Der Ballettchef des Staatstheaters Nürnberg, Goyo Montero, inszenierte zum ersten Mal Oper – und zwar gleich die populärste von allen. Es gab viel Beifall für eine mutige Deutung: Mozarts beliebtestes Werk als Nahtoderfahrung eines Koma-Patienten in der bunten Optik eines mexikanischen Allerheiligen-Tages.
Bildquelle: Jesús Vallinas
Was passiert eigentlich auf dem Sterbebett? Wie erleben wir alle unsere letzten Minuten, das Verebben der Gehirnströme, die letzten Atemzüge, den Übergang in eine andere Welt? Vielleicht sehen wir ja wirklich bunte Gestalten, hören ein paar Takte Mozart, bevor es zu Ende ist. So jedenfalls stellt sich der Nürnberger Ballettchef Goyo Montero in seiner Inszenierung der "Zauberflöte" eine Nahtoderfahrung vor. Der in Madrid geborene Choreograph wagte sich erstmals an eine Oper, und der begeisterte Applaus gab seiner ungewöhnlichen Deutung recht.
Klar, familientauglich ist diese "Zauberflöte" eher nicht, dafür gab es auch einen einsamen Protestruf, aber die populäre Fabel als finales Erlebnis eines Koma-Patienten zu zeigen, ist so mutig wie bildstark. Immerhin ist im Text von Emanuel Schikaneder fast dreißig Mal vom Tod die Rede und Mozart starb bekanntlich wenige Wochen nach der Uraufführung - es erscheint also plausibel, wenn die Ausstatter Leticia Gañán und Curt Allen Wilmer diesen Abend so bunt aussehen lassen wie den mexikanischen Allerheiligen-Feiertag, den Día de los Muertos. Goyo Montero: "Wir erzählen diese Geschichte von einem jungen Mann, der ins Koma fällt. Ich habe gedacht, damit könnte ich die Oper beginnen. Es ist meine erste Oper und ich habe damit so viel Spaß gehabt wie ein kleines Kind. Mozart war ja in seinem Inneren auch wie ein Kind. Es war so eine Freude, diese Oper zu machen."
Eine Freude war es auch, diesem dreistündigen Abend zuzusehen. Endlich mal kein gequälter Versuch, die "Zauberflöte" ein weiteres Mal neu zu interpretieren, sondern ein Fest für das Leben, an dessen Ende. Tamino und seine Pamina tragen beide Krankenhauskittel, das Outfit der Patienten auf der Intensivstation. Papageno und seine Papagena tanzen als Sensenkerle den Totentanz, aber fröhlich, ausgelassen, befreit. "Alles passiert in unserem Gehirn, in diesem schwarzen Loch", so Goyo Montero: "Das ist wie eine Halluzination, ein Albtraum. Tamino befindet sich zwischen den Welten und versucht die ganze Zeit in seinen eigenen Körper zurückzukommen. Wir werden sehen, ob er am Ende glücklich wird oder nicht. Er hat diese Visionen, sei es aus seinem eigenen Leben oder aus einem Comic oder einen Traum, worauf die bunten Kostüme hindeuten. Alles ist möglich in diesem Raum."
Wie es ausgeht, wird natürlich nicht verraten. Traurig muss dabei allerdings niemand werden. Bei Mozart reisen alle Beteiligten von der Nacht ins Licht, ein Gleichnis auf die Aufklärung, gewürzt mit der damals modischen Geheimlehre der Freimaurer. Großartig, wie die Solisten, allen voran Martin Platz als Tamino, Samuel Hasselhorn als Papageno und Sophia Theodorides als Königin der Nacht, sowie der Chor und Dirigent Roland Böer diese ungewöhnliche Interpretation mittragen. Das hätte ja sehr schnell unfreiwillig komisch oder gar peinlich werden können. Goyo Montero machte als Choreograph aus der "Zauberflöte" einen sehr poetischen Totentanz – ohne jemals sakral oder betulich zu werden.
"Ja, ich komme vom Tanz und wollte einfach meine Seele in dieses Stück hineinbringen, aber nicht als Ballett, sondern als Oper. Die Solisten haben alle meine verrückten Ideen akzeptiert und übernommen und diese Erfahrung mit der Oper macht mich total glücklich", so Goyo Montero. Total glücklich waren auch wohl die meisten Zuschauer, dem Beifall nach zu urteilen. Und das bei einer Inszenierung über eine Nahtoderfahrung! In jeder Hinsicht bemerkenswert, diese erste Opernarbeit des Choreographen.
