenbar als Sinnbild dafür, dass hier jemand vom Schießen ganz und gar besessen ist. Kein Wunder, dass die sensible Agathe ihre Ohren zuhält, als der Jägerchor losbrüllt.
Bildquelle: SLT / Tobias Witzgall So viel hektisches Gefuchtel mit Handfeuerwaffen erscheint ihr wahrhaft teuflisch. Allerdings ist diese Agathe auch sonst überaus empfindlich: Die weißen Rosen eines Eremiten erheben sie zu einem dermaßen sittenreinen und somit langweiligen Ideal, dass nur zu bedauern ist, dass sie die rote Rose der Ausschweifung ausschlägt, die ihr Samiel anbietet. Etwas Sünde machen das Leben und die Liebe doch erst unterhaltsam. So schnurrt die Fabel von den Freikugeln arg bieder und blutleer ab. Auf der riesigen Hängebrücke, die die Bühne überspannt, passiert wenig. Vom Gegensatz zwischen der christlichen und der unheimlich-animalischen Welt, der hier vorgeführt wird, ist kaum etwas übrig.
In der Wolfsschlucht-Szene lässt Johannes Reitmeier den braven, auf Abwege geratenen Max die Freikugeln nach dem Genuss eines Gifttranks hervorwürgen: Ein denkbar beiläufiger "Splatter"-Effekt. Sängerisch war Luke Sinclair als Max von der riesigen Felsenreitschule überfordert – was keine Kritik ist, da nur ganz wenige Tenöre diese XXL-Halle raumfüllend stemmen können. Athanasia Zöhrer als Agathe und Nicole Lubinger als Ännchen hatten deutlich weniger Probleme: Die weibliche Stimme trägt bekanntlich weiter, ist verständlicher.
Luke Sinclair und Athanasia Zöhrer | Bildquelle: SLT / Tobias Witzgall Alle anderen rangen doch sehr mit der für sie ungewohnten Weite, schließlich singen sie sonst im vergleichsweise kleinen Landestheater. Hier wären Mikrofone kein "Teufelszeug" gewesen. Dirigent Leslie Suganandarajah hatte an den Volkstanz-Rhythmen im "Freischütz" deutlich hörbar mehr Spaß als am romantischen Grusel. Er sparte sehr am Hokuspokus, der ja tatsächlich heutzutage unfreiwillig komisch sein kann. Keinen guten Tag erwischten die Hörner, die das Pech haben, stets dominant zu sein, auch mit kleineren und größeren Wacklern. Insgesamt in jeder Hinsicht ein unaufgeregter, kühler "Freischütz". Kalt ist die Liebe, und die Hölle wohl auch.
Sendung: "Allegro" am 4. November 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)