Sendung: "Allegro" am 7. Oktober ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (9)
Samstag, 19.Oktober, 22:01 Uhr
Frank und Brita
Die Zauberflöte: Musik toll-Inszenierung abstoßend
Das Orchester und die Sänger waren sehr gut. Ma mussten die Augen schließen, um Musik und Gesang genießen zu können. Das Bühnenbild bestand lediglich aus drei fahrbaren Treppen. Die Kostüme waren eine Beleidigung für die Augen (teils durchsichtige Plastikumhänge). Die Hauptdarsteller (Prinz und Prinzessin) mussten ihre wundervollen Stimmen in Krankenhaus-OP-Kitteln (hinten teils offen) und Badekappen mit Stacheln zum Besten geben. Sie taten uns leid. Wie man darin ein begehrenswertes hübsches junges Liebespaar erkennen sollte, erschließt sich uns bis jetzt nicht. Ähnlich war es auch um die anderen Kostüme bestellt. Warum man den Bösewicht als Entblößer und mit einer übergroßen Penis-Attrappe sehr oft über die Bühne laufen lässt, ist unverständlich. Wir haben die Aufführung nach einer Stunde völlig negativ aufgewühlt verlassen. Wir können es noch immer nicht fassen, dass man ein solch schönes Stück durch eine derartige Inszenierung verdirbt. War dies ein Ergebnis von Sparmaßnahmen?
Donnerstag, 10.Oktober, 13:42 Uhr
Klaus Thiel
Eine neue "Zauberflöte" ?
In Leipzig gab es in den siebziger Jahren eine Neuinszenierung des "Cardillac".
Die öffentliche Meinung war aufschlussreich:
"Hindemith ? Her damit !"
Aber dann "Weg damit !"
Das zu dieser epochalen Neudeutung.
Dienstag, 08.Oktober, 13:31 Uhr
Adriane
Musik wichtig
Das Schikaneder-Libretto ist nicht mehr als ein mittelmäßiges Produkt, ohne große intellektuelle Herausforderungen. Von Anfang an war es ausgelegt auf breiten Publikumserfolg und bestmögliche Einnahmen, schon damals Teil eines kommerziellen Kulturbetriebs. Niemand würde heute mehr von der "Zauberflöte" sprechen, wenn nicht Mozarts geniale Musik wäre. Auch in unserer Zeit muss Oper, selbst wenn der Komponist Mozart heißt, immer auch - in diesem Fall psychologisches - "Spektakel" sein und den Eindruck des Sensationellen erwecken, will sie Publikum anlocken, das unterhalten werden will. Solange die untergeordnete Handlung die wunderbare Musik nicht zur Nebensache macht, ... mir soll's recht sein. Stimmig und authentisch zur Original-Musik ist aber allein das Original-Libretto. Alles andere, auch noch so gekonnt inszeniert, "beißt sich". Das geistige Transferieren der Handlungen in die heutigen Zeit, sollte jeder Opernbesucher, wenn er denn will, selbst leisten dürfen.
Montag, 07.Oktober, 15:09 Uhr
Konrad Schemer
Zauberflöte
Wie schön, dass es doch CDS gibt und man die Musik genießen kann ganz ohne schräge Bearbeitungen auf der Bühne.
Montag, 07.Oktober, 14:51 Uhr
Opernliebhaber
Zeit für Musik?
Vielleicht habe ich in meinem Leben bisher etwas falsch verstanden, war ich doch der irrigen Annahme, dass die Musik und deren Interpretation für eine Opernproduktion wesentliche Bestandteile sind.
Vielleicht habe ich deswegen zu Unrecht viele Radio-Übertragungen diverser Opernproduktion genossen. Vielleicht sollte ich auch unsere umfangreiche CD-Sammlung mit Opern-Einspielungen entsorgen, und vielleicht sollte ich künftig bei Video-Aufzeichnungen auf den Ton verzichten und mich lediglich auf den Bildinhalt konzentrieren.
Dieser Schluss drängt sich jedenfalls auf, wenn man auf der Homepage des Senders BR-Klassik Opern-Kritiken liest. Hier ganz aktuell werden die unzähligen Musikerinnen und Musiker, die vermutlich einen essentiellen Beitrag zu dieser Opernaufführung beigetragen haben, mit ganzen 32(!) Worten bedacht - wobei diese 32 Worte textgleich genauso gut für eine beliebige Theater-Produktion herhalten könnten.
Zeit für Musik? In diesem Text leider Fehlanzeige . . .
Montag, 07.Oktober, 12:55 Uhr
Christine Eichhorn
Premiere Zauberflöte Nürnberg
Das war die beste Neuinszenierung, die ich je gesehen habe. Ich bin absolut begeistert vom Orchester, den Solisten, der Choreographie... Das der Balettmeister seine Handschrift hinterlassen hat, war sichtbar. Diese Premiere klingt bis heute in mir nach. Gratulation allen Beteiligten...
Montag, 07.Oktober, 12:27 Uhr
Gerald Bast
Und die Musik
sollte Herr Jungblut bei einer Opernrezension vielleicht nicht gar so stiefmütterlich behandeln
Sonntag, 06.Oktober, 17:19 Uhr
Christiane Seefried
Musik
Immer wieder staune ich, dass Opernkritiken sich zur Zeit meist nur mit der Inszenierung befassen. Die musikalische Leistung, in diesem Fall sowohl der Sänger als auch des Orchesters/Chors, ist quasi nicht existent. Ohne Musik gibt es aber keine Oper.
Sonntag, 06.Oktober, 14:34 Uhr
Ärger
Zauberflöte
Und wieder nichts zur musikalischen Seite außer ein, zwei austauschbaren Adjektiven.